Von Monika Heil

 

Es ist kurz nach sieben, als Lauras Wecker klingelt. Verschlafen drückt sie die Ausschalttaste und greift sich dann stöhnend an den Kopf. Was hat Torsten nur für einen Fusel mitgebracht? Torsten! Erschreckt fährt sie hoch, tastet über die Kissen neben sich, reißt die Augen auf – Torsten ist weg! Ungläubig schaut sie sich in ihrem kleinen Schlafzimmer um. Sorgfältig zusammengelegt liegt ihre Wäsche auf dem roten Ledersessel, die Jeans über die Lehne gehängt, die Pumps stehen brav nebeneinander davor. Laura muss grinsen, wenn sie an das Tempo denkt, mit dem sie beide heute Nacht ihre Klamotten auf dem Weg vom Wohn- zum Schlafzimmer von sich geworfen hatten. Sie hätte nicht gedacht, dass Torsten so penibel ist. Woher soll sie es auch wissen? Schließlich haben sie sich erst gestern kennengelernt.

 

Vorsichtig streckt sie ihre Füße aus dem Bett, bleibt einen Moment sitzen, bis sich der kurze Schwindel gelegt hat. Barfuß tappt sie ins Bad. Auch hier – kein Torsten, kein Hinweis, dass sie die letzte Nacht nicht allein verbracht hat. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hat, frühstückt sie ein Aspirin und zwei Tassen Kaffee.

Ihr Telefon läutet. Torsten. Oder?

„Lüneburger“, meldet sich Laura.

»Anja hier. Laura, stell dir vor, der Dreckskerl ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen!« Lautes Schluchzen folgt. Der `Dreckskerl` muss `Mausibär`, der neue Lover ihrer Freundin, sein. Laura kennt ihn nicht und so, wie Anja ihn kürzlich beschrieben hat, verspürt sie auch keine Lust, das zu ändern. Sie hatte gesagt, er sei ein ganz  Lieber, ordentlich und umweltbewusst. Für Laura klang das wie humorlos, pedantisch und geizig.

»Anja, Süße, beruhige dich. Kein Mann ist es wert, dass du um ihn weinst. Habt ihr euch gestritten?«

»Ja, heftig. Weißt du, Mausibär ist ziemlich etepetete und ich hatte die ganze Woche keine Zeit abzuwaschen. Und eingekauft hatte ich auch nicht. Und Mausibär wollte was Schönes kochen …« Immer wieder werden die heraussprudelnden Wörter von Schluchzern unterbrochen. Laura lässt sie reden. »…und als er in die Küche kam, ist er sofort explodiert. `Wie kann man nur in so einem Saustall leben?`, hat er gebrüllt. Ein Wort gab das andere und dann hat er seinen mitgebrachten Wein geschnappt und ist davon gestürmt.«

In Lauras Kopf beginnt ein kleines rotes Licht zu flackern. Sie versucht, es zu ignorieren.

»Anja, der kommt zurück. Du sollst mal sehen …«

»Das glaube ich nicht. Er hat später noch mal aus dem Tico angerufen und gefragt, ob ich auch komme. Aber da habe ich noch gezickt. Er hat dann gedroht, sich eine andere zu suchen und ich habe den Hörer aufgeknallt.«

Jetzt blinken in Lauras Hirn mehrere Alarmknöpfe gleichzeitig. Sie lässt den Redeschwall stumm über sich ergehen, während ihre Gedanken Purzelbäume schlagen.

»Laura, tust du das für mich?«

»Ehm, entschuldige, was hast du gerade gesagt?«

»Ich habe dich gefragt, ob du heute Mittag mit mir ins Restaurant vom Karstadt gehst. Da isst Torsten jeden Mittag das Stammessen und da könnten wir beide …«

Aha, nicht mehr Mausibär. Torsten!

»Anja, sagtest du gerade Torsten?«

»Ja. Warum?«

»Und weiter?«

»Torsten Wagner, der Penible, Penetrante, der Arsch. Warum?«

»Anja, Liebes, tut mir leid. Ich habe gar keine Zeit«, lügt sie, während Wut in heißen Wellen über sie hinweg rollt. Dieser Dreckskerl.

»Laura, bitte!« Anjas Stimme klingt schrill.

»Okay Süße, ich komme mit. Wir werden deinem Torsten-Bärli einen Denkzettel verpassen. Anja bitte vertrau´ mir und hör´  m i r  jetzt mal zu. Ich muss dir was erzählen, das dir nicht gefallen wird.«

Laura berichtet. Anja tobt. Sie besprechen ihre Strategie.

»Übrigens, der Wein war billigster Fusel. Da hast du nichts verpasst. Der Typ ist nicht nur pedantisch, der ist auch geizig.«

»Richtig, er kauft auch seine Lebensmittel bei Karstadt ein. Feinkost gibt es nur, wenn ich bezahle.«

Als sie ihr Gespräch beenden, können beide schon wieder lachen.

 

Pit spielt mit. Lauras Bruder ist immer zu Scherzen aufgelegt. Und er besitzt eine große Kiste mit Kostümierungen und Scherzartikeln. Pit freut sich auf die kommende Stunde, auch wenn er die Vorstellung, in ein Kaufhausrestaurant zu gehen, verabscheut.

 

Schon als sie den Fahrstuhl verlassen, entdecken sie ihn durch die große Glasscheibe. Laut lachend und eng umschlungen wie ein Liebespaar betreten sie den Raum und steuern einen Tisch ganz in Torstens Nähe an. Sie tun, als sähen sie ihn nicht. Das ist auch nicht weiter schwer, denn der junge Mann verbirgt sein Gesicht spontan hinter einer Zeitung. Laura setzt sich mit dem Rücken zu ihm.

 

Als Torsten hinter dem Tageblatt hervorlugt, fällt sein Blick auf strähniges Haar, lieblos mit einer Spange zusammengehalten, die ehemals weiße Bluse wirkt ungebügelt und vergilbt. Das ist nicht Laura, die Fröhliche, die Adrette von gestern Abend. Oder doch? Und wer ist der gammelige Typ, mit dem sie so laut – viel zu laut – lacht? Meine Güte, was ist nur mit den Frauen los? Anjas Küchenchaos fällt ihm ein. Er legt die Zeitung beiseite, tupft sich mit der Serviette die Lippen ab, greift nach seinem Colaglas. Seine Hand erstarrt auf dem Weg zum Mund, während das folgende Geschehen nur scheinbar in Zeitlupe abläuft.

 

Mit strahlendem Lächeln schwebt Anja in das kantinenartig nüchterne Restaurant, stoppt plötzlich, wirkt überrascht. Laura springt auf. Die Frauen begrüßen sich lautstark, wenden ihren Blick, wie zufällig, zum Nebentisch. Pit lächelt süffisant, während Torsten regungslos auf seinem Stuhl klebt, als sei er festgefroren.

»Hallo Torsten«, quietschen Anja und Laura laut und schrill. Er spürt eine Hand, die sich auf seine Schulter legt. Spitze Fingernägel bohren sich durch seine Strickjacke. Torsten verabscheut lange Fingernägel. Er will aufstehen. Nun hindern ihn schon zwei Hände auf seinen Schultern daran.

 

Von den anderen Tischen schauen die Leute herüber. Torsten hasst es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen und die Situation nicht zu beherrschen. Da hört er mit wachsendem Entsetzen:

»Ehm, Anja, kennst du Torsten, meinen neuesten Lover?«

»Aber Laura, das ist doch Mausibärchen, der mir letzte Nacht abhanden gekommen ist, mein Liebhaber seit vier Wochen.«

Nun kommt auch Pit an den Tisch.

»Was soll das, Mädels? Laura, was höre ich da? Du bist mit mir verlobt und hast letzte Nacht …? Darüber sprechen wir noch!« Er wendet sich in scheinbarer Wut zur Bedienung: »Fräulein, der Herr möchte zahlen. Er hatte offenbar einmal Stammessen. Und dann setzen Sie bitte noch eine Flasche Champagner auf seine Rechnung.«

»Schmerzensgeld!«, kreischen die Freundinnen unisono.

»Champagner führen wir nicht, höchstens Sekt«, mault Marie Lehr, die den Ausdruck ´Fräulein` partout nicht leiden kann.

»Auch gut«, lacht Pit.

 

Endlich nimmt Laura die Hand von Torstens Schulter. Als sie ein Tempotaschentuch aus ihrer Tasche zieht, flattert unbemerkt ein Geldschein zu Boden. Anja wirft sich – noch immer lachend – Pit in die Arme. Torsten Wagner begreift nichts. Mit hochrotem Kopf bückt er sich, um sein Portemonnaie aus dem Aktenkoffer zu holen. Schweiß rinnt ihm in den Kragen. Als er den Geldschein entdeckt, greift er blitzschnell zu. Er richtet sich auf, zahlt wortlos – und vor allem – anstandslos die Rechnung.

»Auf Wiedersehen Mausibärchen, tschüß Torstenschatz, tschau, tschau Herr Wagner«, hallt es dreistimmig in seinen Ohren. Erschöpft flüchtet er in den Fahrstuhl.

 

»Na, wenn das kein ärmlicher Abgang war.« Pit führt die Freundinnen zu ihrem Platz zurück und lächelt die Gäste an den anderen Tischen an, als erwarte er Applaus.

Laura zückt ihr Handy.

»So, jetzt muss ich schnell Pia anrufen.«

»Wer ist Pia?«

»Eine Freundin aus meiner Theatergruppe.«

»Aha. Gute Idee.“ Anja hat verstanden.

 

Torsten drückt den Fahrstuhlknopf 1.UG – Lebensmittel. Nur langsam beruhigt er sich. Seine Hand gleitet in die Hosentasche, befühlt den Geldschein. Fünfzig Euro. Seine Miene hellt sich auf. Schmerzensgeld. Spontan disponiert er um, drückt E. Ausgang. Das Feinkostgeschäft liegt genau vis-a-vis.

 

Als er eine Viertelstunde später an der Kasse steht, kann er es noch nicht fassen. Torsten, der Verschwender. Alles nur vom Feinsten und alles geschenkt. Räucherlachs, Gourmetsalate, Baguette, Champagner! Er freut sich auf den Abend ganz allein zu Hause.

»Fünfzig Euro dreiundachtzig.«

Torsten legt den Fünfzigeuroschein auf den Tresen und kramt nach einer Münze. Eine Hand legt sich auf seine Schulter. Schon wieder.

»Entschuldigung, darf ich mal?« Eine junge Frau in einem uniformähnlichen Hosenanzug schiebt ihn freundlich lächelnd beiseite und ergreift den Geldschein bevor die Verkäuferin es tut. Sie hält ihm einen Ausweis vor die Nase. Pia Schmidt, entziffert er den Namen. Was sie murmelt, klingt wie: „Falschgelddezernat«. Aufmerksam betastet sie das Papier, hält den Schein gegen das Licht, prüft. »Ich muss Sie bitten, mitzukommen.« Torsten will widersprechen, alles erklären. Kann es nicht. Wie auch?

»Erst bekomme ich aber fünfzig Euro dreiundachtzig«, schnarrt die Verkäuferin und hält vorsichtshalber die Tüte mit Torstens Einkäufen fest. Er kramt erneut sein Portemonnaie hervor. Seine Hand zittert, als er die Tüte mit den Leckereien in Empfang nimmt.

»Einen schönen Tag noch«, lächelt die Verkäuferin. Zu zweit verlassen sie das Geschäft.

»So, Herr Wagner, das kommt Ihnen jetzt vielleicht vor wie ´versteckte Kamera`. Ist auch so was ähnliches. ´Falschgeld oder kein Falschgeld?` lautet heute das Thema. Passen Sie in Zukunft besser auf, wenn Sie etwas finden, das Ihnen nicht gehört. Schönen Tag noch.« Die junge Frau sprintet los und verschwindet kurz darauf aus seinem Blickfeld.

»Woher wusste die jetzt meinen Namen?«, fragt Torsten die Pflastersteine. Eine Antwort bekommt er nicht.

 

Version 2