Von Renate Oberrisser

oder: Ein Plädoyer gegen einen Hype

 

 

Die Story, welche ich euch heute erzählen möchte, erinnert ein klein wenig an eine Groteske. Doch so wahrhaftig ich hier stehe, es könnte sich derartig zugetragen haben. Ich muss es ja wissen! Gelegentlich leide ich wegen meines steifen Halses zwar an einem Tunnelblick, dennoch verfüge  ich über ein bisschen Grips im Köpfchen.

 

Eines Tages, ich döste schon die längste Zeit vor mich hin, dampfte Charly Depotacker wieder einmal völlig haar-gesträubt durch meinen immensen Kleiderschrank .

 

„Zur Krönung würde ich am Liebsten mächtig prächtig ausholen. Mit der flachen Hand gegen die eine oder andere Backe kacheln. Mit so viel Wumms gegen diese Wangen kacheln, dass sie sich drehen. Wie ein Brummkreisel. Wie in einem Bud Spencer Film. Nur ohne Tricks und ohne Reservespieler. Eine einzige Klatsche sollte reichen, um alle flachzulegen“, empörte er sich bärbeißig. „Stattdessen fuchteln die da mit spaltungsirren Geheißen durch die Luft, wie ein Schaufelrad, welches gegen Mücken fächelt.“ Cholerisch huschte er zwischen meinen Klamotten umher.

„Huch“, zuckte ich zusammen. Wochenlang schon total unbelebte Beinkleider ließen mich denken, ich wäre hier wirklich am Hinterteil des Globus gestrandet. Nix los in der Kombüse. Und dann diese Dramatik.

„Was erzürnt bloß dein Naturell so derartig?“, möchte ich ihm entgegnen. Doch leider, meine Stimme war wie immer die der karikierenden Geschichtenerzählerin. 

 

Hellhörig betätigte Charly den Umschalter vom Glotzkasten um vom Bedarfslenkungskanal zum Provinzprogramm zu gelangen.

„Ach Honey! Wo soll uns das bloß hinlotsen“, lamentierte er. „Oh je, oh weh. So eine Hysterie abseits der Regie! Wirrwarr in allen nur erdenklichen Dunstkreisen. Was da noch alles heraufziehen wird, will ich mir gar nicht ausgrübeln?“, stöhnte Charly herum.

 

Auch wenn ich nicht ganz durchschaute, wovon er schwatzte, genoss ich es doch wieder einmal einer menschlichen Stimme lauschen zu dürfen. Und obzwar ich mich von meinen Stoffteilchen nur ungern trennte, ich weinte auch denen nach, die mich ganz und gar nicht herausputzten, wunderte ich mich über das sich hinziehende Desinteresse an meinem Kleiderschrank der letzten Zeit doch sehr.  Sogar ein Besuch von Freund Feinripp erschien mir mittlerweile tröstlicher als eine mögliche Heimsuchung durch fiese Motten. Ich hätte auch nicht die Möglichkeit, wie ein Schaufelrad mit spaltungsirren Geheißen, was auch immer Charly damit gemeint haben könnte, gegen Mücken zu  fächeln.

 

Wo waren insgesamt die abwechslungsreichen Visagen hingekommen, die sonst in meinen Schaukasten spechtelten? Neuerdings zeigte sich jeder mit einem schrill gemusterten Stofftüchlein  über dem Schädel.  Mussten alle eine vermurkste Nasen-OP oder Ärgeres kaschieren? Oder was sonst sollte diese Maskerade bezwecken?

 

Hm? Hatte ich etwas Brisantes verpennt? Es war so ungerecht! Als alleinstehende Schaufensterpuppe musste ich mir ständig alles notdürftig ausmalen.  Um die Mausoleum-Atmosphäre zu vertreiben, ließ Charly immer öfter das Provinzprogramm laufen. Stückchenweise füllte sich mein Indiskretionen-Fundus und endlich ging mir ein Lichtlein auf!

 

  

 

Live aus dem Provinz-Studio – wie immer „vage, geteilt und kitschig“. Sondersendung zum brisantesten Stoff ever: „Tüddelfax oder Samt-Flöhe und  Kla-Motten“.

Es diskutieren der B-Irrtumologe Dr. Prost, der Kanzelredner Herr Murx, seine rechte Hand Herr Dolm und der Antagonist  Herr Zwicker unter Leitung von Frau Tratscher.

 

Tratscher:      

Herr Dr. Prost, worin sehen Sie die Besonderheit der neuen Staffel und wie sehr muss mit einer globalen Ausdehnung gerechnet werden?

 

Prost:             

Laut preziös  fundierten Studien fällt alle 12345 Jahre Weihnachten, Ostern und der Tag des Hl. St. Nimmerleins auf den 30. Februar. Unter diesem Aspekt muss in der neuen Staffel davon ausgegangen werden, dass es gravierende Ausmaße annehmen könnte. Das mögliche  Sammelsurium reicht von Kla-Motten-Invasionen bis Samt-Flöhe-im-Ohr und vieles mehr.

 

Tratscher:                  

Herr Kanzelredner Murx, welche Saubermacher-Methoden sollten am Besten angewendet werden. Gibt es hierzu bereits spaltungsirre Geheiße von Seiten der Regie? Welchen Tatbestand haben  diverse Temperaturmethoden und  der Etikettenschwindel.

 

Murx:             

Wir gehen davon aus, dass mit einem vielfältigen Potpourri gerechnet werden muss. Vorsorglich wird alles ausgeschlossen und eingegrenzt werden. Zur Verwirbelung aller Eventualitäten wurde bereits ein Kla-Motten-Label entworfen. Dieses ausgefeilte Design lässt den Träger wie einen chicen Jäckel erscheinen.  Zur Anschaffung des begehrten Zeugs sollte ausschließlich dem gelben Strich zum Webshop gefolgt werden. Dort ist sämtlicher modische Aufputz und Pomp gegen einen kleinen Unkostenbeitrag fast umsonst erhältlich. Es werden somit alle unnötigen Besorgungsgänge vermieden und keine Folgen mehr versäumt. ( undeutlicher werdend) Beachten Sie bitte die FAQ’s usw.

 

Tratscher:                  

Herr Zwicker, ich sehe bereits, dass Ihnen eine Entgegnung zwischen den Zähnen hängt.

 

Zwicker:         

Wo sind die Belege für Ihre Spekulationen, Herr Murx? Bei welch anderen Ideenfabriken haben Sie noch vorgesprochen.  Eine derartig fadenscheinige Substanz widerspricht jeglicher Schneider-Ehre. Bei diesen Preisen ist jeder Diskurs umsonst. Ich bin ausdrücklich dagegen.

 

Murx: 

Unterschätzen Sie die Nachhaltigkeit nicht, lieber Herr Zwicker. Zur Wiederverwertung kann damit sogar geputzt werden.

 

Zwicker:         

Wenn man von allem nur die Hälfte glaubt und davon auch nur die Hälfte stimmt, ist man mit einem Viertel schon gut bedient. Alles weitere wird das Horoskop zeigen.

 

Tratscher:

Herr Dolm sollte auch einmal zu Worte kommen.

 

Dolm:

Ich liebe dich auch! Willst du mich heiraten? … oh

(Wo hab ich bloß das Drehbuch hingelegt. Blätter, blätter. Schock. Ich bin im falschen Film.)

 

Murx:             

(Flüster: du Vollpfosten, jetzt muss ich wieder improvisieren)

Die Mehrheitsmeinung bestimme noch immer ich. Also drei mal Ja und einmal Nein.

Das hat uns jetzt alle umgehauen, liebe Frau Tratscher. Man muss immer auf alles vorbereitet sein. Koste es, was es wolle. Sie werden in der nächste Kla-Motten-Runde verkleidet.

 

Murx: 

(Flüster: Einerlei ob es was bringt oder nicht. Hauptsache die Quoten stimmen. Besser dieser Joke als gar kein Geistesblitz.)

 

Prost: 

(Flüster: Und vergiss nicht, bei einer Änderung der Windrichtung stehen uns die Hintertüren sperrangelweit offen.)

 

 

Einspielung: Auftritt einiger  Follower mit geringfügigen Repertoire (Papa, Mama, Kind)

 

P: Wow, schaut euch das an! Der Murx und der Zwicker. Das verspricht Spannung pur.

 

K: Mama, Mama. Jammer, jammer. Da schau, eine ekelige Motte.

 

M: Aber Bubi, das ist doch ein Marienkäfer. Schau, der tut dir ja nichts. Der bringt Glück.

 

K: Mama, ich mag keine Motte. Hab Angst vor einer Invasion. Heul, heul.

 

M: Bubi, setzt dir doch das fesche Tüchlein auf. Das hat so eine schöne Farbe. Schau, gleich ist alles wieder gut.

 

P: Bubi, gib Ruhe, ich will das jetzt sehen. Später kannst eh wieder im Sandkasten spielen.

           

K: Papa, Papa. Plärr, plärr. Das mag ich nicht. Das Mädi hat gesagt, Samt-Flöhe kitzeln in den Ohren, aber wer Samt im Getriebe hat, kann vielleicht nicht mehr ‚kacka‘ machen.

           

P: Aber geh, wer redet denn  solchen Unsinn. Samt im Getriebe, dass wäre ja noch schöner.

           

M: Jetzt lass doch den Bubi in Ruhe. Du verwirrst ihn nur. Da ist schon was Wahres dran mit den Samt-Flöhen. Das wurde im TV auch gesagt. Man weiß nie, was noch heraufziehen wird.

           

P: Paperlapapp, dass passt dir in deine Erziehung. Pass auf, dass du keine Kla-Motte aus ihm machst.

           

M: Wenn du so weiter machst, lass ich mich scheiden. Nie bist du meiner Meinung, nicht einmal jetzt. Setz endlich das Stofftüchlein richtig auf, am besten ziehst es gleich über den ganzen Schädel. Obwohl, bei dir ist wirklich alles umsonst, wie ein chicer Jäckel erscheinst du nie.

           

K: Mama, guck! Papa, schau! Da zeigt sich ein Regenbogen am Ende der Wolkenbank.

                       

P: Pst Bubi. Du kennst dich da nicht aus. Du bist zu jung. Horch, jetzt kommen Flöhe ins Getriebe. Wow, was ist den da los. So eine Action, da gibt es Wumms und Klatschen und Brummkreisel. Ich hab es ja gewusst, auf Tüddelfax ist Verlass. Das volle Leben und live auch noch.

 

  

„Ach du mein Allerwertester! Charly hat recht. Man möchte sich gar nicht ausgrübeln, was da noch alles heraufziehen wird. Wo ist er eigentlich die ganze Zeit? Was macht er denn da am Bildschirm. Er wird sich doch nicht so eine Kopftracht besorgen gegangen sein.“

 

  

Ein kleine Nebenhandlung rückt an den Rand des Geschehens. Der Außenhaus-Korrespondent Herr Pelle kommentiert die Einmischung:

 

Ein Regie-feindlicher Vertreter der regionalen City-Outfit-Fraktion, der bekennende Tüddelfax Negierer Charly Depotacker,  stürmt aufgebracht das Studiogelände und fordert Gehör. Bodyguards können sein Veto nur bedingt eindämmen. Im Sprechsolo  verlangt er die  Bekanntgabe der Öffnungszeiten der städtischen Outfit-Shops und den Hinweis auf die kostenlose Verteilung von Stofftüten zur x-beliebigen Verwendung.

 

Schlußeinspielung aus der Regie:

 

Liebe Gucker und Innen, willkommen bei der neuesten Staffel der Tüddelfax Realityshow.  Wie immer und täglich pünktlich um 5 nach irgendwann. Verpasst keine Folge und keinen der unbezahlbaren Tombolapreise (Anruf  nur € 5,-/min.)

 

  

„Hallo, Honey Püppi an Charly. Ich hab genug von den ganzen Faxen bei Tüddelfax. Charly. Charly. Ich fang gleich an zu Schreien.“

 

„Honey, da bin ich wieder. Denen hab ich es aber gezeigt. Eine Klatsche hab ich ihnen angedroht, falls sie weiter die City-Outfit-Läden boykottieren. Jetzt machen wir uns einen schönen Fernsehabend. Chips, Cola und DVD’s. Alles da. Was möchtest du zuerst schauen? Die rechte und die linke Hand des Teufels … Das sind halt noch  richtige Filme.“

„Charly, ob du alleine etwas bewegen konntest?“

 

  

Zu Risiken und Nebenwirkungen dieser Groteske

hinterfragen Sie die Puppenstuben-Logik einer Schaufensterpuppe,

interpretieren Sie nicht nur diverse Tatsächlichkeiten,

sondern entziffern Sie auch Kleingedrucktes.

Idee zu den Hauptfiguren siehe Monatsthema März 2021

 

 

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