Von Florian Ehrhardt

Laboraufzeichnungen der Forschungsanstalt TR-1846.

Test des neuen Kampfstoffes PA-949.

ACHTUNG: Diese Aufzeichnungen sind streng geheim. Um weiterzulesen müssen Sie mindestens Autoritätsstufe 16 besitzen.

 

Tag 1:  Die vier Probanden haben heute ihre Quartiere bezogen. Zwei Männer, zwei Frauen. Alle vier sind 25 Jahre alt. Alle Probanden erhielten sofort nach ihrer Ankunft eine Impfung. In der Impfung von Proband 1 (männlich) und Proband 3 (weiblich) befand sich 25% PA-949.

 

Tag 2: Leistungstest Nr. 1. Im Sprint, Weitsprung und Ausdauerlauf konnte kein Unterschied zwischen Infizierten und nicht Infizierten ausgemacht werden. Die Ergebnisse der Leistungstests sind dem Protokoll PA-949-1g zu entnehmen.

 

Tag 3: Keiner der Probanden zeigt Symptome. Erwartet waren 48 Stunden nach Einnahme von PA-949: Übelkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit. Die Probanden sind ausgeruht, die Ergebnisse bei den Leistungstests sind nahezu unverändert.

 

Tag 4: Keiner der Probanden zeigt Symptome. Keine besonderen Vorkommnisse.

 

Tag 5: Immer noch zeigt keiner der vier Probanden Symptome. Der medizinische Check-Up belegt die Vermutung von Dr. Atkinson: Proband 2 (männlich) und Proband 4 (weiblich) tragen PA-949 nun ebenfalls im Blut. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden auf Stufe 7 erhöht, Professor Mueller erwägt, dass Experiment abzubrechen. Grund hierfür ist die unerwartete Ansteckungsgefahr. Colonel Wyner betrachtet die bisherigen Ergebnisse allerdings als „höchst interessant“ und drängt auf eine Fortführung des Projekts. Das Kontrollgremium stimmt diesem Vorschlag zu.

 

Tag 6: Leistungstests normal. Keine Symptome. Keine besonderen Vorkommnisse.

 

Tag 7: Die erste Woche des Experiments ist beendet. Mueller drängt auf einen Abbruch. Das Kontrollgremium lehnt mit fünf zu zwei Stimmen ab. Begründung: Sollten sich in einer Woche weiterhin keine Symptome zeigen, wird die Forschung an PA-949 (wie im Protokoll PA-949-1a festgelegt) beendet.

 

Tag 8: Die Probanden zeigen immer noch keine Symptome, wirken aber gelangweilt. Dementsprechend haben sich die Leistungstest bei allen Vier verschlechtert.

Proband 1 hatte einen unruhigen Schlaf.

 

Tag 9: Proband 1 mit Appetitlosigkeit bei Frühstück und Mittagessen. Deutlich verschlechterte Leistungstests bei allen Probanden. Prof. Dr. Henry vermutet, dass die schon früher erwarteten Symptome in den nächsten Tagen bei Allen einsetzen werden. Dr. Mueller sieht in den nun einsetzenden Symptomen ein Zeichen dafür, dass Kontrolle nicht mehr möglich ist. Er drängt darauf, allen vier Probanden das Gegenmittel PA-949-A zu verabreichen. Das Gremium lehnt diesen Vorschlag einstimmig ab. Dem Vorschlag von Col. Wyner, das Experiment nun, da Symptome einsetzen, auf 21 Tage zu verlängern, wird einstimmig zugestimmt.

Alle vier Probanden mit unruhigem Schlaf.

 

Tag 10: Das Frühstück blieb von allen vier Probanden unberührt. Erbrechen bei Proband 1, 2 und 4 nach dem Mittagessen. Die Leistungstests sind stark verschlechtert. Mueller sagt, dass das Experiment nun SOFORT abgebrochen werden müsse. Der Vorschlag wird mit erneut mit fünf zu zwei Stimmen abgelehnt.

 

Tag 11: Proband 1 ist tot. Er hat in der Nacht zwischen 4 und 5 Uhr plötzlich aufgehört zu Atmen. Bei der Routinekontrolle um 5 Uhr wurde sein Tod eindeutig festgestellt. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden auf Stufe 11 erhöht. Der Präsident wurde informiert. Dem Vorschlag von Dr. Mueller, dass Experiment abzubrechen, wird nun einstimmig zugestimmt. Den drei verbliebenen Probanden wird PA-949-A verabreicht. Laut Tests ist es zu 80 Prozent wahrscheinlich, dass auch Proband 2 und 4 Sterben werden. Bei Proband 3 ist die Hoffnung größer. Das Labor wird unter Quarantäne gestellt.

 

Tag 12: Proband 2 und 4 kämpfen um ihr Leben. Proband 3 ist auf dem Weg der Besserung. Heilung scheint möglich zu sein. Wyner: „Wir haben einen sehr wirkungsvollen Kampfstoff entwickelt. Da Ansteckungsgefahr besteht, werden wir erneut forschen müssen, um einen Kampfstoff zu entwickeln, der wie PA-949 tötet, allerdings nicht ansteckend ist.“ Er weist auf die Gefahr von einer Epidemie bei hin, wenn PA-949 in dieser Form angewendet wird.

 

Tag 13: Proband 3 ist tot. Sie ist beim Mittagessen vom Stuhl gefallen. Kein Herzschlag war feststellbar.

 

Tag 14: Proband 4 stirbt während des Abendessens. Col. Wyner zeigt Symptome von PA-949. Er wird positiv getestet. Ihm wird PA-949-A verabreicht und er darf das Labor nicht mehr verlassen. Der Präsident ist informiert und veranlasst, Riverview Ville und Quarantäne zu stellen.  

 

Tag 15: Der Sohn und die Frau von Col. Wyner wurden ebenfalls positiv auf PA-949 getestet. Dr. Mueller hat nach Erhalt dieser Nachricht Suizid begangen. Der Präsident hat entschieden, den Bundesstaat Alabama unter Quarantäne zu stellen. Er wird in zwei Tagen eine Ansprache an das Volk halten. In Los Angeles wurde ein Zivilist positiv auf PA-949 getestet.

 

Tag 16: Proband 2 ist nun ebenfalls tot. Aber warum reden wir überhaupt noch von Probanden? Er heißt Mario Weyerman.  In den letzten 24 Stunden wurden über 10.000 Menschen positiv auf PA-949 getestet. Wir sind doch alle nur noch Probanden. Das ist eine Epidemie.

 

Tag 17: Ich bin der letzte Überlebende im Labor. Einige sind krank geworden und daran gestorben, andere haben sich erschossen. Egal ob sie positiv getestet wurden oder nicht. Wer will es ihnen verbieten? Zwei Millionen bestätigte Fälle in den letzten 12 Stunden. Heute Morgen musste ich husten. Mir bleiben – mit viel Glück – noch zwei Tage um das hier für die Nachwelt aufzuschreiben. Wenn es überhaupt eine geben wird. Col. Wyner ist aus den Laborräumen ausgebrochen, aber das war keine Aufgabe für ihn. Die Wachen sind schließlich schon längst abgehauen. Ich merke, wie viel schwieriger es wird, klare Gedanken zu fassen. Wyner hat mir eine Waffe auf den Schreibtisch gelegt. „Wenn es so weit ist, werden Sie die hier brauchen.“ Er war verrückt. Dann hat er sich erschossen. Er war der letzte hier. Also außer mir. Ich habe seinen Körper aus dem Zimmer geschleift. Sein Blut ziert meine Wand. Es geht auf Mitternacht zu, aber ich kann nicht schlafen. Ach ja, der Präsident ist auch tot. Während seine Rede umgekippt. Nach nur drei Worten. Ich musste fast lachen. Niemand hat Kontrolle. Wirklich niemand.

 

Tag 18: Ich bekomme kaum etwas von der Außenwelt mit. Einen Fernsehsender aus Belgien kann ich noch empfangen. Der Nachrichtensprecher hustet Blut und spricht von der Vernichtung von 93% bis etwa 96% der Weltbevölkerung. Dann kippt er um und das Bild wird schwarz. Ich habe Susan versucht, Susan auf dem Handy anzurufen. Kein Netz. Ich wünschte, ich könnte diesen Bericht in die Vergangenheit schicken. Ihnen sagen, dass sie dieses Experiment nie starten sollten. Aber das geht nicht. Es ist zu spät. Ich werde von Stunde zu Stunden schwächer. Ich habe den Aufzug an die Oberfläche genommen. Ich will den Sonnenuntergang sehen. Er ist blutrot und wunderschön. Ich fahre trotzdem wieder in mein Büro, denn nachdem der letzte Lichtstrahl am Horizont verschwindet, wird es dunkel und merkwürdig kalt. Ich werde sterben, aber wenigstens bin ich damit nicht alleine.

Nachtrag: Ich habe ungewohnt ruhig geschlafen.

 

Tag 19: Susan, ich liebe dich!

 

Jacob R. Fredericson, Riverview Ville am 29. April 2018.