Von Michael Voß

„Ach das! S´ nur die Fettfilteranzeige. Die Dunstabzugshaube ist völlig okay.“

„Was heißt das jetzt?“

Harry klipst den Edelstahleinsatz aus dem Gehäuse.

„Das Ding verstopft mit der Zeit. Tu´s inne Spülmaschine. Ich komme morgen vorbei und bau´s wieder ein.“

„Ach Harry, du bist ein Schatz!“, strahlt Trixie. „Magst du noch einen Kaffee?“

„Nur ein´n. Will noch ne´ Runde Moppedfahr´n “, sagt Harry und folgt ihr in den Essbereich.

Dort sitzt eine gestylte Blondine am Tisch und schaut gelangweilt auf ihr Handy.

„Harry, das ist Sabine, Kollegin aus der Bank. Sabine, das ist mein alter Freund Harry.“

Der Blick der Frau ist routiniert – Kurzcheck. Doch dann kommen ihre blauen Augen zurück, gleiten über Harrys Motorradkluft, verharren bei seinen Schultern, ertasten sein Gesicht. 

„Hi.“

Dann greift sie nach dem Latte-Becher und guckt wieder auf ihr Handy.

„Ähm, hi“, sagt Harry. 

Er wechselt noch ein paar Worte mit Trixie, trinkt seinen Kaffee aus und verschwindet.

 

Am nächsten Tag ist Harry wieder da und komplettiert die Dunstabzugshaube. 

„So fertig!“

„Danke, Harry! Kann ich auch mal wieder was für dich tun?“

„Hm.“

„Was denn? Mir kannst du´s doch ruhig sagen!“, ermutigt Trixie ihn.

„Deine Kollegin von gestern, die, also …“

„Sabine? Ich weiß nicht so recht.“

„Warum?“

„Sie, hm … . Naja, wenn sie erst Mal rausgefunden hat, was du für ein Goldstück bist, spielt der Rest keine Rolle mehr. Du solltest ihr nur nicht sofort erzählen, womit du deine Brötchen verdienst.“

„Ja, was dann? Ich will doch nicht mit ´ner Lüge anfangen!“

Trixie schaut ihn durchdringend an: „Vom Lügen habe ich nichts gesagt. Es ist nur ungünstig, wenn sie als Erstes erfährt, dass du verstopfte Abflüsse reinigst.“

Harry wird ärgerlich: „Es ist ein ehrlicher Job!“

„Aber nicht gut angesehen. Wenn du …“

Es klingelt. Trixie geht zur Tür und öffnet.

„Sabine! Was für eine Überraschung!“

„Hi Trixie! Ich brauche unbedingt ein neues Oberteil! Hast du Lust, mitzukommen?“

„Ich habe gerade Besuch.“

„Sie kann doch mitkommen!“

„Es ist keine sie, sondern Harry.“

„Oh! Okaaay.“

„Dann komm´ doch rein, bis wir fertig sind!“

Mit Sabine im Schlepptau kommt Trixie zurück und wirft Harry einen beschwörenden Blick zu.

„Begleitest du uns zum Shoppen?“

 

Es gibt nichts Langweiligeres auf der Welt, aber Harry fasst die Gelegenheit beim Schopf.

„Klar doch!“

 

Die beiden Frauen sind in ihrem Element. Im steten Wechsel zwischen höchster Euphorie und herber Enttäuschung klappern sie Kaufhäuser und Shops ab. Harry ist abgemeldet. Doch als ihm im sechsten Fashion-Store ein unwillkürliches „Wow!“ entfährt, hängen sie an seinen Lippen.

„Echt?“, fragt Sabine.

Harry nickt und sagt: „Steht dir. Richtig gut.“

„Ist es nicht zu dezent?“

„Neben den anner´n Sachen vielleicht. Aber, hrm, bei dem hier gucke ich auch´n zweites Mal hin“, sagt Harry leicht verlegen.

„Die ehrliche Meinung eines Mannes“, kommentiert Trixie.

Sabines Augen leuchten.

 

Trixie lotst sie zum Barista und ordert drei Cappuccino. 

„Du fährst Motorrad?“, fragte Sabine. „Eine Harli?“

Harry zückt sein Smartphone und zeigt ihr ein Foto seines Bikes.

„Uhh! Was ist das? Sieht ja brutal aus!“

„Benelli TNT 1130. Aufgebohrt, Dynojet-Chip und Carbon“, sagt Harry stolz.

Sabines Gesicht ist ein Fragezeichen.

„Eine italienische Maschine, sehr exclusiv“, hilft Trixie aus.

„War die teuer?“

„Kann man so sagen“, brummt Harry.

„Und was für ein Auto fährst du dazu?“, fragt die Blondine und streicht ihr Haar zurück.

„Lass dich doch von Harry zu einer Spritztour einladen, dann siehst du es“, wirft Trixie ein.

„Nächsten Sonntag?“, fragt Sabine erwartungsvoll. 

Harry spürt Trixies Fuß an seinem Schienbein.

„Äh, ja. Ich hol dich ab.“

 

Sonntag. Stumm mustert Sabine Harrys Jeans, Chucks und das schlichte T-Shirt. Doch sie lächelt zufrieden, als Harry ihr die Tür eines Cabrios öffnet. Der Wagen ist geliehen, von Kumpel Kurt.

„Du machst in After-Sales-Service von Wohnobjekten?“, fragt sie.

„Was? Ach so, der Job!“, sagt Harry überrascht. „Hat Trixie dir das erzählt?“

„Ja. Woher kennt ihr euch eigentlich?“

„Sandkasten. Und du?“

Sabine scheint alles und jeden zu kennen. Sie braucht nur ein Stichwort, dann redet sie ohne Punkt und Komma. Die Landschaft fliegt vorbei, ebenso der Nachmittag. Schließlich setzt Harry sie wieder vor ihrer Tür ab. 

 

Nach zwei weiteren Dates dieser Art ruft Harry Trixie an: „Ich weiß nicht. Irgendwie passiert nix weiter. Ob se´ mich wohl doch langweilig findet?“

„Was ist, wenn ihr zusammen seid? Guckt sie nur auf ihr Handy oder unterhält sie sich mit dir?“

„Sie redet immer irgendwas.“

„Dann bist du noch im Rennen. Hast du sie schon ins Lux eingeladen?“

„Den Nobelschuppen? Ne.“

„Mach das. Und zieh dir was Stilvolles an.“

 

Sabine klingt zögerlich, als Harry sie anruft, sagt am Ende aber zu. 

 

Samstagabend. Eine mondän gekleidete Sabine öffnet Harry die Tür.

„Armani? Das hätte ich nicht gedacht! Warum trägst du sowas nicht öfter?“, fragt sie aufgeregt und zupft ihm eine Fluse von Kurts Edel-Sakko.

„Dann wäre es nix Besonderes mehr“, murmelt Harry und führt sie zu – Kurts – Wagen.

Auf dem Weg zum Lux kann Sabine ihre Augen nicht von Harry lassen. Zum ersten Mal redet sie nicht ununterbrochen, sondern fragt ihn nach seinem Lieblingsorten, wo er gerne Urlaub macht und ob er außer seinem Motorrad auch noch andere Hobbies hat.

 

Vor dem Club stehen gutgekleidete Menschen in kleinen Gruppen. Sie lachen, schwatzen, rauchen und halten Ausschau nach Neuankömmlingen. Kurz überfällt Harry die Angst, jemand könne ihn erkennen als den Mann, der davon lebt, verstopfte Klos wieder frei zu machen. Schon wird er eingehend taxiert; ganz besonders von einem gutaussehenden und gepflegten Endzwanziger im Designeranzug. Es ist der Sohn des türkischen Gemüsehändlers aus Harrys Viertel. Er betrachtet Harry mit leicht widerwilliger Bewunderung, erkennt aber nicht den Mann, der ihm neulich seine pfundschwere Goldkette unversehrt aus dem Abflussrohr gefischt hat. Die hübsche Garderobenfrau – der neue Kurz-Küchenblock ist ein Ausstellungsstück vom Möbeldiscounter – sieht Harry sehnsüchtig an, bringt ihn aber nicht mit dem Kerl in Verbindung, der ihr letzte Woche des Nachts die falsch angeschlossene Spüle in Ordnung gebracht hat. 

 

Sabine führt Harry herum und stellt ihn überall vor. Sie ist in Hochstimmung, nimmt Komplimente zu ihrem Outfit entgegen und tauscht Neuigkeiten aus. Dabei weidet sie sich am Neid ihrer Freundinnen, die sich wohl selbst gern von dem kräftigen After-Sales-Manager und Biker Harry ausführen lassen würden. Die Frauen sehen alle toll aus, doch Harry kann ihren Unterhaltungen nicht folgen, die sich um Klamotten, Klatsch und Lifestyle drehen. Auch mit Sabines Freunden kann Harry kaum etwas anfangen. Von Fußball haben die keine Ahnung, von Motorrädern erst recht nicht und quatschen ständig irgendwelchen Business-Kram oder Barbikju. 

 

Zum Glück bleiben sie irgendwann bei einer Gruppe hängen, wo er mit einem Typen ins Gespräch kommt, der genau wie Harry gern klassische Musik hört. Sabine lächelt zunächst, dann schiebt sie sich zwischen die beiden Männer und zupft Harry am Arm.

„Kommst du, Tanzen?“

„Äh, ja.“

Tanzen ist nicht sein Ding. Harry weiß, dass er uncool aussieht, sich bewegt wie ein tapsiger Bär. Zum Glück hat Trixie ihn mal zu einem Grundkurs Disco Fox genötigt. Zwar kann Harry nur den Grundschritt, zwei Drehungen und eine Wechselfigur, aber hier ist er der Star. Inmitten betont langsam auf der Stelle stöckelnder Schönheiten und neben dem Takt stampfender Männer ziehen er und Sabine die Blicke der Umstehenden auf sich. Sabine ist hin und weg. Sie blickt Beifall heischend umher und strahlt zwischendurch immer wieder Harry an.  

Es reicht ihm.

Harry führt Sabine zurück zu ihrer Clique. Dort wirft eine vollschlanke Dunkelhaarige ihm einen lebenshungrigen Blick zu, was Sabine Angriffshaltung einnehmen lässt. Harry fühlt sich immer unbehaglicher, schwankt zwischen Enttäuschung, Belustigung und Ärger. Wie konnte er nur auf diese Barbie abfahren? Warum hat er nicht von Anfang an die Karten auf den Tisch gelegt? Dann hätte sie ihm sofort die kalte Schulter gezeigt und würde jetzt ohne ihn zwischen all den Posern hier herumstolzieren. Und er – ja, er würde heute Abend vielleicht ein Bier mit Kurt trinken. Oder die Benelli polieren. 

Das Schauspiel jetzt zu beenden wäre ihm peinlich. Andererseits: Es würde ihm auch komplizierte Ablösemanöver von Sabine ersparen, die ihm immer mehr auf die Pelle rückt. 

Harry gibt sich einen Ruck.

Egal, was jetzt passiert, ich mach´s, denkt er. 

Die Dunkelhaarige liefert ihm den passende Aufhänger: „Ich wette, du machst im Job auch so eine gute Figur wie beim Tanzen. Als was arbeitest du nochmal?“

„Ich bin selbstständiger Abflussreiniger.“

Jetzt hat er die Aufmerksamkeit der Clique auf sich gezogen.

„Gas-Wasser-Scheiße! Du hast eine Installationsfirma?“, fragt ein auf smart getunter Typ.

„Nein, ich mache verstopfte Abflüsse frei. Duschen, Waschbecken und WC´s. Sozusagen Gas-Wasser-Scheiße ohne Gas.“

Die Clique brüllt vor Lachen.

„Wie cool ist das denn! Was für einen Humor der Kerl hat! Super Gag, Mann!“

Die Dunkelhaarige stellt sich auf die Zehen und küsst ihn flüchtig auf den Mund.

„Du bist ja so witzig!“

Sabine wirft ihr einen tödlichen Blick zu. 

Dann fasst sie Harry an der Hand und säuselt: „Ich will ins Bett. Bringst du mich nach Hause?“

 

Schwein gehabt!, denkt Harry. Er führt Sabine zum Parkplatz und fährt sie auf dem kürzesten Weg bis vor ihre Wohnung.

„Gute Nacht, Sabine.“

„Kommst du nicht mit rauf?“

Harry schüttelt den Kopf: „Nein.“

Sabine ist fassungslos. 

„Was?!“

Als Harry sitzenbleibt, faucht sie: „Dann mach´s dir doch selbst!“ 

Sie knallt die Wagentür zu und stampft zur Eingangstür.

„Und wag es ja nicht, dich nochmal bei mir zu melden!“

 

Harry startet den Motor und fährt nach Hause.

 

Kein Anzug mehr. Außer diesem hier!, denkt er und legt die Biker-Lederkombi für den kommenden Tag zurecht. Der Wetterbericht hat Sonne angekündigt.

 

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