Von Christiane Labusga

Mit der flachen Hand, stellt Easy fest, ist nichts zu gewinnen. Erst, als er die Hand ein wenig krümmt, so dass sie eine kleine Schale bildet, landet etwas Geld in ihr. Von wem es kommt, weiß Easy nicht, denn er hält den Kopf schamhaft gesenkt.

Er hält seinen Kopf sowieso gesenkt. Er hat seine beste Freundin, Gesine, so sehr geärgert, dass sie ihn aus der Wohnung geworfen hat. Er schämt sich. Ihr zu sagen, dass sie einen Sklavenjob macht, weil ihr Chef sie zwar zur Head of Staff gemacht hat, aber trotzdem erwartet, dass sie als Springer arbeitet, hat einen Nerv bei ihr getroffen. Nun steht er hier, auf der Zeil, und hält seine Hand raus.

1 Euro 30, das reicht für ein paar Plastikbier. Ist aber zu wenig, um ihn zurück nach Berlin zu bringen. Er schwankt: Plastikbier oder Berlin? Dann aber entscheidet der größere Schmerz: Berlin!

Ein Penner spricht ihn an: „Ey, Junge, du musst das Kleingeld wegnehmen. Lass nur die 50-Cent in deiner Hand. Du musst deine Kunden erziehen!“

„Ich will doch nur zurück nach Berlin.“

„Gefällt es dir in Frankfurt etwa nicht?“

„Doch, schon, aber ich wohne halt in Berlin. Da sind meine Freunde.“

„Freunde?“, sagt der Penner: „Ick wes nicht!“ Lacht dann. „Na, war nur ein Scherzchen. Ich weiß, was du meinst!“

„Sie kommen auch aus Berlin?“

„Nee, ich hab noch im Berg malocht. Aber nur kurz, war ja dann bald Sense. Neue Zeiten eben.“

„Und dann?“

„Ja, was, hab ja nichts gelernt, außer Maloche. Bin dann nach Mitteldeutschland, weil‘s da ja noch was gab, war aber nix für mich.“

„Ähem, was denn?“

„Na, Call-Center. Kennst‘e doch bestimmt. Bevor jemand Platte macht, macht er doch noch Call-Center.“

„Ich mach nicht Platte, ich will einfach nur zurück nach Berlin“, sagt Easy. Was will der alte Penner von ihm? Seine Lebensgeschichte betonieren? Seit er mit dem Alten spricht, hat niemand etwas in seine Hand gelegt.

„Ja, das höre ich oft. Wir alle wollen immer irgendwohin zurück. Wo es einmal, in ferner Vergangenheit, besser war.“

„Nee, nee, nee, ich nicht. Ich will nur nach Berlin, da ist es auch nicht toll für mich, aber da wohne ich und bekomme Stütze.“

Der Alte lacht, und diesmal lacht er mit entblößten Zähnen, gelb und braun, zwei Lücken: „Stütze! Ich arbeite auf der Zeil! Ich habe sogar eine 3-Zimmer-Wohnung und natürlich eine Steuerberaterin. Halt deine Hand gekrümmt, und ich hole dich heute Abend ab, du kannst bei mir pennen.“

Easy hält sich an den Tipp, nimmt regelmäßig das Kleingeld aus seiner Hand. 23,75 Euro bekommt er so zusammen, vielleicht kann er damit einen Bus nach Berlin bezahlen.

Dann taucht der Alte wieder auf: „Na, was hast du gemacht?“

„Vierundzwanzig Euro.“

„Ja, für einen Anfänger ganz ok, aber du hast weder eine Unterkunft noch gutes Essen verdient – in Frankfurter Verhältnissen gerechnet.“

Easy schaut den Alten fragend an.

„Na, willst‘e unter der Brücke schlafen? Dafür reicht es. Willst‘e dich dummsaufen? Dafür reicht es auch!“

„Nein, ich will doch nur nach Berlin.“

„Ok, ich nehme dich mit nach Hause, da kannst du pennen. Aber nur, wenn du nicht säufst!“

Easy trottet hinter dem Alten her. Er flucht innerlich. Hätte er doch nicht vergessen, seinen Rucksack nach dem Streit mit Gesine mitzunehmen. Easy liebt Gesine wie eine Schwester, aber dass er wegen ihr jetzt hinter diesem Alten hertrotten muss, gefällt ihm nicht.

Sie fahren mit der S-Bahn bis „Louisa“, laufen dann zu einer Schrebergartensiedlung. Easy ist begeistert. Gemüse, Salat und Früchte ziehen für den eigenen Bedarf, er träumt sofort vom Ende der Klimaerwärmung.

„Easy!“, sagt der Alte, ohne zu wissen, dass Easy „Easy“ heißt. „Hier ist auch nicht alles grün, was verwildert ist!“

Aber Easys Begeisterung lässt sich dadurch nicht abschwächen. Sie kommen an einen Garten, in dem eine Frau gerade einen Pflücksalat zupft.

„Gertrud, ich habe einen Gast mitgebracht!“

„Ach, du immer mit deinen Schützlingen! Wer ist es denn diesmal?“

„Einer aus Berlin. Der will dahin zurück.“

„Ja, dann kommt mal rein.“

Sie gehen in die Laube, wo der Alte tief in die Taschen seines Staubmantels greift. Erst jetzt sieht Easy, dass der Mantel schwer nach unten hängt.

Der Alte schaufelt Münzen um Münzen empor, auch Scheine, meist kleine, aber auch einige große.

„680 Euro, ich trag das gleich ein…“, sagt Gertrud.

Easy schaut perplex. 

„Ja, Junge, alles legal, wir zahlen natürlich Steuern. Ich geh malochen, die Gertrud macht die Finanzen. Und natürlich bekommen wir beide am Monatsende Gehalt ausgezahlt aus unserer „Frankfurt Feelgood GmbH“. Wir suchen auch Mitarbeiter. Mitarbeiter, die den positiven Vibe an unsere Kunden weitergeben. Also junge Leute, Leute ohne Vorurteile und mit ein bisschen Demut.“

 „Vibe?“, fragt Easy.

„Ja, klar, Mann. Wer gibt, bekommt direkt einen Dopamin-Schub in seine Hirnzellen. Das ist unser Service!“

„Aber ich will doch nur zurück nach Berlin!“, seufzt Easy.

„Ja, Schätzchen, aber doch nicht mit Zweimarkfuffzich?“, mischt sich Gertrud ein.

„Nee, nee“, sagt der Alte, du kannst hier wohnen, 100 Euro die Nacht. Ich zeig dir, wie‘s Betteln geht, und bekomme 50 Prozent dafür, Dann hast du nullkommanix das Geld zusammen, um nach Berlin zurück zu fahren.“

Verwirrt stimmt Easy zu. Immerhin muss er nichts für die Verpflegung bezahlen, das macht ihn froh, leicht. Vielleicht sind die Leute, mit denen er hier verkehrt, doch nicht schlecht.

Am nächsten Tag lässt er sich von dem Alten alles zeigen, lernt Kniffe, Tricks, lernt, wie er die Hand halten muss und wie seinen Kopf. Er staunt über seinen Erfolg.

Als er am Abend seine 145 Euro präsentiert, schlägt ihn der Alte mit der Faust auf den Hinterkopf: „Was für einen Idioten habe ich da aufgegabelt? Das übersteigt unsere Unkosten! So ein dummer Junge, geh zurück, von wo du herkommst, und wehe, ich seh‘ dich morgen wieder auf der Zeil. Dann gibt‘s Dresche!“

Easy hat gelernt. Nach einer Nacht im Freien bettelt er sich am nächsten Tag 200 Euro zusammen, immer in der Angst, dass der Alte ihn erwischt. Er will ja nur nach Hause. Und das Geld reicht endlich. Sogar noch für ein Thunfischbaguette.

Das Baguette genießt er in Ruhe, schaut den hektischen Leuten zu, die blass und freudlos durch die Zeil eilen. Er ist gar nicht so weit weg von Gesines Wohnung, wie hält sie das nur aus in einer Stadt, die keinen Spaß verträgt? Gerade als er wieder herzhaft in sein Baguette beißen will, schlägt ihm jemand so kräftig auf die Schulter, dass es ihm fast aus den Händen rutscht. Er muss ein bisschen jonglieren und natürlich hält er das Baguette dann zu schräg, ein kleines Salatblatt und ein nicht so kleines Stück Thunfisch fallen auf den Boden. Sofort sind die Zeil-Spatzen zur Stelle.

„Ich hab mir vielleicht Sorgen gemacht die letzten Nächte! Warum bist du denn nicht zurück gekommen?“

Gesine setzt sich neben ihn auf die Bank.

„Hab mir heute extra frei genommen, um nach dir zu suchen. Und jetzt du sitzt hier seelenruhig und tust dein Bestes, die Meere zu entvölkern…“

„Du warst so sauer, da habe ich mich nicht mehr zurück getraut“. Die letzten Wörter lässt Easy mit einem Biss in das Baguette undeutlich werden.

Sie legt ihren Arm um seine Schulter und gibt ihm einen dicken, lauten Schmatz auf die Backe. So wie früher, im Sandkasten.

„Versprich mir, dass du mich noch ganz oft besuchst. Diese Streberstadt hier braucht einen Easy wie dich!“

Noch einmal drückt sie ihn ganz fest, dann klopft sie ihm aufmunternd auf die Schulter: „Los, komm. Du kannst auch im Gehen aufessen. Ich will noch was von meinem freien Tag haben!“

Easy schiebt sich das letzte Stück ganz in den Mund und zerkaut es mit vorgehaltener Hand, damit nichts raus fällt. Ihm ist innerlich ganz warm geworden. Aber nicht vom Essen.

„Was hast du so gemacht die beiden Tage? Frankfurt erobert?“

„Kannn mannn scho schagen“, da ist doch immer noch zu viel Baguette in seinem Mund!

 

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