Von Anne Zeisig

Mareike weinte Krokodilstränen in ihr blütenweißes Kopfkissen und malträtierte es danach wütend mit den Fäusten.

„Scheiß Kerl!“, schrie sie so laut, dass ihr der Hals wehtat.

 

`Komplimente hat er mir gemacht. Mich mit Blumen überhäuft. Hat mir heiße Worte ins Ohr geflüstert´, dachte sie matt, „bis ich seinem Charme erlegen bin und nackt und bloß in seinen starken jungen Armen lag.´

Sie stand auf und stellte sich vor den Spiegel. `Habe ich mir wirklich eingebildet, dass mich ein jüngerer Mann begehren könnte? Mich! Eine gealterte 55jährige mit Schlupflidern, schlaffen Gesichtskonturen und Hängebusen?´

Sie nahm die Vase mit ‘seinen roten Rosen’, die längst welk ihre Blütenköpfe hängen ließen, von der Kommode und schleuderte sie gegen den Spiegel, dass es nur so krachte und klirrte.

Sie war schnell seine Beute geworden, ein verliebtes Opfer, welches in der Falle saß wie ein dummer Teenager, dem die Liebesschwüre den Verstand rosarot weggepustet hatten.

Wegen ihm hatte sie sogar ihre Tätigkeit bei den Ehrenamtlichen aufgegeben, um jede Sekunde ihrer Freizeit mit ihm verbringen zu können.

 

„Der hat zig Frauen mit dieser Masche um Hab und Gut betrogen“, klärte sie der Kripobeamte auf, „die meisten weit über Fünfzig.“

Die Scham kroch in ihr hoch. Am liebsten hätte sie sich unsichtbar gemacht.

„Sie können froh sein, dass Sie ihm nicht ihr kleines Häuschen überschrieben haben.“

 

„My Love, nur ein kurzfristiger Engpass, du weißt ja, wie Banken sein können. Nur ein Tag zu früh und du kommst nicht ran an dein Vermögen. Dabei muss ich den Vertrag morgen unbedingt beim Notar besiegeln.“

Er hatte sie an sich gedrückt: „Du bist meine Rettung. Und nächste Woche düsen wir nach Maurizius und verprassen den Gewinn! Selbstverständlich bekommst du vierzig Prozent Beteiligung!“

 

In den paar Scherben, die noch im Rahmen geblieben waren, sah sie sich mit herabhängenden Mundwinkeln und fahlem Teint. Der kalte Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihr wurde übel.

`Wo habe ich denn bloß den Würfelzucker?´ Sie nestelte in ihren Hosentaschen danach.

 

„Mama!“

Irgendwo in der Ferne hörte sie die Sirenen eines Krankenwagens.

Oder eines Feuerwehrautos? Das konnte nicht sein, denn das Feuer in ihr war längst erloschen.

 

* * *

 

Das tut gut.

Ich liege weich gebettet wie auf Wolken, um mich herum verspüre ich eine wohlige Wärme und leise, ganz leise, spielt eine Geige zarte, sanfte Melodien.

Mein Herz hüpft vor Freude, ja, so sagt man das klischeehaft, aber im Moment fällt mir nichts anderes ein, ich bin erfüllt von Glückseligkeit, die wellenartig durch meinen Körper strömt.

Ich hebe die schweren Lider. Blicke in das Licht einer Deckenbeleuchtung. Dann wird es Schwarz um mich herum.

„Wo bin ich?“ Meine Stimme hallt. Als befände ich mich in einem großen Saal.

Abermals strenge ich mich an, meine Augen zu öffnen. Aber das ist so schwer. Und auch nicht nötig, beschließe ich, denn die Musik schmeichelt meinen Ohren, das ist Wohltat genug.

„Deine Zeit ist noch nicht gekommen“, übertönt eine männliche Stimme die Melodie.

Mein Leib zuckt, ich bin aufgeregt. Kann meine Lippen nicht bewegen.

„Hör gut zu.“

Ich will mich konzentrieren. „Wer bist du?“

Fühle mich sehr ruhig, verspüre keine Panik. Fühle mich geborgen.

„Ich bin die Erste Instanz, der Allmächtige.“

Ist dieses das jüngste Gericht? Stehe ich vor Gott und muss meine Sünden bereuen? Ich schlage beide Hände vors Gesicht.

Bemerke allerdings, wie mein Gehirn so nach und nach wieder klar denken kann.

„Ich weiß, dass ich egoistisch war und zu wenig an meine Mitmenschen gedacht habe, ich …“

„Hör mir gut zu und stelle keine Fragen“, wurde ich unterbrochen. „Ich schenke dir weitere fünfundfünfzig Jahre Leben. Du wirst die geschenkte Zeit sinnvoll nutzen.“

Ich fühle mich plötzlich wesentlich kräftiger und weiß nicht, wieviel Zeit vergangen sein muss, bis ich wirklich verstand, dass mir ein langes Leben geschenkt worden war.

Ich jubelte innerlich!

 

„Mama! Wach auf! Du hattest einen Zuckerschock. Hast du etwa vergessen, Insulin zu spritzen?“

Als ich die Augen aufschlug, blickte ich in das Gesicht meiner Tochter und sofort kam mir in den Sinn, dass ich diese vielen Jahren nicht als schrumpelige Alte mit Hängelidern und Zellulite verbringen wollte!

 

 

* * *

 

Mareike ging beschwingten Schrittes auf ihre Tochter zu. Sie hatte nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ihr Reihenhaus beliehen und ihren Chef um eine längere Auszeit gebeten.

“Aber Mama! Wie siehst du denn aus? Habe dich aus der Ferne überhaupt nicht erkannt!“

Sie zog ihre verdutzte Tochter in das nächste Kaffee des Airports, baute sich vor ihr auf und drehte sich im Kreis. „Wie ich aussehe? Zehn Jahre jünger!“ Dann setzte sie sich und erzählte von ihren Schönheits-OPs in Tschechien, weil sie dort preiswerter waren.

„Kind! Ich war so unglücklich mit meinem Aussehen. Hatte dir doch von meiner Nahtoterfahrung erzählt. Immerhin habe ich noch über fünfzig Jahre vor mir! Da hat sich die Rundumerneuerung doch gelohnt!“ Mareike lachte glockenhell.  

Ihre Tochter sprang auf: „Du glaubst tatsächlich an diesen Schmarren? Du hattest einen Zuckerschock! Das war alles! Willst du mir etwa noch weismachen, dass du am Ende des Tunnels ein Licht gesehen hast? Sieh dich an! Dein Gesicht ist zur Fratze verkommen. Ich sehe kein Leben darin!“

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Aber ich …“

„Ich wähnte dich in einem Wellness-Urlaub! Aber nein! Du legst dich kerngesund unters Messer wegen Hirngespinsten. Du hast mich belogen!“  

Sie lief hinaus.

 

Mareike hastete ihr hinterher: „So bleib doch stehen!“

War der schwarze Schatten ein Auto? Reifen quietschten. Sie spürte einen dumpfen Aufprall.

Stechen in ihrer Brust.

„Mama!“

 

* * *

 

Ich winselte, als ich vor Gott kniete: „Du hast mir noch über fünfzig Jahre Leben versprochen. Und was ist nun? Du hast mich zu Dir gerufen. Hast mich mit Fünfundfünfzig dem Leben entrissen! Das ist zu jung zum Sterben!“ Er hat mich getäuscht, hat sein Versprechen nicht gehalten.

 

Grelles Licht schmerzte in meinen Augen. Gerne hätte ich mein Lider geschlossen, aber es gelang mir nicht.

„Wie ist dein Name, meine Tochter?

„Mareike!“, bellte ich laut und wütend.

„M-a-r-e-i-k-e“, buchstabierte der Allmächtige sehr langgededehnt meinen Namen, „es tut mir leid, dass du hier bist, aber ich habe dich nicht erkannt.“

 

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