Von Monika Heil

Peter Wagner lief seine Abendrunde durch den Park. Bei jedem Schritt raschelte das Laub unter seinen Füßen. Hier und da wies es kräftige Farben auf, teilweise begann es zu verblassen. Tief atmete er die würzige Luft ein und aus. Er war ein intelligenter und sportlicher junger Mann. Auf beide Eigenschaften bildete er sich einiges ein. Ein flüchtiger Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass es schon später war, als er geglaubt hatte. Er musste sich beeilen, wenn er noch duschen und pünktlich bei Anita ankommen wollte. Peter zog das Tempo an, verließ den Park und bog in die abendlich-stille Straße ein, in der er wohnte. Während er am Bankgebäude vorbeilief, fiel sein Blick auf die erleuchteten Fenster. Entsetzt registrierte er das Geschehen hinter den durchscheinenden Jalousien.

 

Zur gleichen Zeit schlenderten Karl und Anna Lange, wie jeden Abend, mit ihrem Dackel Richtung Park, in dem Waldis Lieblingsbaum stand. Das alte Ehepaar ging Arm in Arm.

„Hast du das Brot für die Enten?“, fragte er wie jeden Abend.

„Aber sicher“, antwortete sie wie jeden Abend. Waldi zog an der Leine nach rechts und links schnüffelnd.

Herr Lange war pensionierter Polizeibeamter. Frau Lange hatte ihr Leben lang Mann, Haus und Hund versorgt. Sie waren im Laufe der Jahre so sehr aufeinander fixiert, dass sogar ihre Gesichtszüge Ähnlichkeiten aufwiesen. Ihr Gang war synchron, ihre Gedanken liefen in die selbe Richtung.

„Ist das nicht Peter Wagner, der da vorn im Sportanzug?“

„Ja, es scheint so. Sicher hat er ein schönes Mädchen in der Bank entdeckt und flirtet mit ihr. Er ist schon ein rechter Filou.“

Kurz darauf hatten auch sie das Bankhaus erreicht. Mit zwei, drei hastigen Schritten lief Peter auf sie zu und zog Herrn Lange vor das erleuchtete Fenster. Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Da, sehen Sie nur!“ Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das Fenster. Herr Lange hielt die Luft an. Fünf Personen standen mit hoch erhobenen Armen unbeweglich in einer Reihe. „Was sollen wir tun?“

„Sofort die Funkstreife rufen.“ Der pensionierte Polizeibeamte reagierte prompt.

„Ich habe mein Handy nicht bei mir. War ja nur zum Joggen.“

„Und ich besitze keines.“

„Wir brauchen so ein Ding nicht“, erklärte seine Frau, die mit Waldi zu den beiden aufgeschlossen hatte. „Warum?“ Kurze Pause. „Ach du Schreck!“, entfuhr es ihr, als auch sie die Szene in der Bank wahrnahm.

Peter schaute sich um, entdeckte tatsächlich eine der selten gewordenen Telefonzellen. Er stürmte schon schräg über die ansonsten menschenleere Straße, als ihm einfiel, dass er auch kein Geld bei sich trug.

„Haben Sie Kleingeld?“, wandte er sich zurück an das alte Ehepaar, das ihm langsamer folgte.

„Ja, ich.“ Frau Langes Stimme vibrierte. Schwer atmend öffnete sie die Handtasche und kramte ihr Portemonnaie hervor.

„Nun beeil´ dich!“, herrschte sie ihr sonst so liebenswürdiger Ehemann an, wodurch sie noch nervöser wurde. Ihre vor Aufregung zitternden Finger fanden die Münzen nicht gleich. Peter wischte sich Schweiß aus der Stirn und fuhr sich mit einer hastigen Bewegung durch die kurz geschnittenen Haare. Er schaute zurück zur Bank, konnte aus dem jetzigen Blickwinkel jedoch nur das helle Fenster, nicht das Geschehen beobachten. Endlich hielt Frau Lange ein paar Münzen in der Hand und streckte es den beiden Herren hin.

„Wer will telefonieren?“

„Ich rufe die Kollegen an.“

Peter, der schon die Hand ausgestreckt hatte, zog sie wieder zurück. Auch gut. Er nahm die Eingangstür der Bank ins Visier. Was sollte er tun, wenn die Gangster gerade jetzt aus dem Haus liefen? Ein Fluchtauto konnte er nirgends entdecken.

 

„Ja, Heinestrasse 14 – Commerzbank – fünf Geiseln – wie viele Bankräuber? Das konnte ich nicht erkennen. Kommen Sie schnell.“ Von seiner Wichtigkeit überzeugt verließ Herr Lange die Telefonzelle und nahm seiner Frau die Hundeleine ab.

„Die Kollegen kommen gleich.“

Alter Angeber, dachte Peter, sagte aber freundlich: „Hoffentlich kommen die, bevor da drin was Schlimmes passiert.“

Frau Lange kuschelte sich verängstigt an ihren Mann. Waldi nutzte die lange Leine und die Unachtsamkeit seines Herren, die Telefonzelle zu umrunden.

Herr Lange kehrte Autorität heraus.

„Am besten, wir gehen wieder zur Bank. Vielleicht kann Waldi…“

Peter fiel ihm aufgebracht ins Wort.

„Glauben Sie, ich lasse mich von schießwütigen Gangstern übern Haufen knallen? Ihren Köter können Sie doch vergessen!“

Aufgebracht schaute Frau Lange ihn an. Was war denn in den sonst so höflichen jungen Mann gefahren?

„Den Köter nehmen Sie zurück!“, fauchte sie.

„Okay, okay.Entschuldigung“, murmelte Peter, kniete vor Waldi nieder und streichelte dessen glattes braunes Fell.

Als er sich wieder aufrichtete, bog gerade ein Mannschaftswagen der Polizei um die Ecke. Mehrere Uniformierte sprangen heraus.  Waldi blaffte die Männer sofort an. Er konnte nun mal Uniformen nicht ausstehen. Herr Lange erkannte Kommmissar Liedtke, der sich mit einer Flüstertüte in der Hand an die Spitze der Gruppe setzte. Gern hätte er ´seinen Kollegen` ein paar Ratschläge erteilt, blieb aber vernünftigerweise still. Mit wachsender Spannung beobachtete auch Peter Wagner, wie die Polizisten auf das Geschehen hinter den Fenstern starrten, registrierte deren verblüffte Mienen und fand es völlig falsch, dass Liedtke nun zum Eingang ging, dessen Schiebetüren sich automatisch öffneten. Der Kommissar betrat mit zwei Kollegen die Bank, während die anderen den weiteren Verlauf von draußen beobachteten.

„Was soll denn das jetzt?“, wandte sich Herr Lange an den ihm am nächsten Stehenden. In selben Augenblick wurde das Rollo ganz heraufgezogen. Am Fenster erschienen Kommisar Liedtke und fünf fröhliche Bankangestellte.

„Alles in Ordnung“, lachte der Kommissar. „Wir haben die Damen bei ihrer Gymnastikstunde der Betriebssportabteilung gestört.“

Finster blickte Herr Lange den jungen Wagner an.

„Sie haben doch auch die erhobenen Hände gesehen“, rechtfertigte der sich sofort.

“ Drei Minuten Strecken heißt diese Übung“, lachte Liedtke. Und zu den jungen Damen gewandt: „Schließen Sie in Zukunft die Jalousien dicht. Dann kann es keine Missverständnisse geben.“ Er drehte sich zu Peter Wagner um. „Gut beobachtet, junger Mann. Es hätte ja wirklich ein Bankraub sein können. So haben wir es zum Glück aber nur mit alternativen Fakten zu tun, wie mein Chef es ausdrücken würde.“

Peters Miene hellte sich wieder auf. Er verabschiedete sich winkend von der Runde und setzte sich wieder in Trab.

 

„Komm, Anna, das war genug Aufregung für heute. Wir gehen auch nach Hause.“ Langsam setzten sie sich in Bewegung. Als hätte Waldi es verstanden, stoppte er am nächsten Laternenmast und hob sein Bein. Nun war auch er zum Rückzug bereit. Kurz darauf war wieder Ruhe in die kleine Straße eingekehrt.

 

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