Von Maria Lehner

Projektauftrag

(Im Büro eines Software-Entwicklers:)

„Doris, ich möchte, dass Sie zu diesem Vorführtermin in der Haydngasse gehen. Ist das nicht in Ihrer Wohnortnähe?“

„Klar, das ist bei mir gegenüber neben Yossis Tapasbar! Und worum genau geht´s?“

„Pii-vii-ar!“

„???“

„PALM VEIN RECOGNITION!“

„???“

„Ein Sicherheitssystem mit Handvenenerkennung wird vorgeführt.“

„Aha!“

 

 

Projektumfeld

(Eine Personengruppe in einem dieser Zentren, in denen man Lagerflächen mieten kann:)

„Sehr geehrte Damen und Herren, lernen sie PVR kennen: keine Fingerabdrücke, keine Codes, keine Irisdiagnose – alle anderen Verfahren haben Sicherheitslücken. Die flache Hand als biometrisches Merkmal bietet dagegen fälschungssichere Zugangskontrollen.“

„Warum sollte gerade das fälschungssicher sein?“

„Die fünf Millionen Referenzpunkte an ihrer Handinnenfläche machen Sie absolut unverwechselbar.“

„Und warum zeigen Sie uns das hier?“

„Selfstorages sind sieben Tage die Woche 24 Stunden lang zugänglich. Sehen Sie sich den Zulauf an: Hier kommt gerade der elegante Herr im Trenchcoat, da die junge Frau mit dem Kinderwagen. Uns allen genügt der verfügbare Raum nicht mehr, es sammelt sich immer mehr an. Dies ist ein vielgenutzter Ort.“  

 

Projektteam

(In einer Tapasbar in der Stumpergasse in 1060 Wien:)

„Yossi, weißt du schon? Da ist jetzt so ein Versuch im Gange, schau: man sieht es sogar aus deinem Fenster.“

„Was versuchen die?“

„Es geht um ein Sicherheitssystem. Handvenenzugangskontrolle. Die Vorführung war interessant. Der da mit dem Trenchcoat war auch ein Kunde.“

„Ach, der. Er geht mindestens einmal täglich hin Ich sehe ihn vom Fenster aus.“

„Was, so oft? Seltsam!“

„Na, ich hab´ da so eine Theorie und die Leute munkeln auch dies und das…“

 

(Wieder im Büro des Software-Entwicklers:)

 „Also, ich war dort, Chef. Es geht um Folgendes: Nahinfrarotlicht erfasst kontaktlos das Venenmuster in der Handinnenfläche einer Person, das mit dem vorher registrierten Muster abgeglichen wird. Bei jedem Menschen ist das einzigartig.“ 

„Auch bei Zwillingen?“

„Ja, sogar bei eineiigen.“

„Bitte, Doris, eine Kurzerklärung, möglichst simpel, wenn´s geht!“

„Licht wird durch das sauerstoffarme Hämoglobin in den Handvenen absorbiert und das individuelle Bild entsteht: Venen erscheinen als ein schwarzes Muster.“

„Was, wenn ich dort mit einem Toten ankomme?“

 „Die Venenstruktur wird nur dann vom Sensor des Gerätes erfasst, wenn das sauerstoffarme Hämoglobin in den Handvenen aktiv fließt.“

„Und ist es egal, ob man…“ (Man lässt den schüchternen Kollegen Rico wieder einmal nicht ausreden; er kapituliert wie immer und fragt kein zweites Mal).

 

Konzeption

(Erneut in der Tapasbar:)

„Na Yossi: Was gibt´s Neues im geheimnisvollen Lagerraum?“

„Der Trenchcoatman kommt wie immer einmal täglich. Man sagt, er sei der flüchtige Raiffeisenkassen-Betrüger.“

„Was du alles weißt!  Und hier bunkert er die großen Gelder?“

 „Ja, hier mitten im Sechsten. Nicht in Caracas, wo man ihn vermutet. Aber bei mir war er noch nie. Zu wenig mondän.“

 „Und – bin ich etwa nicht mondän?“

„Geh´, Doris! Birkenstocksandalen, Leggings, Schlabberpulli, Strubbelhaar, ungeschminkt.“

„Ich kann auch anders.“

„Na, das will ich sehen!“

„Gimme five, Yossi!“

 

Änderungsmanagement („Change“)

Doris kauft ein, was ihrer Vorstellung von „mondän“ entspricht: eine Corsage, flaschengrün; einen Rock, Leder, seitlicher Schlitz; Seidenstrümpfe mit Mittelnaht; eine weiße Bluse, Größe 36 (normalerweise trägt sie „38“, also sitzt die Bluse knapp); High Heels, schwarz; einen Lockenstab; Haartönung, kastanienrot; ein Schminkköfferchen; einen Flacon „Roma“ von Laura Biagotti.

Sie vereinbart einen Termin im Nagelstudio und organisiert das Ausleihen eines Rollstuhls. Sie besorgt ein Blutdruckmessgerät, K.-o.-Tropfen und ein blutdrucksteigerndes Mittel sowie elastische Plastikfäden.

Doris denkt nach, konstruiert, testet, übt ein, bereitet vor. Sie ist eine andere und das ändert alles.

 

Projektdurchführung

(Was – schon wieder in der Tapasbar?!)

 „Enchanté, Madame!“

 „Servus, Yossi!“

„?!“

„Ja, ja, ich bin´s! Schäm´ dich. Da kommt man jeden Tag her und dann wird man wie eine Fremde begrüßt.“

„Naja, aber du musst zugeben, Doris…“

„… dass ein paar Stoff-Fetzen und Farbtupfer einen Unterschied machen?“

„Umwerfend!“

„Heut krall´ ich mir Mister Trenchcoatman.“

„So wie du aussiehst, ist alles möglich.“

 

(Yossi begrüßt kurze Zeit später die mondäne Frau mit dem schmerzverzerrten Gesicht, die von einem eleganten Herrn im Trenchcoat gestützt wird).

„Gnädigste, tut das zarte Fusserl noch weh?“

„Oh ja! Wenn Sie jetzt nicht gewesen wären, Sie mein Held! Was für ein Glück.“

„Das Glück ist auf meiner Seite, wenn eine schöne Frau mir in den Arm stürzt.“

„Sie Schmeichler, Sie. Und jetzt zwei Tequila, Yo…, äh…Herr Ober!“

„Gerne, die Herrschaften!“

 

(Yossi bringt gerade je ein zweites Glas Tequila und wundert sich):

 „Warum soll ich als Frau nicht technikaffin sein? Ich habe zum Beispiel die Möglichkeit, meine Espressomaschine per Smartphone so zu steuern, dass der Kaffee genau dann fertig ist, wenn wir zwei Schönen mein Appartement betreten. Ich wohne ums Eck. Soll ich einen ordern, was meinst du?“

„Du, das klingt hochinteressant, lass uns gehen! Zahlen, Herr Ober!“

 

 

Projektkritik

(Spätnachts vor dem Storage-Center:)

„Meine Güte! Drei Einsatzwagen! Was seid ihr wieder schlecht koordiniert! Und das wegen einer verschreckten Grellgeschminkten, deren Make-Up zu verlaufen beginnt?“

„Naja, immerhin, der Krankenwagen war wichtig. Der Mann ist leicht desorientiert gewesen. Er sagt, ihm ist kein Schaden entstanden und er will nach Hause. Schau: er zündet sich schon eine Zigarette an.“

„Ja, aber mit der Linken? Ist die rechte Hand verletzt?“

„Nein. Aber vielleicht ist er ein Linkshänder. Ich halt meine Zigarette auch so.“

„Und der Rollstuhl?“

„In dem hat er gesessen, als wir kamen.“

„Aha und was sind das da für Plastikfäden?“

„Keine Ahnung. Wir nehmen sie jedenfalls mit.“

 

(Im Polizeikommissariat im 6. Bezirk:)

„So, ich schalte wieder die Tonaufnahme ein. Ihr letzter Satz lautete: Wir waren bei mir zu Hause und tranken Kaffee, dann Wein. Darin waren die k.o.-Tropfen.“

„Ja: Ich setzte ihn also in den Rollstuhl und rollte ihn durchs barrierefreie Stiegenhaus in den Lift und durch den stufenlosen Hauseingang in Richtung Selfstorage. Ich fuhr ihn bis zum Sensor vor der Box. Seine rechte Hand habe ich mit den weichen Schnüren so gezurrt, dass sie völlig flach lag und gut durchblutet war. Nirgends war sie eingeengt.“

„Weiter, bitte!“

„Und sie war im vorgeschriebenen Abstand zum Sensor positioniert. Wie bei der Vorführung.

Doch es klappte nicht. Kein Piepsen.“

„Was hätte denn klappen sollen?“

„Das System hätte sein Venenmuster erkennen sollen und das Tresorfach öffnen. Ohne Code.“

„Kann denn so etwas überhaupt funktionieren?“

„Sie haben es sogar mit Handschuhen vorgeführt, mit schmutzigen Händen… Aber die Box öffnete sich nicht. Nach drei Versuchen knackte es.“

„Was knackte?“

„Die Eingangstür hatte sich geschlossen und da war dieser Hinweis, dass der Zugang abgewiesen worden war und man die Tür NUR mit dem Sicherheitscode öffnen könnte.“

„Welchem Code ???“

„Ja eben – mit welchem? Nach fünf Minuten ging ein Alarm los. Der Trenchcoatmann schlief trotzdem weiter. Und dann waren Sie ja da!“

 

„Joshua Feidmann, Sie sind der Besitzer der Tapasbar: Sie kennen die Beschuldigte?“

„Mit Vornamen. Doris. Eine der wenigen Stammgäste.“

„Haben Sie eine Annahme, was der Tat vorausgegangen ist?“

„Technisches Interesse wohl und mein blödes Gerede vom Raiffeisenkassenbetrüger. Ich wollte mich damit interessant machen. Mir tut das so leid. Aber der komische Trenchcoatmann, der jeden Tag kommt. Da kommt man ins Spekulieren.“

 

„Laut Arzt sind Sie vernehmungsfähig. Fühlen Sie sich imstande, uns ein paar Fragen zu beantworten?“

„Ja, schon. Es ist okay. Ich erstatte auch keine Anzeige. Ich denke, es war eine b´soffene G´schicht.

„Gut, wie Sie meinen. Was haben Sie so spät noch hier im Selfstorage gesucht?“

„Was ich immer tue. Ich krame in Erinnerungen.“

„Um elf Uhr nachts?“

„Jaaa… altes Zeug. Sachen von früher. Ich komme öfter her.“

„Das haben wir schon gehört. Angeblich jeden Tag. Sie halten sich bitte zur Verfügung, wir haben im Anschluss noch einige Fragen!“

 

(Tags darauf im Schatten eines Hauseingangs im 6. Bezirk:)

„Du, danke fürs Kommen, am Telefon ging das nicht.“

„Was war so wichtig, dass es sofort sein musste? Und ohne Trenchcoat heute?“

„Blöde Geschichte. Es ist was passiert. Ich musste das Fach ausleeren. Das Schwarzgeld ist hier nicht mehr sicher. Da: nimm, bring´ es anderswo unter!“

„Gut. Wie immer über die sieben Länder als Überweisungskette?“

„Ja, okay. Aber rasch weg damit“.

 

(Einige Wochen später in der Justizanstalt Wien-Josefstadt:)

„Bitte halten Sie Abstand. Kein Körperkontakt. Fünf Minuten Besuchsdauer!“

„Danke dir, Rico. Hätte ich mir nie gedacht, dass du mich besuchst.“

„Naja… Ehrensache unter Arbeitskollegen. Ich hätte mich damals doch nicht abbringen lassen sollen, meine Frage zu stellen. Dann wäre das nicht passiert.“

„Ja, aber weißt du: DAS haben sie bei der Vorführung gar nicht erwähnt.“

„Eben, das wäre dir dann aufgefallen und du hättest noch einmal nachgefragt und… Aber das nützt dir jetzt nichts. Ihnen schon, denn die machen jetzt eine Fehleranalyse: Beinahe wäre deine Fälschung geglückt, wenn nicht bei deinem Trenchcoatman zufällig… wie bei geschätzten 10 Prozent der Nutzer… Das ist eine vernachlässigte Gefahr. Jetzt hat der Anbieter ein zweistufiges Konzept. Man braucht den Code immer. Nicht erst nach dem dritten Fehlversuch. Wegen der Linkshänder.“

(Doris, zornig, enttäuscht und frustriert, schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte).

„Ruhe bitte, sonst endet die Besuchszeit sofort!“

 

 

(Version 3)