Von Daniela Seitz

All that was good, all that was fair, all that was me is gone…

 

„Gehen wir heute zum Karaoke?“, frage ich meine Freundin Sarah und trete von hinten an sie heran.

„Marko…“, ruft sie erschrocken aus, während sie versucht ihre Aktivitäten auf meinen Handy zu verstecken.

Seufzend nehme ich es ihr aus der Hand. Wir sind seit vier Monaten zusammen. Doch seitdem mir ein Mädel beim Karaoke an den Po gepackt hat, kontrolliert sie nicht nur mich, sondern auch mein Handy. Seither habe ich nur einmal gesungen.

„Bei dir kann ich ja nicht sicher sein, wenn ich dich an Sharped dressed Man erinnern darf!“, verteidigt sie ihren Eingriff in meine Privatsphäre.

Sharped Dressed Man war der Song bei dem mir das Mädel an den Po packte. Daher entschuldige ich ihr Verhalten und gehe nicht weiter darauf ein.

„Also gehen wir nun zum Karaoke?“, frage ich das Thema wechselnd.

„Ganz sicher nicht! Du kannst auch unter der Dusche singen!“, bestimmt sie.

Kann ich nicht! Und das weiß sie. Als ich das das letzte Mal getan habe, hatte ich es mit einem ausgewachsenen Nachbarschaftskonflikt zu tun. Das will ich nicht wiederholen.

„Aber wir waren jetzt schon fast vier Monate nicht mehr da. Die haben bestimmt vergessen wie ich aussehe…“, protestiere ich schwach.

„Treib es nicht zu weit, Freundchen, oder…“, beendet sie zwar die Diskussion, aber nicht ihren Satz.

Braucht sie auch nicht. Ich weiß auch so, dass sie mir gerade mit Liebesentzug droht und gebe nach. Doch ich fühle mich so leer und irgendwie ist mir ein großes Stück Lebensqualität abhandengekommen…

 

Sing me a Song, of a lass that is gone, say, could that lass be I?

 

Sarah und ich sind auf den Weg ins Kino. Irgendein Weiberfilm, von dem ich mir nicht mal den Namen gemerkt habe. Da ich mitten im Stadtzentrum wohne, sind das Kino und auch mein Karaoke Pub fußläufig erreichbar. Um genau zu sein, müssen wir an meinem Pub vorbei, um zum Kino zu kommen.

Da Sarah ausgerechnet heute herum gezickt hat, dass sie es als Zumutung betrachtet, überhaupt nur an dem Karaoke Pub vorbei laufen zu müssen, sind wir spät dran. Doch merkwürdigerweise konnte ich mich diesmal durchsetzen, obwohl sie einen astreinen Wutanfall deswegen hatte. Es ist einfach der kürzeste Weg zum Kino und wir sind zu spät. Nach einem Blick auf die Uhr muss Sarah dies wohl auch aufgegangen sein.

„Mensch Marko, warte!“, ruft es hinter mir, als wir gerade den Pub passiert haben.

Ich drehe mich um und finde mich bereits in einem lautstarken Begrüßungsritual wieder. Arme schließen sich um mich und heben mich hoch. Soweit man einen 1,95 m Mann mit 98 kg eben hoch heben kann, wenn man nur 1,75 m groß ist, wie mein bester Freund Hector.

Hector ist vor drei Jahren aus beruflichen Gründen weggezogen und hat leider meistens sogar keine Zeit um zu telefonieren. Daher schickt er mir normalerweise eine Whats App, wenn er in der Stadt ist.

Völlig überrumpelt erfülle ich meinen Teil der Begrüßung, hebe ihn ebenfalls hoch und springe lautstark mit ihm im Kreis. Sarah ist das peinlich, obwohl die Passanten uns kaum Beachtung schenken. Doch das ist unser Ritual. Mit niemand sonst würde ich mich so aufführen.

Wir stellen gleichzeitig zwei unterschiedliche Fragen:

„Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du in der Stadt bist?“

„Warum bist du so spät?“

Hector antwortet schneller als ich.

„Ich habe dir Bescheid gesagt. Wie üblich, über Whats App. Du hast zwar nicht geantwortet, ab die Nachricht wurde gelesen. Ich ging davon aus, dass du mir antwortest, wenn es dir zeitlich nicht passt. Da du das nicht hast, habe ich auf dich gewartet“, sagt Hector.

Eine Erinnerung an Sarah mit meinem Handy bricht sich ihre Bahn. Sie wird doch nicht…

„Ich bin Sarah. Marko und ich haben Kinokarten reserviert. Daher müssen wir jetzt gehen!“, holt Sarah die bisher fehlende Vorstellung eigenmächtig nach. Sie gibt Hector nicht die Hand.

„Aber Marko und ich sind das beste Karaoke Duo ever. Du musst uns beide unbedingt „Dont let the sun go down on me“ singen hören“, versucht Hector sie umzustimmen.

Hector hat einen Charme, den sich Sarah anscheinend nicht entziehen kann. Denn sie reagiert anders, als sie es bei mir tun würde.

„Jetzt?“, fragt sie entsetzt.

„Ja, jetzt! Das Kino läuft euch nicht weg. Marko lass uns den Pub aufmischen. Ich war eben drin. Der Typ, der gerade am Singen war, kann uns beiden nicht das Wasser reichen! Dem stehlen wir die Show!“, redet Hector uns beide um Kopf und Kragen.

„Ihr zwei wollt anderen also beim Karaoke nur die Show stehlen? Ich wusste es. Marco, du sagst deinem Kumpel jetzt wohl besser Auf Nimmerwiedersehen!“, fordert Sarah von mir.

„Ey, Alte! Was hast du denn für einen Stock im Arsch?“, fängt Hector an auszuteilen.

Ich würde Hector gerne mit logischen Argumenten in dieser Auseinandersetzung helfen. Doch ich habe noch ein Hühnchen mit Sarah zu rupfen.

„Hast du Hectors Nachricht auf meinem Handy gelesen und gelöscht?“, frage ich.

Während ich den Verdacht ausspreche, steigt Wut in mir hoch.

„Das ist ja jetzt wohl nicht dein Ernst! Wieso sollte ich so etwas tun? Du bist doch die Rampensau, die für den Beifall alles tut! Die sich am Beifall solange aufgeilt, bis irgendein Groupie dir an den Po fasst und du sie als Betthupferl vernaschen kannst! Karaoke macht aus dir nur eine nach Aufmerksamkeit lechzende Schlampe und ich…“, ereifert sich Sarah.

„Auf Nimmerwiedersehen Sarah. Hector und ich gehen jetzt zum Karaoke!“, sage ich mit eiskalter Stimme und drehe mich um.

 

Glory of youth, glows in her soul, where is that glory now?

 

„Mensch Marko, was ist denn nur mit dir los? Du hast noch nie den Einsatz so versaut wie eben“, stellt Hector fest, als wir im Toilettenraum stehen. Dass Karaoke ist so laut, dass man sich nur hier unterhalten kann.

Wir haben gerade unsere beste Nummer hingelegt und ich habe sie geschmissen. Sarahs Vorwürfe gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Warum singe ich? Nur wegen des Beifalls und anderen niederen Motiven, die Sarah mir eben vor den Latz geknallt hat? Hector scheint zu wissen, was in mir vorgeht.

„Ey, man, vergiss die Braut! Die hat doch überhaupt keine Ahnung, wer du bist! Außerdem hat sie einen Knall!“

Mit ihm ist es, als wären wir erst gestern zusammen unterwegs gewesen. Als lägen keine drei Jahre Trennung zwischen uns. Mein bester Freund eben. Mann, tut das gut!

„Glaub es oder glaub es nicht. Ich habe jetzt seit fast drei Monaten keinen Ton gesungen“, erkläre ich ihm.

„Boah, scheiße Mann! Da lässt man dich einmal alleine und du verlierst einfach alles, was dich ausmacht. Was hat dieses Weib nur mit dir gemacht? Nicht Singen und das fast drei Monate? Wer bist du?“

„Frankensteins Monster!“, versuche ich einen Scherz zu machen.

„Na dann erwecken wir dich mal zum Leben, Junge. Ich hab dich eben mit dem Skye Boat Song angemeldet. Weißt du noch, als Erica mit mir Schluss gemacht hat? Gibt nix besseres, als alles rauszulassen und über den Schmerz zu singen!“

„Bist du bekloppt! The Skye Boat Song ist viel zu lahm. Der Typ da draußen legt gerade die „Let me Entertain you“ Nummer von Robbie Williams hin. Mit dem Skye Boat Song kann ich das Publikum nach so einer Performance auf gar keinen Fall halten!“, rufe ich entsetzt.

„Du sollst ja auch für dich und deinen Schmerz singen! Also jetzt raus da und los!“, sagt Hector und schiebt mich zur Tür hinaus. Direkt zu meinem Aufruf und einem Wahnsinnsapplaus der Zuschauer für den anderen Typen.

 

Give me again, all that was there, give me the lass, thats gone!

 

Hector spinnt einfach nur! Er war wenigstens besoffen, als er sich damals mit dem Skye Boat Song angeblich den Schmerz von der Seele gesungen haben will. In dem Song geht es um ein Mädchen, das verschwindet. Sehe ich etwa wie ein Mädchen aus? Das wird eine pure Lachnummer. Ein 1,95 m Mann, der sich auf der Bühne fragt, ob er das Mädchen sein könnte, dass verschwunden ist.

Na super! Da muss ich wohl aus der Not eine Tugend machen und gerade mit diesem Widerspruch spielen. Oder hoffen, dass die Zuschauer zu wenig verstehen, um sich „lass“ als Mädchen zu übersetzen. Wenigstens ist der Song nicht allzu lang!

Ich beginne und verliere, wie befürchtet, die Aufmerksamkeit des Publikums. Obwohl ich hier singe und obwohl die Musik zu laut ist, starten alle irgendwelche Unterhaltungen. War ja klar. Dann komme ich zu dem Teil, in dem sich das Mädchen fragt, wo der Ruhm ihrer Jugend geblieben ist und mir schießen die Tränen in die Augen. Wo zum Geier ist mein Ruhm? Das kann ich doch besser.

Plötzlich fällt es mir sehr schwer den Refrain normal zu singen und ich befürchte schon, dass mir meine Stimme wegbricht. Doch passend zur Musik, die bei der Wiederholung des Refrains nun an Fahrt gewinnt, verpasst mein befürchtetes Wegbrechen der Stimme dem Refrain ein so hohes Maß an Emotionalität, dass die Unterhaltungen verstummen und ich die Aufmerksamkeit des Publikums zurück gewinne.

Ich bin mittlerweile in der Strophe, in der das Mädchen feststellt, dass alles, was sie ausmacht nun verschwunden ist. Und jetzt bei diesen Zeilen, fühle ich es. Sarah hat alles, was mich ausgemacht hat, verschwinden lassen, weil alles was mich ausmacht, dass Singen ist.

Nicht zu singen kommt für mich dem Zustand, nicht atmen zu können, gleich!

Ich singe für mich!

Ich bin jetzt und hier. Weil ich singe.

Ich singe, weil ich nur ich bin, wenn ich singe!

 

V2