Von Ingo Pietsch

Kommissar Gerhard Otto grub ein Loch in sein Banana-Split-Eis und genoss den Sonnenschein.

Ihm gegenüber saß sein Kollege Jean Zinklär in einer eher ungewohnt dünnen Lederkluft und nippte an einem Milchshake.

Die beiden waren beruflich, wie privat unterwegs.

Ihre Reise hatte sie von Hamburg nach Wien geführt, wo sie jetzt in einem Straßencafe in der Innenstadt saßen.

„Ich errate ihren Blick, Zinklär. Das sind vitaminreiche Bananen, gepaart mit leckerer Schokolade, die dafür sorgt, dass ich nicht unterzuckere.“

Der Kommissar hatte längst jeglichen Versuch aufgegeben, von seinem viel zu hohen Gewicht herunter zu kommen. Wahrscheinlich würde er sich nicht einmal mehr eigenhändig aus dem Metallstuhl befreien können, in dem er saß.

Zinklär schmunzelte bei der Vorstellung.

„Wir haben jetzt unseren Zielort erreicht und wir haben einen Namen. Die genaue Adresse dürfte dann ja wohl kein Problem mehr sein.“

Kaum hatte Otto seinen Satz zu Ende gesprochen, passierte ein älterer Mann in Unterhose ihren Tisch, ging zum Tresen des Cafes und murmelte beständig: „Malaga, Malaga, Malaga.“

Natürlich erregte der Mann einiges Aufsehen.

Die Schaulustigen hatten schon ihre Smartphones gezückt.

Von den Anwesenden erfuhren Otto und Zinklär, dass es sich nicht um den ersten Fall dieser Art handelte.

„Ist das Zufall oder Schicksal, dass wir auf solche skurrilen Vorfälle treffen und sind wir der Auslöser dafür?“, Otto aß sein Eis zu ende.

Kurze Zeit später traf die Polizei ein und nahm den verwirrten Mann in Gewahrsam.

Otto bot ihnen ihre Hilfe an, speziell die von Zinklär und nach kurzer Rücksprache mir ihrem Vorgesetzten, nahmen die Polizisten sie mit auf die Wache.

 

Otto und der zuständige Chefinspektor blickten durch die Scheibe des Verhörraumes, in dem sich der Mann, dem man eine Decke umgehängt hatte, Zinklär und ein Sicherheitsbeamter befanden.

„Und es gibt wirklich keine Zusammenhänge bei den Fällen?“, wollte Otto wissen.

Der Chefinspektor schüttelte den Kopf: „Sie wohnen alle in unterschiedlichen Wohngegenden. Sind nicht verwandt oder befreundet. Verschiedene Geschlechter und Hautfarben. Nichts.“

Otto schlürfte an einem Calippo-Eis.

Der Inspektor sah ihn argwöhnisch an: „Beim Essen kann ich mich am besten konzentrieren. Achtung: Zinklär legt gleich los.“

Sie sahen, wie Zinklär seine Handschuhe abstreifte und den Mann flüchtig berührte. Das reichte schon aus, um ihn sehen zu lassen, was ihm als letztes passiert war. Der Mann stand immer noch unter einer Art Bann. Bei den anderen Opfern hatte sich das nach ein paar Tagen gelegt und sie konnten sich an nichts erinnern. Zinklär taumelte zurück.

Der Sicherheitsbeamte brachte ihn nach draußen.

„So etwas habe ich noch nie erlebt. Als wäre ich vor eine Wand gelaufen. Ich sah nur schattenhaft eine verschwommene Gestalt, die ihm Befehle gab. Die Person ist mental stark begabt und hat ihre Fähigkeit gut unter Kontrolle. Die Erinnerungen an sie versteckt sie hinter einem Psycho-Block, der nicht so leicht zu durchbrechen ist. Ich tippe darauf, dass, der oder die Gesuchte entweder geschult ist oder sehr jung. Oder sogar beides. Gerade in der Jugend sind solche Fähigkeiten sehr stark ausgeprägt.“ Zinklär sprach aus eigener Erfahrung.

Er fuhr fort: „Trotzdem sah ich das Foto einer Schulklasse. Ich glaube, der Mann ist Lehrer.  Und ich vermute, dass ihm einer seiner Schüler das angetan hat.“

Ein weiterer Beamter brachte dem Inspektor eine Mappe. Er las sie sich kurz durch und bemerkte: „Sie sind wirklich gut. Der Mann ist wirklich Lehrer. Endlich haben wir mal eine handfeste Spur in dem Fall. Dann mal los zu der Schule. Und sie beiden begleiten mich.“

 

Der Schuldirektor empfing das Trio in seinem Büro.

Otto stopfte sich gerade das letzte Stück eines Eis-Happens in den Mund.

Zinklär hatte es vorgezogen, an einem Regal zu lehnen, die anderen hatten auf Stühlen Platz genommen.

Der Chefinspektor erklärte noch einmal mit knappen Worten, worum es ging.

Der Direktor lehnte sich zurück: „Einer meiner Schüler, soll den zwei Dutzend Leuten, von denen Sie bisher wissen, befohlen haben, Dinge zu erledigen und nur Unterwäsche dabei zu tragen? Wenn, dann, glaube ich, wen sie meinen könnten. Monique, 14. Sie stammt aus dem Sudan. Sie ist mir ihren Eltern hierher gekommen, als sie sechs war. Freundet sich ziemlich schnell mit allen an und setzt fast immer ihren Willen bei Schülern und Lehrern durch. Allerdings halten sich viele von ihr fern, weil sie sie für unheimlich halten. Ich denke eher, sie ist hochbegabt. Ich werde sie holen lassen.“ Er stand auf und gab seiner Sekretärin die entsprechende Anweisung.

Otto schielte nach dem Glas Eiskonfekt, dass auf dem Tisch stand.

Der Direktor bemerkte es: „Bitte bedienen Sie sich.“

Das ließ sich dieser nicht zweimal sagen.

„Wir meinen“, erklärte Otto schmatzend. „dass sie sich vielleicht an ihrem Lehrer rächen wollte, weil ihr etwas an ihm nicht passte. Vielleicht war es bei den anderen auch so. Oder sie wollte nur von ihrer wirklichen Tat zur ablenken.“

„Sie meinen, sie suggeriert ihren Mitmenschen etwas, dass sie dann tatsächlich tun oder glauben? Gibt es so etwas wirklich?“

„Ich brauche bloß etwas zu berühren und schon sehe und fühle ich Vergangenes oder Geheimes. Wenn man das nicht von Klein auf kontrollieren lernt, ist es wie ein Fluch und treibt einen in den Wahnsinn.“ Zinklär zog seine Handschuhe fester.

Es klopfte. Monique trat, begleitet von der Sekretärin, in das Büro.

„Setz dich bitte“, der Direktor wies auf einen leeren Stuhl neben seinem Tisch.

Vorsichtig beäugte sie die drei Männer.

„Die Herren sind von der Polizei und möchten dir ein paar Fragen stellen.“

Schon sprudelte es aus ihr heraus: „Ich war es. Ich gebe alles zu. Ich habe die Menschen beeinflusst. Sie haben mich geärgert oder ausgelacht, weil ich anders bin und eine andere Hautfarbe habe. Sie haben es verdient.“ Sie machte eine Pause: „Es ist doch niemand zu Schaden gekommen, oder?“

Der Chefinspektor schüttelte den Kopf.

„Es wird mit jedem Mal einfacher, jemandem etwas einzureden. Manchmal will ich das gar nicht. Es passiert von ganz alleine. Verstehen Sie das?“

Zinklär nickte: „Ich bin wie du.“

Monique schwieg erst, dann flehte sie: „Sie müssen mich mitnehmen und beschützen. Ich werde von so komischen Typen in dunklen Anzügen verfolgt. Sie wollen mir was antun, das weiß ich. Ich konnte ihnen schon ein paar Mal entkommen, aber sie finden mich immer wieder.“

Wie aufs Stichwort flog die Tür des Büros auf: Drei Männer traten ein und zielten mit Pistolen mit Parabolantenne an der Spitze auf die Anwesenden.

Niemand konnte sich mehr bewegen, geschweige denn reden.

Die drei Männer glichen sich fast bis auf Haar genau einer dem anderen.

Sie steckten ihre Waffnen weg und zerrten Monique mit nach draußen.

„Niemandem wird etwas geschehen“, sagte der Mittlere. „Und Zinklär: Versuchen Sie nicht mehr ihren Vater zu finden, sonst könnte das Böse für Sie enden. Guten Tag, die Herren.“

 

Nach einer Viertelstunde waren die Lähmungserscheinungen verschwunden.

„Wer waren die denn?“, wollte der Chefinspektor wissen.

„Das kann ich ihnen auch nicht sagen. Aber mit so einem Kollegen“, er nickte in Zinklärs Richtung. „Erleben Sie die tollsten Geschichten.“

„Haben Sie hier Überwachungskameras? Dann können wir vielleicht das Kennzeichen des Fluchtautos erkennen“, fragte Zinklär.

„Ja, die werden ja wohl kaum zu Fuß geflohen sein.“ Der Direktor rief wieder nach seiner Sekretärin.

„Ich denke, wir sind ganz dicht dran“, meinte Otto.

„Ja, wir sollten auf keinen Fall aufgeben. Vielleicht klärt sich bald alles.“

Wien schien außer Sehenswürdigkeiten und gutem Essen, auch eine Menge anderer Dinge zu bieten, die Otto und Zinklär in ihrem Urlaub eigentlich nicht unbedingt erleben wollten:

Eine Bedrohung durch Unbekannte und Kindesentführung.

Niemand wusste, was die Männer mit Monique vorhatten.

Zinklär und Otto war ganz flau im Magen, bei der Vorstellung, was sie noch erwarten würde.

Besonders Otto, hatte er mal wieder zu viel gegessen …