Von Lisa Krubeck

Ich liege in der Badewanne. Immer wenn ich bade, denke ich über mein Leben nach: ich habe kleine Flash-Backs. Auch jetzt habe ich einen Flash-Back-Moment.

Ich bin 16 und noch dazu ein Mädchen also kann man sich auch schon mal über das Thema Beziehungen Gedanken machen. Augenblicklich muss ich an meine erste und einzige Beziehung denken, die maßlos scheiterte. Ich schließe die Augen und muss die Erinnerung ertragen, an der ich nichts ändern kann. Ich kann nur über mich lachen, wie unglaublich naiv ich doch vor einem Jahr war. So naiv!

Es begann auf der Abschlussparty unserer Klassenfahrt. Vier Jahre gingen wir gemeinsam in eine Klasse und nie schenkte ich ihm Beachtung, nie schenkte er mir Beachtung. Trotzdem saßen wir hinter dem Mischpult und lauschten der Musik. Keiner von uns hatte große Lust mit den anderen auf der Tanzfläche herumzuhüpfen.

Plötzlich tippte Jeremy mir auf die Schulter. Gerade als ich mich umdrehen wollte, kam mein Kumpel Anton von der Tanzfläche zurück; eine Dose Bier in der Hand und ausgelassen fröhlich. Er ließ sich auf dem Stuhl neben mir fallen und lachte. Ich betrachtete Anton kopfschüttelnd, als er sein Bier herunterkippte und wollte ihn ermahnen nicht so viel zu trinken, doch da sank Jeremys Kopf auf meine Schulter und ich drehte mich zu ihm um.

,,Was soll denn das?“, fragte ich und funkelte meinen Klassenkameraden herausfordernd an. Er schluckte und beugte sich ein wenig vor. ,,Wäre Anton nicht neben uns, ich hätte dich bestimmt geküsst“, murmelte Jeremy mir ins Ohr. Er hörte sich nicht betrunken an, aber er war es. Das wusste ich. Ungläubig sah ich ihm in die Augen, das war übrigens schwer, weil sein Kopf schon ziemlich weit unten hing. Ich sagte, oder eher schrie ich es, da die Musik so laut war: ,,Du verarschst mich, kann das sein?“ Und da sah er mich aus traurigen Augen an und schüttelte betrübt seinen Kopf. ,,Lass uns das draußen besprechen.“

Seufzend nickte er und wir verließen langsam und ungesehen zusammen den Raum. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, was ich denken sollte, wie ich mich nun verhalten sollte. Jeremy lotste mich schweigend zum See und meine Gedanken kreisten vor lauter Verwirrung. Ich hätte dich geküsst. Diese vier Worte flogen in meinem Kopf herum und ich wiederholte sie immer und immer wieder. Langsam liefen wir einen kleinen Strand am See entlang.

,,Du hast das wirklich ernst gemeint?“, fragte ich nach ein paar Augenblicken. Es war eher ein Flüstern, unsicher und überrascht. Er nickte.

,,Also findest du mich gut?“, wollte ich zögernd wissen. Er nickte. Schon wieder.

,,Wie lange schon?“, fragte ich leise. Er stockte, bevor er meinte: ,,Lange genug.“

,,Was heißt das?“, erwiderte ich sofort.,,Das sollte dir erst mal genügen.“ Dabei lächelte er. Es war ein schönes Lächeln, nicht so eins, mit welchem er mich sonst gerne betrachtete. Ich lächelte und musste dabei zittern. Jeremy hatte mein Zittern bemerkt. Plötzlich zog er seine Jacke aus und reichte sie mir. Er hatte nun nur ein T-Shirt an. Protestierend meinte ich: ,,Das geht doch nicht, dann ist dir ja kalt.“ Er zuckte nur lächelnd mit seinen Schultern und erwiderte: ,,Zieh die Jacke an, ich will nicht, dass du krank wirst.“ Etwas unsicher nahm ich die Jacke und zog sie über, sie war mir viel zu groß. Und ein wenig schmolz ich dahin.

In der Badewanne schlage ich mit der Hand aufs Wasser. Sauer auf meine jugendliche Naivität und doch machtlos wissend, dass es ein Jahr später auch nicht unbedingt anders sein würde. Seufzend versinke ich wieder im weichen Badeschaum und ergebe mich meiner Erinnerung.

,,Ich weiß, es war der falsche Weg es dir so zu sagen, aber du kannst mir glauben“, flehte er. ,,Du musst. Was die anderen sagen ist mir so egal. Hast du denn nicht bemerkt, dass ich dich in letzter Zeit  kaum geärgert habe?“ Ich sah weg und fragte: ,,Warum hast du nie etwas gesagt?“

Er schnaubte verzweifelt. ,,Wie hätte ich es dir denn sagen können? Du warst ja nie allein!“

Ich wollte darauf nicht antworten. Unsicher, weil ich keine Ahnung hatte, was ich über das ganze noch sagen konnte, fragte ich: ,,Wollen wir nicht langsam zurück gehen?“

Jeremy lachte ein wenig verzweifelt auf und meinte: ,,Ehrlich gesagt, steh ich aber ohne eine Antwort da.“ Ich wollte mich abwenden, doch er hielt mich am Handgelenk fest.

,,Was willst du denn hören?“, wollte ich nun wissen. Ich flüsterte erstickt.

,,Sag mir, wie du darüber denkst“, murmelte Jeremy. Er klang hoffnungslos. ,,Bitte.“

Nun fing ich an zu stammeln. Ich wollte ihn nicht verletzen. Wer will das auch schon? ,,Ich weiß nicht genau. Es ist alles so unrealistisch und ich kann mir nicht sicher sein, wie sehr der Alkohol aus dir spricht und ob du mich nicht einfach verarschst.“ Jeremy nickte langsam und ließ mein Handgelenk langsam los. Als ich ihm meine Hand entziehen wollte, griff er wieder zu und schrie: ,,Weißt du, wie es in mir drin aussieht?“ Ich schüttelte erschrocken den Kopf. Woher sollte ich das denn auch wissen?

,,Zu neunundneunzig Prozent sagt mein Kopf: küss sie einfach. Doch der eine Prozent hält mich ab, denn er sagt, nein, das will sie doch gar nicht.“

Ich war sprachlos und drehte mich ein wenig zur Seite. Solche Dinge habe ich Jermey noch nie sagen hören, er schien plötzlich so verzweifelt und verletzlich. Und ein weiterer Teil in mir schmolz dahin. Ich konnte nicht beschreiben, warum diese Worte mich nicht kalt ließen. Sie waren irgendwie kitschig und klischeehaft. Und doch wirkten sie.

,,Aber, ich kann mir gar nicht vorstellen, warum ausgerechnet du mich jetzt gut finden solltest!“, rief ich aus. Vielleicht ein wenig zu laut. ,,Soviel Selbstvertrauen solltest du aber haben“, meinte Jeremy sanft, aber bestimmt. In diesem Moment taumelte er ein wenig. Schlafmangel und zu viel Alkohol schienen sich langsam bemerkbar zu machen. ,,Wir sollten vielleicht zurück gehen“, schlug ich besorgt vor. Jermey lachte ein wenig. ,,Schon wieder weichst du mir aus.“ Wir ließen uns auf einer Bank nieder, ein kleiner Abstand war zwischen uns.

Wir sprachen über dies und das, nur Oberflächliches ohne tieferen Sinn. Jeremy rutschte währenddessen immer näher an mich heran.Ich merkte es nicht. Als ich gerade eine Redepause hatte, weil mir nichts mehr einfiel, beugte er seinen Kopf so langsam und doch so schnell zu mir vor. Ich konnte gar nichts tun, denn schon lagen seine Lippen auf meinen. Es war ein kurzer Kuss und ich schreckte zurück. Ich hatte keine Erfahrung und sah Jeremy ein wenig schockiert an.

,,Tut mir leid, aber das musste ich tun“, murmelte Jeremy zerknirscht. ,,Ist doch nicht schlimm“, meinte ich schlicht. Es waren nicht die besten Worte, aber… Was hätte ich denn sonst sagen oder tun sollen?

In der Badewanne könnte ich schreien über die bescheuerten rücksichtsvollen Gedanken meines früheren Ichs. ,,Du hättest NEIN sagen können“, grummel ich vor mich hin.

Plötzlich lag seine Hand auf meinem Oberschenkel und wanderte zu meinen Knien. Ich zitterte ein wenig, diese Art von Berührung war ich nicht gewohnt. Doch irgendwie fühlte es sich auch gut an. Er deutete dieses Zittern so, dass mir noch kalt war und so legte er seinen Arm fest  um mich. Unsere Köpfe waren einander zugewandt.

,,Was erwartest du dir?“, wollte ich wissen und blickte Jeremy fragend in seine Augen. Er flüsterte: ,,Dass du mich wenigstens küsst.“

Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken und schon wieder wusste ich nicht, was ich tun sollte. Sein Kopf war jetzt wieder ganz dich an meinem und ich konnte nur flüstern: ,,Jeremy, ich kann das nicht.“ Innerlich war ich hin und hergerissen. Verlangen gegen Verstand. Doch Jeremy widersprach mir. ,,Du kannst. Bitte, du kannst das!“ Seine Stimme war sanft und beruhigend, doch auch etwas anderes lag darin. Unsere Münder waren nun schon so nah beieinander, als er noch flüsterte: ,,Lass es einfach auf dich zukommen.“

Und dann war es so, als ob ich mich fallen ließ. Der Kuss war heftig und doch sanft und schön. Die ganze Zeit fragte ich mich, was wir hier taten. Aus einem Kuss wurden viele. Ich hatte Angst. Angst davor, wie es nun weitergehen sollte. Aus diesem Grund entwand ich mich ihm.

,,Was ist denn?“, hauchte er.

,,Ich will keine Kurzgeschichte!“, erwiderte ich schlicht und rutschte etwas von ihm weg.

,,Was?“

,,Ich will einen Roman, wenn möglich einen Fortsetzungsroman. Keine Kurzgeschichte die morgen wieder vorbei ist!“

Jeremy schüttelte verwirrt den Kopf und strich mir meine Haare aus dem Gesicht, ehe ich es verhindern konnte, küsste er mich wieder. Und was tat ich? Ich gab mich dem hin. Eigentlich hätte ich spätestens an der Stelle gehen sollen, als er meine Metapher nicht verstanden hatte. Doch ich blieb auf der Bank am See sitzen. Für diesen Moment begrub ich meine Zweifel.

,,Das hättest du nicht tun sollen“, murmele ich in der Badewanne. Doch ich in der Badewanne bin schlauer oder vielleicht auch nur erfahrener, als ich es am See war.

Dieser Begebenheit folgte ein schweigsamer Morgen, zwei schweigsame komplizierte Wochen und der Anfang unserer Beziehung. Ich sagte ja, als er mich dann doch fragte.

Es war niemand da, der so etwas sagte, wie: Wenn jemand etwas gegen diese Beziehung einzuwenden hat, dann bitte jetzt reden oder für immer schweigen, obwohl mich eine Freundin vor dem drohenden Schmerz bewahren wollte. In meinen Augen hatte ich trotzdem keine andere Wahl.

Fünf Monate in denen ich über den Sinn dieser Beziehung grübelte. Fünf Monate in denen ich über die Definition von Liebe nachdachte. Fünf Monate in denen er kein einziges seiner Versprechen hielt. Fünf Monate in denen ich Hoffnung auf einen Roman hatte. Fünf Monate in denen ich ihm viel zu viele Chancen gab.

Lachend schüttle ich meinen Kopf und stelle mal wieder fest, dass ich wirklich verliebt gewesen bin. Ich war verliebt in die Liebe, doch nicht in ihn.

Wie eine Kurzgeschichte, fing die Beziehung offen an, doch ganz untypisch ist das Ende nicht offen, da ich einen Schlussstrich ziehen musste. Aber es ist ja auch meine Kurzgeschichte.