von Glädja Skriva

    • Tach, Lea.
    • Wo bin ich?
    • Genauso hatte ich mir dich damals gewünscht. Es schimmert immer noch durch: die lustigen Grübchen, deine Wärme in den Augen, das Hochpusten der Haare aus der Stirn. Ein bisschen aufmüpfig. Von deinen Gummitretern kannst du dich wohl nicht trennen (schmunzelt), auch wenn sie nach Kuhmist stinken? Früher bist du immer auf einem Bein gehüpft. Du warst die beste „Himmel-und-Hölle-Spielerin“ der gesamten Straße.
    • Du kennst mich?
    • Ein bisschen. Ich weiß z.B., dass ein Kaugummi an deiner Schuhsohle klebte; eine ziemlich zähe Sorte.
    • Ich habs vermasselt – damals.
    • Du meinst, weil du in Holland und nicht in Italien gelandet bist? Aber du hast es versucht. Das zählt.
    • Ich habs nicht durchgehalten. Wieder einmal! Ich bin zurück …
    • Du meinst: zu Frank? Deine Flecken am Hals …
    • Es war ein Unfall. Keine böse Absicht.
    • Du bist verletzt!
    • Du kennst die Narben an meinem Bauch?
    • Ich meine die Narben – an deiner Seele, Lea.
    • Ich male. Es ist wie Balsam. Silke lässt mich immer in ihr Atelier. Ist das nicht schön?
    • Silke? Die Geliebte deines Mannes?
    • Sie ist meine Freundin. Sie lacht mich niemals aus. Und Frank auch nicht. Anders wie die Mädels damals auf der Party.
    • Sie tun dir nicht gut. Silke nicht und Frank auch nicht.
    • Du weißt doch gar nichts!!!
    • Ich habe deinen anonymen Brief gelesen an Alwin. Der Kirchengemeinderat solle sich befassen mit deinem Mann. Er habe in der Gemeinde eine außereheliche Beziehung und das als Prädikant …
    • Das Baby in meinem Bauch. Unser Baby. Ich wollte, dass Frank sich auf sein Kind freut. Ein Papa wird und nicht weiter rumhurt.
    • Du wärst eine prima Mutter gewesen. Von einem Mädchen. Sie wäre die weltbeste „Himmel-und-Hölle-Spielerin“ geworden – wie du. Auch mit diesen Grübchen. Wenn du nicht …
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    • Du magst nicht darüber sprechen?
    • (Weint). Lass mich im Fegefeuer dafür schmoren. Ich habs verdient.
    • Geh, Lea, die Tür ist bereits offen. Siehst du das Licht dort flackern?

     

                          *                    *                    *                    *                    * 

      

     

     

    Als Lea die Tür aufstieß und den Raum betrat, lockten sie sphärische Klänge. Elfengleiche Wesen schlugen Harfe und Zimbeln an. Alle Sehnsucht in ihrem Herzen schien darin aufgehoben zu sein.

    Ein Licht glitt gleißend über die ärmlichen Wände und legte einen goldenen Schimmer auf gesplittertes, morsches Holz. War so die Hölle? Ein Vorgaukeln des Paradieses. Monumental und pompös, um dann, nach und nach die Häßlichkeit des Raumes zu entblättern. Bis man dastand. Nackt und bloß.

    Lea glitt mit ihren Gummitretern auf dem Boden aus, der mit dem Kot der Tiere bedeckt war, die sich in die eine Ecke des Raumes drängten. Diese schienen sich nicht an dem beißenden Uringeruch zu stören. Glotzend mahlten sie gemächlich und zufrieden mit ihrem Maul das Heu, das um sie in hohen Stapeln aufgetürmt war.

    Lea atmete kurz auf. Genauso hatte ihr Zufluchtsort ausgesehen, wenn Frank sie wieder malträtiert hatte. Ein Stall auf seinem Hof. Dort mit dem Geruch frischen Strohs. Mit Kühen, die sich an sie drängten; die sie mochten, wenn sie sich nicht mehr mochte. Und denen sie alles ins Ohr flüstern konnte. Verschwiegen, wie sie waren. Dass sie ihn hasste – hasste, hasste – und sich dafür schämte.

    Sie legte die Arme über ihren Kopf. Ohrenbetäubender Lärm schwoll nun in dem Raum an. Menschen drängten sich. Zerrissen die Kleider. Stinkend die Ausdünstungen. Gegerbt das Gesicht vom Leben auf der Straße und dem Feld. Dazwischen Gelehrte mit vornehmen Gesichtszügen, bei denen sie sich fragte, was diese hier suchten. Angereist in einem langen Zug, getragen von schaukelnden Sänften schreiender Tiere. Eingehüllt in samtene, glutrote Roben, besetzt mit edlen Diamanten. Das Haupt gekrönt. Die Ärmlichkeit des Stallgeruchs würde diese niemals erreichen können. Sie schwebten. Über allem. Machtvoll und Macht gebietend.

    Lea schaute angstvoll zu ihnen auf. Sie, ein Nichts. Niedergestampft. Bis eine Frau auf sie zutrat. Langsam, freundlich, ruhig – und ein Baby in ihre Arme legte. Ihr, die sie doch …

    Schmutzige Finger in Handschuhen aus durchlöcherten Stofffetzen drängten nach dem Kleinen. Gleichzeitig stiegen die Prunkvollen hinab in das Elend dieses Stalles und knieten mit ihrem hoheitsvollen Brokatstoff im Urin und Kot der Tiere. Sich selbst vergessend; nur das Kind im Blick. Lea spürte, dass alles davon auch in ihr war. Die Ärmlichkeit, die sich ausstreckte nach einem Wunder und das Glanzvolle, das sich danach sehnte, in seiner Ärmlichkeit glänzend zu sein – nicht vorgetäuschter Glanz.

    Das Kind zuckte nicht zurück, schaute sie an, suchend, nicht niederzwingend, brabbelte ein wenig, wedelte mit den Armen, lutschte am Daumen. Zufrieden. Bis Lea ihrem Impuls nachgab und es küsste.

    Plötzlich war alles still. Außen – und in ihr.

     

     

     

                        *                    *                    *                    *                    *

     

     

     

    • Lea?
    • Ja?
    • Ich glaube, jetzt kannst du wieder zurück auf das Meer.
    • Ich schaffe das nicht alleine.
    • Du bist nicht alleine, Lea.

     

     

     

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    ©P.S./ Glädja Skriva / Dez.  2016