Von Finn Ragutzki

Wir saßen am warmen Kamin. Meine drei Geschwister und ich.

Das einzig Warme, das es hier gab.

Unsere Mutter war nach der Geburt meiner kleinen Schwester Mona gestorben.
Seitdem lebten wir ziemlich verlassen an einem Ort im Nirgendwo. Es war eine Art alte Burg, halb zertrümmert, kalt und dunkel.
Es gab lediglich zwei bestehende Räume. Einen für uns und einen für unseren Vater.
Eingewickelt in unsere Decken, starrten wir wie betäubt auf die Flammen im zischenden Kamin.

Der Boden war kalt. Durch den Kamin spiegelten sich die Schatten der Flammen auf ihm wider.
Je näher ich an den Kamin rückte, desto mehr verharrte ich in meiner Trance.
Wusste nicht, ob mich die Hitze des Kamins auffraß oder die eisige Kälte vom Boden meine nackten Füße gefrieren ließ.

Da war es schon wieder dieses Beben, gefolgt von dem lauten Knall. Staub fiel von der Decke. Raben flogen auf.

Unser Vater hatte sich komplett verändert und das einzige was wir wollten, war fliehen.

Wir lebten früher auf dem Land, hatten ein kleines Gut.
Doch seit eines Abends ein Mann bei uns gewesen war, war alles anders.
Ich hatte ihn gesehen in dieser Nacht. Ich war 4 Jahre alt, doch ich hatte es nicht vergessen. Es hatte gestürmt. Blitze zuckten über unser Haus.
Von dem lauten Poltern an unserer Türe wurde ich wach. Scheinbar war ich in der Truhe im Flur eingeschlafen. Dort hatte meine Mutter mich immer gefunden. Eingehüllt in Decken und mit meinem Lieblingsbuch. Ich öffnete den Deckel einen Spaltbreit und mein Vater die Tür.

Da sah ich ihn. Einen kleinen rundlichen Mann komplett in Schwarz mit einem Regenschirm.
Mein Vater ging, in einem schnellen Tempo, hinaus. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Ich lief die Treppe hoch, meine ältere Schwester Emma und meinen Bruder Tobi wecken.
Wir saßen alle, aneinander gedrückt, im Bett von unseren Eltern. Emma hielt Mona in ihren Armen, sie schrie ohne Pause, dabei konnte Emma sie normalerweise immer beruhigen. Unser Vater bewunderte sie dafür.

Als er in seinen durchnässten Sachen die Tür öffnete, sahen wir ihm angstvoll entgegen. Wir blickten in ein kaltes und zorniges Gesicht.
Er hatte uns doch immer ein Märchen vorgelesen. Alle zusammen eingekuschelt in unsere Decken hatten wir im Schlafzimmer gelegen, im Bett unserer Eltern. Er hatte uns dem Alter nach ins Bett gebracht. Einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Doch an diesem Abend hatte er uns gepackt, die Treppe runter gezogen und ist losgegangen. Wir hinterher.

Nach wochenlangen Fußmärschen waren wir hier angekommen.
Und nun saßen wir an diesem verlassenen Ort, angsterfüllt …

Er brachte uns einmal am Tag etwas zu Essen, ohne auch nur ein Wort mit uns zu wechseln.
Dann verschwand er. Auf die andere Seite der Burg.
Von unserem Raum, welchen er immer verschloss, konnte man durch einen kleinen Spalt in der Wand grüne Lichtblitze erkennen. Gefolgt von schwarzem Rauch. Und einem ohrenbetäubenden Schrei.

„Was war das?“, stotterte ich.
„Probier nicht dran zu denken, versuch zu schlafen“, antwortete Emma leise.

Doch keine fünf Minuten später flog die Holztür unseres Zimmers auf und schlug heftig gegen die Wand, sodass wir alle sofort auffuhren.
Unser Vater völlig irre, starrte er uns an.
Ich bekam Angst.
Er stand einfach nur da in seinem weißen Kittel, dem mit schwarzem Ruß befleckten Hemd, den völlig fettigen und wilden Haaren und hielt ein Reagenzglas in der Hand, gefüllt mit einer giftgrünen Substanz.

„Es ist der Zeitpunkt gekommen und ich möchte euch dabei haben!“, er sagte dies mit einer Entschlossenheit in seiner Stimme.
Doch dieser ganze Auftritt, die Schreie zuvor, hatten mich so verängstigt, dass die Frage, was er uns zeigen wollte, viel zu spät durch meinen Kopf schoss.
Als wir den Raum verlassen hatten, was wir seit vielen Monaten nicht mehr getan hatten, entzündete er eine Fackel und lief die Treppe hinunter.
Wir folgten ihm, hatten keine andere Wahl.
Unser Vater war so unberechenbar geworden, dass wir es ihm alle zutrauten auch uns etwas anzutun, sollten wir nicht so handeln, wie er es befahl.
Wir liefen dunkle Gänge entlang, Treppen empor und abwärts, so ein Labyrinth war diese Burg, dass wir niemals hier alleine hinausfinden würden.

Als wir schließlich vor einem anderen Zimmer ankamen man ein Zischen, klappern, Dampf bahnte sich seinen Weg unter der Tür hinaus.
Mein Herz schlug immer schneller, es begann in meiner Brust regelrecht zu schmerzen. Ich bekam keine Luft mehr. Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Füße waren wund vom langen Weg. Sie bluteten.

Der Mann, der unser Vater war, hatte ein hämisches Grinsen im Gesicht.
Er trat in den Raum ein, auf sichtlich zufrieden mit sich.
„Ich freue mich euch das Ergebnis meiner Studie präsentieren zu dürfen“, sagte er.

Wir blickten in einen Raum, der einem Wissenschaftslabor ähnelte, überall brodelte, zischte und dampfte es.
Kräuter, Pflanzen und sogar Tiere hingen von der Decke herab.
An der Wand uns gegenüber lag ein großer, ausgehungerter Mann in Ketten. Der Schweiß perlte an seiner Stirn. Er sah erschöpft aus. Seine Kleidung war zerrissen.

Die Stimme unseres Vaters hallte durch den Raum.
„Nach einigen Testpersonen“, er deutete auf einen Berg, zu seiner rechten „freue ich mich sehr euch mein Resultat zu präsentieren.“
Mir wurde schlecht, als ich die verwesenden Leichen sah.
Tobi schob augenblicklich seine Hände vor Monas Augen. Diese weinte und schrie.
„Wir rächen den Tod eurer Mutter, meiner geliebten Frau.“
„Sie ist bei Monas Geburt gestorben, da gibt es nichts zu rächen“, entgegnete jetzt Emma.
Sie war schon immer die stärkste von uns gewesen und in ihrer Stimme schwang nur ein Hauch Angst mit. Mir saß der Schock noch zu tief. Es war ein Wunder, dass meine Beine mich bis hier hergetragen haben.
„Nein ist sie eben nicht. Dieser Mann hier war ihr Doktor und er hat eine hohe Summe an Geld bekommen, um es so aussehen zu lassen.“

Er erzählte weiter: „Erinnert ihr euch noch an die Millers? Sie wollten uns unser Gut abkaufen. Sarah und ich haben uns geweigert, doch sie machten uns ein besseres Angebot nach dem anderen. Je öfter wir ablehnten, desto zorniger wurden sie. Sie haben uns gedroht, doch wir blieben unbeeindruckt. Das war ein Fehler. Sie wussten, dass ich alleine nicht imstande wäre Familie und Gut zu managen und da haben sie ihn hier bestochen.“
Er deutete auf den Mann in Ketten, der zusammen gekauert da lag.
„Er ist Schuld.“

„Bitte vergeben Sie mir!“, schrie der Mann!
Doch unser Vater beachtete ihn nicht.
Er drehte sich wieder zu uns und begann „als damals der Detektiv vor unserer Haustür stand, den ich beauftragte sich der Sache anzunehmen, habe ich mir geschworen sie alle zur Verantwortung zu ziehen. Die Millers als Testobjekte und ihn, der das Leben aus meiner Frau saugte, als Krönung meiner Arbeit.“

Er rührte in einer Flüssigkeit. Blutrot war diese.
„Nach dem Tod von Sarah, hatte ich eine Vermutung, doch ich habe gebetet, dass sie nicht wahr wird. Ihr habt mir halt gegeben, doch als sich mein Verdacht, dass Sarahs Tod geplant wurde, bestätigte, fiel ich in ein Loch. Heute nehme ich Rache.“

Wir standen noch immer wie versteinert da.
Wir konnten ihn nicht aufhalten, wir waren zu klein, zu schwach.
„Meine Experimente zahlen sich endlich aus“, flüsterte er.
„Ein Serum, dass giftgrüne, wird ihm das Augenlicht nehmen, Parkinson verursachen und seine hör Fähigkeiten verschlechtern. So kann er nie wieder Leid verbreiten. Seine Zulassung, die wird er verlieren.“

Er zog das Serum mit einer Spritze auf, blickte uns zufrieden an und begann dem Mann den Inhalt zu injizieren. Er schrie. Wir mussten uns die Ohren zuhalten.

Dann plötzlich zog er eine weitere Spritze auf. Was hatte er jetzt bloß vor? Wollte er etwa einem von uns das Augenlicht entziehen?
Wir mussten hier weg. Panisch blickten wir uns um. Schrien. Schlugen gegen die Tür, versuchten diese einzutreten, doch vergebens.

„Jetzt werde ich dafür sorgen, dass wir alle wieder als Familie in der Ewigkeit zusammen leben. Emma als älteste wirst du zuerst deine Mutter wiedersehen. Das rote Serum, wird euch friedlich einschlafen lassen. Ich war so frei euren Lieblingsgeruch zu verwenden. Der Geruch ist sehr penetrant. Emma Lavendel für dich, Mona Vanille, Tobi Karamell und für dich habe ich Zimt mein Liebling.“ Rot wie die Liebe, wo er doch keine mehr für uns empfand. Schließlich hatte er uns dieses Leben zugemutete. Eingesperrt und angsterfüllt.
Wir rannten, wild durch den Raum.

Tobi zog heftig an der Tür. Mit aller Kraft doch er konnte nichts bewegen.
Er kam mit langsamen Schritten, die Spritze aufrecht in seiner rechten Hand, auf uns zu.

Ssssssccccchhhh beruhigt euch Papa ist ja da“, säuselt er.
Jetzt wurde er auch etwas schneller.
Er konzentrierte sich nun auf mich.
„Mein Liebling, wir waren uns immer so nah.“
Ich bekam Angst, zitterte am ganzen Körper.
Er näherte sich mir. Schritt für Schritt. Nun war er nur noch eine Armlänge von mir entfernt.
Doch da stieß ihn Tobi von mir weg. Er zog den Schlüssel aus dem Kittel unseres Vaters. Dieser befand sich in Sekundenschnelle in der Luft auf dem Weg zu Emma, die mit Mona an der Tür wartete.

Überrascht, rappelte sich unser Vater auf, ich rannte zu ihnen dicht gefolgt von ihm.
Ich stieß einen Kessel um und das Labor begann zu brennen.
Die Kräuter, das Heu, die Leichen, alles brannte in Sekunden lichterloh.

Die Glasgefäße explodierten. Wir waren beim Ausgang angekommen. Doch der Schlüssel klemmte. Er kam näher und näher.

Endlich, die Tür flog auf. Wir rannten weiter, wussten nicht, wo wir uns befanden.


Wir rannten um zahlreiche Ecken, unendlich viele Gänge und Treppen hinab.
Und da war es schließlich. Das Licht der Freiheit. Wir kamen auf einer Wiese an. Doch wo war unser Vater? Jetzt stand das ganze Zimmer in Flammen. Von hier draußen konnte man es ganz deutlich sehen. Wir waren erschöpft und fielen ins Gras.

Auf dem Gras sah man die tänzelnden Schatten der Flammen, die sich ihren Weg durch die Mauern bahnten, uns jedoch nicht mehr erreichen konnten …

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