Von Christian Spellerberg

Vegard stand im prasselnden Regen und hielt das Pergament hoch. „Du wirst der Hexerei bezichtigt, Sophie“, sagte er scharf. Das Wasser lief ihm von der Kapuze ins Gesicht.

Sophie stand in der offenen Tür ihres Hauses, mit einer Hand das Holzkreuz fest umkrallt und starrte Vegard regungslos an. Ihre glutroten Haare hingen ihr in nassen Strähnen in das runde Gesicht. Der Wind wehte eiskalt in durch die offenen Fenster in ihre Stube. „Wer sagt das?“, fragte sie tonlos.

„Das ist egal“, entgegnete Vegard. „Wo ist deine Tochter, Sophie? Wo ist Lenia?“ Ohne die Antwort abzuwarten, schob er sich an Sophie vorbei und deutete den Männern, ihm zu folgen.

Sophie presste sich mit dem Rücken an die Tür und sah wortlos an den zehn Männern vorbei, die in ihr Haus eindrangen. Sie schloss die Tür, strich sich den Rock glatt und räusperte sich.

„Das muss ein Irrtum sein, Vegard. Du weißt, dass das ein Irrtum ist.“  

„Wo ist sie?“, wiederholte der Mann mit gepresster Stimme und trat einen weiteren Schritt auf sie zu.

Sie öffnete stumm den Mund, unfähig, zu sprechen.

Ihre Gedanken waren wie Blei. Schließlich lösten sich ihre Worte wie ein Klumpen nasser Schnee von einem Abhang. „Ich weiß es nicht“, sagte sie und es war kaum mehr als ein Krächzen. „Sie ist seit gestern fort. Ich hoffte, sie sei bei Bauer Markus, aber dort ist sie auch nicht. Sie wollte Beeren pflücken gehen.“ Sie schluchzte. „Meine arme Kleine.“

Vegard nickte einem der Männer zu. „Sucht weiter. Sucht auf dem Boden und im Keller. Sucht, bis ihr irgendwelche Spuren der Hexerei gefunden habt.“ Sein Blick fiel wieder auf Sophie und er funkelte sie an. „Falls es überhaupt etwas zu finden gibt. Ich warne Dich, Sophie. Du wirst der Hexerei angeklagt und deine Tochter ist verschwunden. Noch ist Zeit, zu gestehen, Sophie.“

Ein ferner Schrei in ihr fand schließlich seinen Weg und Sophie durchbohrte den Mann mit wildem Blick an. „Lenia ist verschwunden“, schrie sie und hielt mit bebender Hand dem Mann das Kreuz vor das Gesicht. „Ich bin eine Dienerin des Herrn. Ihr wisst das doch. Ich bin keine Hexe. Wir haben Gott immer treu gedient. ICH habe ihm treu gedient. Fragt die Nachbarn. Fragt das verfluchte Dorf. Ihr habt kein Recht, unser Haus zu durchzusuchen.“ Sie schluchzte. „Ich bin doch unschuldig.“

Plötzlich hob sich langsam ihr Blick und sie funkelte den Mann plötzlich aus ihren blauen Augen triumphierend an. Die Trauer in ihrem Blick war verschwunden. „Sagt mir, wer mich der Hexerei bezichtigt. Aselda? Elis? Wer hat Euch diesen Unsinn erzählt? War es Lenia selbst? Ja. Sie war es. Ich sehe es an Eurem Blick. Sie ist die Sünde. Diese kleine Schlampe. Wo habt Ihr sie versteckt?“

Der Mann im Mantel sah Sophie angewidert an, dann schlug er ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. „Genug jetzt.“

Sophie kreischte und hielt sich eine Hand an das Gesicht, dann ging sie wimmernd in die Knie und ließ das Kreuz fallen.

Vegard spuckte aus. „Thoran. Binde ihre Hände“, befahl er einem seiner Männer. Der Angesprochene holte ein Tau und band Sophie die Hände hinter dem Rücken zusammen.

Der Mann im Mantel kniete sich zu Sophie nieder, die wimmernd auf der Seite lag. „Es wäre klug, etwas zu sagen.“ Sophie sah ihn aus ihren blauen Augen funkelnd an, dann spie sie ihm ins Gesicht. „Ihr seid der Teufel“, schrie sie mit schriller Stimme.

Der Mann kniff die Augen zusammen. „Mein Name ist Vegard, Sophie“, zischte er. „Sprecht IHR nicht vom Teufel. Erklärt mir, warum man euch anklagen sollte, wenn Ihr unschuldig seid?“

Sophie schüttelte nur den Kopf. „Ich versteh das nicht, ich versteh das nicht….“

Vegard erhob sich und straffte seinen Mantel. „Ich hab`genug davon.“

Er pasckte Sophie grob am Arm und zerrte sie nach oben. „Zeig mir ihr Zimmer.“

„Warum?“ fragte Sophie und ihre Augen flackertern. „Sie ist nicht hier.“

„Zeig es mir“, wiederholte Vegard und bog ihren Arm nach oben. Sophie heulte vor Schmerz auf. „Die Treppe hoch“, wimmerte sie.

„Du geht’s vor“, sagte Vegard barsch und schob Sophie vor sich her. Sie stiegen die Holzstiege nach oben und Sohie nickte in Richtung einer Tür. „Dort.“

Vegard nickte, drehte Sophie vor sich und hielt ihr den Zeigefinger unter das Kinn. Du bleibst genau hier neben der Tür stehen und bewegst dich nicht. Verstanden?“

Sophie nickte nur hastig, aber Vegard entging ihr belustigter Blick nicht. Er öffnete die Tür. Dunkelheit. „Thoran. Eine Fackel“, schrie er.  

Jemand polterte die Stufen hoch und Thoran drückte ihm eine Fackel in die Hand. Das Zimmer war karg eingerichtet. An der Wand stand ein schmales Bettgestell, in der Ecke stand die Waschschüssel und ein Holzschrank auf der linken Seite. Es war aufgeräumt. Und voller Staub und Spinnenweben, die sich quer durch das ganze Zimmer zogen. Vegard wandte den Kopf und sah Sophie an, ohne etwas zu sagen. Dennoch schien sie zu ahnen, was er fragen wollte.

„Sie hat unten mit mir in der Stube geschlafen“, erklärte sie achselzuckend. „Und so war sie nie hier drinnen.“

Vegard antwortete nicht und warf einen letzten Blick ins Zimmer. Dann schloss er die Tür. Beim Umdrehen stieß sein Stiefel gegen etwas Kleines und eine kleine Holzmurmel rollte über den Boden. Bevor er sich bücken konnte, hatte Thoran die Murmel gepackt und reichte Sie Vegard. „Danke“, sagte er und betrachtete die kleine Kugel in seiner Hand. Holzmurmeln waren Lenias Lieblingsspielzeug gewesen. Wieviele hatte er ihr schon geschenkt? Er schob sie in seine Tasche.

„Habt ihr etwas gefunden?“, fragte er Thoran, während er Sophie dicht an sich gepresst wieder die Treppe hinuntergingen.

Thoran schüttelte den Kopf. „Nicht viel. Die Männer durchsuchten den Weiher. Sie fanden mehrere Knochen. Sie sind sich nicht sicher ob sie von einem Schwein oder…..“ – er warf einen Blick auf Sophie – „von einem Menschen stammen. Wir haben hinter dem Haus mehrere tote Hühner gefunden, außerdem ein Bündel Hexenkraut. Nein, aber auf dem Nachbarshof scheint ein Pferd und der kleine  Karren zu fehlen. Außerdem hat man dort den Hühnerstall aufgebrochen. Es fehlen drei Hühner und ein Schwein.“

Vegard wischte sich mit einem Tuch das Gesicht ab. „Das ist der Hof von Carissus, oder?“

Thoran nickte. „Ja, aber wir konnten ihn nicht befragen. Er ist verschwunden. Das halbe Haus ist leer. Ist wohl hastig aufgebrochen. Seine Küche war völlig durchwühlt, es fehlt der gesamte Hausrat.“

Vegard hob die Augenbrauen. „Er ist verschwunden?“

Plötzlich flog die Tür auf, ein eiskalter Windstoß fegte in die kleine Stube und ließ das schwache Licht der Kerzen aufflackern. Ein dicker Mann in langem grünen Mantel stolperte herein.

„Schließt die Tür“, brüllte Vegard. Der Dicke schmiss die Tür hinter sich zu, zog die Kapuze herunter und sah Vegard an. Sein Gesicht war bleich wie Mehl und kam dicht an Vegard heran. „Entschuldigt bitte, mein Herr“, flüsterte er. „Ich denke, wir haben etwas. Die Scheune.“

Vegard warf einen kurzen Blick zu Sophie, die sich zu Boden kniete und unter Tränen versuchte, mit ihren gefesselten Händen an das Kreuz zu kommen, das vor ihr am Boden lag.

„Bewacht sie gut“, befahl er Thoran und wandte sich an den Dicken. „Geltha, Ihr geht voran. Thomas kommt auch mit. Und nehmt zwei Fackeln mit.“

Die drei Männer öffneten die Tür und Vegard an der Spitze liefen sie durch den prasselnden Regen über den Hof, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Der Boden war mit dickem Schlick bedeckt und breite Rinnsale suchten sich den Weg von den Hügeln herab in den kleinen Weiher, der zwischen dem Haus und den Feldern lag. Die Scheune lag keine hundert Schritte hinter dem Haus wie ein großes dunkles Tier auf einem Hügel. „Öffnen“, rief Vegard durch den Wind.

Thomas nickte Geltha zu, dann zogen die beiden Männer das Tor auf. Vegard schritt durch den schmalen Spalt in das Innere und zog sich die Kapuze ab. Geltha und Thomas folgten ihm und schlossen von Innen das Tor.

„Licht“ sagte Vegard und Thomas reichte ihm die Fackel.  

Vegard lauschte in die Dunkelheit hinein. Die alten Balken der Scheune bogen sich über ihnen unter dem Wind und der Regen prasselte auf das Dach.

„Was habt ihr gefunden?“, fragte er und seine Stimme klang seltsam gedämpft. Geltha deutete nach vorne und ging an Vegard vorbei. „Dort entlang“, sagte er und ging voraus. Vegard und Thomas folgten ihm, bis sie an der hinteren Wand angekommen waren.

„Ein Heuballen lag auf ihr, deshalb haben wir sie nicht sofort entdeckt“, sagte Geltha und zeigte auf den Boden.

Vegard hielt die Fackel vor sich. Vor ihm gähnte ein Loch im Boden. Eine Falltür. „Was ist dort unten?“, fragte er, aber Geltha schüttelte den Kopf. „Wir wollten auf Euch warten. Eine schmale Leiter führt nach unten.“

Vegard sah Thomas an und reichte ihm die Fackel. „Ich gehe. Gib mir die Fackel wenn ich auf der Leiter bin. Du gehst zurück zum Haus.“

Thomas nickte. „In Ordnung.“

„Also dann.“ Vegard drehte sich um, ließ sich langsam in das Loch im Boden gleiten und tastete mit seinen Beinen die Wände ab, bis er die Stufen einer schmalen Leiter gefunden hatte. Er stieg zwei Sprossen tiefer, hielt sich mit einer Hand an der obersten Sprosse fest und nahm Thomas die Fackel ab.

Langsam stieg er tiefer. Es mochten kaum mehr als zehn Stufen sein und doch war es hier unten deutlich kälter als in der Scheune. Aber es wurde nicht nur kälter. Ein beißender Geruch von Kot und Urin erfüllte die Luft und wurde stärker, je tiefer er kam.

Er erreichte den Boden und hielt die Fackel in die Höhe. Der Gestank war unerträglich. Er holte ein Tuch aus seiner Tasche und presste es sich vor das Gesicht. „Du kannst jetzt kommen“ rief er gedämpft und blickte sich um. Vor ihm führte ein schmaler Weg geradeaus, gerade hoch genug, dass er sich nicht den Kopf an der Decke stieß. Nur einen Augenblick später stand Geltha neben ihm.

„Was in Herrgotts Namen ist das für ein Gestank?“, fragte er würgend und hielt sich den Ärmel seines Mantels vor die Nase.

„Werden wir gleich sehen“, antwortete Vegard bloß. „Den Gang entlang.“

Sie folgten dem schmalen Gang, der schon nach einigen Metern eine Rechtskurve beschrieb und in einem etwas größeren, kreisrunden Raum mündete.

Geltha schien den Gestank vergessen zu haben, denn er ließ langsam den Arm sinken und begann, sich zu bekreuzigen und ein Gebet zu sprechen. Auch Vegard nahm das Tuch ab.

Der Raum war kaum mehr als ein nasses kaltes Kellerloch, das vor langer Zeit einmal als Vorratslager gedient haben mochte. Doch Vorräte gab es hier schon lange nicht mehr. Stattdessen etwas Anderes.

Im roten Licht der Fackel war die Kreidezeichnung kaum noch zu auszumachen, auch waren die Linien unsauber und hastig gezeichnet worden.

In der Mitte des Kreises lagen die Kadaver dreier Hühner inmitten ihres Blutes.  

Vegard achtete nicht auf Geltha und sah sich im Raum um. Irgendwo an der hinteren Wand war noch etwas. Vegard umrundete den Kreis und achtete darauf, das Inneres nicht zu betreten.

An der hinteren Wand entdeckte er ein kleines Regal mit Töpfen, kleinen und größeren Gefäßen und einigen getrockneten Kräutern. Als er in einen der Töpfe hineinleuchtete, entdeckte er die Reste einer roten klebrigeren Flüssigkeit. Angewidert schob er den Topf zur Seite. Er musste nicht daran riechen um zu wissen, dass es Blut war. In einem Krug fand er eine Sammlung von kleineren Knochen, die von einem Huhn stammen konnten. Er sah sich weiter um.

Unweit des Regals lag ein umgeworfener Schemel, daneben eine verdreckte Schüssel mit Holzbesteck sowie ein kleiner Eimer. Je näher er dem Eimer kam, desto stärker wurde der Gestank. Er sah sich um und entdeckte einige zusammengeknüllte Decken am Boden. Ohne in den Eimer zu sehen, dann er eine der Decken und warf sie über den Eimer. Diesen Geruch kannte er. Nachdenklich ging er in die Hocke und nahm die Holzschüssel in die Hand. Jemand hatte hier gegessen. Inmitten all dieser Widerlichkeiten hatte jemand auf diesem Schemel gesessen und gegessen. Neben den Schemeln lag noch etwas. Als Vegard es erkannte, knirschte er unwillkürlich mit den Zähnen. Er achtete darauf, dass Geltha ihn nicht sah, dann rollte er den Gegenstand zusammen und schob ihn unter seinen Mantel. „Geltha, komm her.“

Geltha machte keine Anstalten, sich zu bewegen.

Vegard blickte sich wütend um. „Komm her, sage ich.“

Geltha nickte und stolperte verunsichert auf Vegard zu, ohne den Blick von den toten Hühnern abzuwenden.

Vegard deutete um sich. „Was siehst du hier?“ Geltha faltete die Hände ineinander. „Einen bösen Ort.“

Vegard hielt Geltha seine Fackel hin. „Halt das.“ Er ging an dem Schemel vorbei bis zur Wand, beugte sich und drehte sich zu Geltha um. „Und was ist das?“

Geltha runzelte die Stirn. „Sind das Ketten?“

Vegard nickte. „Fußfesseln. Und sie sind nicht durchgesägt worden. Jemand hat sie mit einem Schlüssel geöffnet.“ Er ließ die Ketten klirrend auf den Boden fallen. „Dort.“ Hastig ging er zur Wand. „Hier ist ein Loch in der Außenwand, deshalb ist es so windig.“ Er ging in die Knie, um nach draußen zu sehen. Der Regen hatte mittlerweile aufgehört. „Hier sind Fußspuren mehrerer Personen. Jemand hat die Bretter der Wand von außen herausgebrochen. Und es ist noch nicht lange her. Los, raus hier. Das Loch ist groß genug für uns beide.“

Er legte sich auf den Boden und zwängte sich bäuchlings ins Freie. Im Freien angekommen, wollte er sich gerade aufrichten, als sein Blick auf etwas fiel, dass im Morast lag. Er stützte sich auf seinen Ellenbogen und tastete danach. Es waren Holzmurmeln, die jemand verloren hatte. Grimmig packte er sie, dann stand er auf und nahm Geltha die Fackeln ab, die dieser ihm durch das Loch reichte. Vegard umschloss die Holzkugeln mit seiner Faust und nun verstand er.

Gemächlich warf er eine der Fackeln zu Boden, wischte sich mit der freien Hand grob den Schlamm von seinem Mantel und sah sich um. Jetzt gab es keinen Grund mehr zur Eile.

Die Spuren führten von der Scheune fort in Richtung des Feldes, hörten aber wie zu erwarten schon nach wenigen Schritten auf. Sie würden bald entkommen sein. Geltha kam hinter ihm aus dem Loch gekrochen und stellte sich mühsam auf.

„Der Regen hat die Spuren verwischt“, sagte er. „Was tun wir jetzt?“

Vegard drehte sich langsam um. „Ich denke, nicht, dass wir noch mehr Beweise brauchen.“

„Das war ein Hexenkreis, nicht wahr? Eine Hexenküche“, fragte Geltha mit ängstlicher Stimme.

Vegard nickte langsam, ohne zu sagen, was er dachte.  „Ja. Ja, das war es. Geh zurück zu den anderen und bringt die Hexe zum Tannenberg.“  

Geltha nickte und lief in Richtung des Hauses.

Als Geltha fort war, schloss Vegard die Augen, atmete die frische Luft ein und steckte die verbliebene Fackel in den weichen Boden. Heute Nacht würde auf dem Tannenberg eine Hexe brennen. Die Zeichen waren schließlich eindeutig. Ein Hexenkreis am Boden, geordnete Töpfe mit etwas Blut, ein paar tote Hühner, hastig in den Raum geworfen.

Er erinnerte sich an Lenia. Sie war klug und hübsch gewesen, vielleicht etwas zu zart für ihr Alter.  Jeder im Dorf hatte sie geliebt. Sie war stets blass und in ihren stets langen Kleidern nur sehr selten im Dorf zu sehen, aber immer freundlich, still und aufmerksam. Das Dorf wusste, dass Sophie außer ihrer Frömmigkeit nicht viel besaß, deshalb hatten Lenia alle häufiger etwas geschenkt. Mal einen Krug Milch, mal eine Schale mit frischem Obst.

Jeder Bauer im Dorf hatte sein eigenes Wappen, mit dem er auch gerne all seine Besitztümer kennzeichnete, von der Kutsche, den Satteln seiner Pferde bis hin zu seinen Tonkrügen.

Vegard kannte das Siegel von Carissus sehr genau. Und auch wenn der Bauer es aus Angst vor Bestrafung durch die Inquisition niemals zugegeben hätte, sah Lenia sah Carissus doch zu ähnlich, als dass es zu leugnen gewesen wäre.

Nachdenklich holte er den Gegenstand unter seinem Mantel hervor, den er in der Scheune gefunden hatte, rollte ihn auseinander und ließ ihn durch seine Hand gleiten. Als seine Finge schließlich den harten Knoten am Ende erreichten, musste er sich unwillkürlich an den Nacken fassen. Die Peitschenhiebe seines eigenen Vaters hatte er nie vergessen. Und auch nicht die Striemen auf Lenias Armen, auf die er einmal einen flüchtigen Blick hatte werfen können, bevor Lenia es gemerkt und ihre Ärmel wieder hastig heruntergezogen hatte.

Er rollte die Peitsche zusammen und steckte sie wieder unter seinen Mantel. Es fing wieder leicht an zu regnen.

Vegard zog die Fackel wieder aus dem Boden. Bevor die Inquisition eintraf und Fragen stellen konnte, würde die gesamte Scheune nur noch ein verkohlter Haufen sein, das Loch unter ihr begraben.

Jemand hatte dort unten etwas versucht und nach etwas gerufen, nach einem letzten atemlosen Weg gesucht, sich zu wehren. Aber es hatte nichts Boshaftes an sich gehabt. Nur Verzweiflung.

Sein Blick fiel auf die schwarzen Hügel der Felder und ihm war es, als würde er undeutlich die Schemen eines kleinen Karrens erkennen, der sich langsam in Richtung des Waldes bewegte. Und daneben die Umrisse zweier Menschen.

Vegard lächelte. Heute würde eine Hexe brennen.