Daniela Seitz

„Willst du mich heiraten?“

Christian scheint keinen Sinn für Romantik zu haben. Wir stehen in der Disko an der Bar, als er mich das beiläufig fragt. Zwiebelringe kauend. Trotzdem gibt es nur eine Antwort.

„Etwa ohne Ring?“

Er grinst mich an, greift einen Zwiebelring und zieht ihn mir über den Finger.

„Was nicht passt, wird passend gemacht. Wir heiraten also!“, sagt er, während er mich siegessicher küsst. Er kennt mich. Er weiß, dass ich nur darauf gewartet habe.

Neben uns beginnt meine Freundin Nadja zu kreischen und zu applaudieren. Eigentlich ist es viel zu laut, als das sie alles mitbekommen haben kann, aber das „Zwiebelring über den Finger ziehen“, ist ihr wohl nicht entgangen. Auch sie scheint darauf gewartet zu haben.

„Elvira, ich freu mich ja so für euch zwei“, ruft sie uns hinterher.

Denn Christian entführt mich auf die Tanzfläche, wo wir mit einer heißen und professionellen Choreo alle Blicke auf uns ziehen. Kein Wunder, wir sind schon seit fünf Jahren Tanzpartner. Wir verdienen damit Geld.

Als er zur Toilette entschwindet, denke ich mir nichts. Doch Nadja ist ebenfalls verschwunden. Also will ich mein Make-up richten und öffne die Tür zum Damenklo. Und sehe wie Nadja und Christian sich küssen. Schockiert bin ich schon auf dem Rückzug, da remple ich gegen einen sportlichen Mann. Verwirrt bewege ich mich stammelnd rückwärts und stoße nun gegen die Tür, die sich mir erneut öffnet und einen weiteren Blick gewährt.

Auf eine schallende Ohrfeige, die Christian sich von Nadja einfängt. Sein Verrat tut so weh. Doch das Klatschen der Ohrfeige erfüllt mich mit Genugtuung. Und die Loyalität, die Nadja demonstriert, ohne mich bemerkt zu haben, hilft mir, mich Christian zu stellen und auf der Stelle Schluss mit ihm zu machen. Nadja ist bei mir. Als Christian handgreiflich werden will, ist sogar der Mann, den ich angerempelt habe, da und treibt Christian aus dem Raum.

„Was für ein Griff ins Klo! Gut, dass es jetzt aufgeflogen ist, bevor ihr geheiratet habt!“ meint Nadja und nimmt mich in den Arm. Ich löse mich.

„Na im ersten Moment sah es so aus, als wäre es einvernehmlich!“, sage ich kritisch.

„Nein, oh mein Gott, Elvira, nein, er hat mich einfach nur überrumpelt“, schwört Nadja mir „So etwas würde ich dir nie antun!“

Christian hat ein Messer in mein Herz gestoßen. Und es außerdem noch geschafft, Nadja mit Schlamm zu bewerfen, denn trotz der Ohrfeige, regt sich Zweifel in mir. An ihr, in einem Winkel meiner Seele, der nur entstehen konnte, weil Christian mein Herz in zwei Teile gebrochen hat. Und die Kanten dieser Bruchstelle sind scharf. Nadja sieht es. Sie kennt mich.

„Ich kann das nicht ungeschehen machen. Aber ich kann dir in Zukunft helfen, den Weizen von der Spreu zu trennen, indem ich sie auf die Probe stelle, bevor du dein Herz ganz verschenkst!“

„Als eine Art `Griff ins Klo Alarm`?“, scherze ich.

„Als dein Türsteher, an dem kein untreuer Mann vorbeikommen wird!“, verspricht sie mir.

Der Vorschlag hat was. Nadja ist brünett und mit genau den Kurven gesegnet, die ihr in ihrer Modelbranche bereits jetzt den Spitznahmen „The Body“ eingebracht haben, obwohl sie gerade erst angefangen hat. Bei ihr müssen wohl sogar treue Männer schwach werden. Was Christians Verrat nicht entschuldigt. Wer an ihr vorbeikommt, wäre wohl ein Heiliger. Auch gut. So schnell will ich gar nichts mehr von Männern wissen.

Ich nehme sie in den Arm und schwöre sie auf ihre Türsteherarbeit mit einem Reim ein:

 

„Bleib mir treu,

trenn Weizen von Spreu

ein Klogriff ist

wer andere küsst“

 

Okay, nicht mein bester Reim, aber ich muss mich jetzt selbst chearleaden. Wir gehen zurück zur Tanzfläche und Nadja lässt sich von Jens einladen. Der uns nicht mehr von der Seite weicht und mir Christian ein weiteres Mal vom Hals schafft. Irgendwie habe ich heute gleich zwei Türsteher gefunden. Und die zwei einander. Nadja träumt vom Modelleben, Jens von einem eigenen Sportstudio.

****

Nadja hat mittlerweile so einige Männer, die an mir interessiert waren, dem Test unterzogen. Manche sprangen sofort auf sie an, wenn sie nur zwinkerte, an anderen baggerte sie aktiv einen Abend lang herum. Doch über kurz oder lang, fielen alle auf Nadja herein.

Es tat mir meist nicht Leid darum, denn keinem dieser Männer hatte ich mein Herz geschenkt. Doch bei Max ging es mir anders. Wir veranstalteten mehrere Tanzabende in Altenheimen und hatten auch um Freiwillige von außen geworben. Max war ein solcher Freiwilliger. Und einfach nur rührend, wie er mit den alten Damen tanzte. Doch nun stand ihm der Nadja Test bevor.

Doch ihn interessierte Nadja nicht nur nicht, er verbot ihr im Laufe des Abends, nur von Ihrem Beruf zu reden. Denn ihn langweilten ihre Erzählungen. Gut, sie hatte sich tatsächlich verändert und ich sah sie auch nicht mehr oft, seit sie in der Welt herumreiste. Lies ihn Nadjas Veränderung standhaft bleiben?

Max hatte mich schon vor dem Test erobert. Daher war mir egal, ob Max nun der ersehnte heilige Gral war oder ob Nadja schlicht nachlässig geworden war. Bestanden ist bestanden! Wir heirateten und machten uns an die Familienplanung. Nachdem unser Sohn da war, wollten wir noch ein Geschwisterchen für ihn.

Doch nun bleibt Max plötzlich lange auf Arbeit. Und wenn er da ist, ist er irgendwie geistig abwesend. Der Sex wird weniger und stellt somit auch die Familienplanung in Frage. Als ich nachhake, zaubert Max plötzlich das Sportstudio und Interesse am Klettern aus dem Hut. Das widerspricht den ersten Aussagen, er müsse lange arbeiten, also lasse ich mir das Sportstudio zeigen. Und treffe Nadjas Jens wieder. Meinen zweiten Türsteher von damals.

„Ach wie schön! Jens, dich hatte ich ja völlig vergessen! Ist das dein Sportstudio?“

„Elvira, wie geht`s dir? Ja, ich konnte mich mit dem Studio selbst verwirklichen“, erwidert er.

„Nun, der Sport vereinnahmt meinen Mann zu sehr. Da musste ich mal nach dem Rechten sehen!“

„Elvira, du übertreibst aber ganz schön“, protestiert Max.

„Ach, der klettert hier mit Leidenschaft. Aber lass uns zwei doch mal treffen, wenn ich nicht arbeite. Um der alten Zeiten willen!“, schlägt Jens vor.

Also tauschen wir unsere Handy-Nummern aus.

****

Jens ruft spontan an. Er macht Andeutungen, die mich interessieren. Also organisiere ich eine Betreuung für meinen Sohn und fahre abends zum Sportstudio. Als er seine Bürotür aufschließt und mich bittet kurz einzutreten, bin ich jedoch nicht auf den Anblick meines nackten Mannes gefasst, der hinter einer Frau, mit eindeutigen Hüftbewegungen, diese über ein Sofa gebeugt vor Lust schreien lässt. 

Das Messer des damaligen Verrates und mein in zwei Teile gespaltenes Herz war nur ein schaler Vorgeschmack. Max so zu sehen, zersplittert mein Innerstes in unzählbare Stückchen.

`Ein Klogriff ist, wer andere küsst`, denke ich.

„Max, was tust du…“, sage ich mit ersterbender Stimme, als die Frau besonders laut wird.

„Er hört dich nicht. Warte kurz…“, sagt Jens und geht zum Lichtschalter.

Dann macht er das Licht aus. Mir ist übel. Wie soll ich die völlige Zersplitterung aushalten? Was bleibt von meinen Herzen übrig? Doch die Dunkelheit hilft mir, wie damals Nadjas Loyalität.

„Zieht euch sofort wieder an“, fordere ich.

V2