Von Hans-Günter Falter

„Einmal wie immer?“, fragt der verschwitzte Budenmann, während er die Würstchen auf dem Grill mit einer gleichmäßigen, routinierten Bewegung der Grillzange wendet.
„Ja, einmal wie immer“. Noch während ich mich das sagen höre, erklärt mir meine leicht irritierte innere Stimme, dass ich doch noch niemals hier war. Wieso hab ich das also jetzt gesagt?
Ich fahre oft an diesem Imbiss vorbei, jedes Mal, wenn ich in die Stadt muss. Einmal, manchmal auch zweimal in der Woche. Und ich hatte ab und an überlegt anzuhalten, habe es aber nie getan, weil es entweder nicht mehr weit bis nachhause war, oder weil ich in der Stadt etwas „Vernünftiges“ essen könnte. Je nachdem, in welche Richtung ich gerade unterwegs war.
Etwas „Vernünftiges“ gibt es nämlich, in den Augen meiner Ex, an einem Imbiss-Stand sowieso nicht. Früher sah sie das anders. Da sind wir sogar zusammen zu KFC gegangen, haben Chicken-Wings und Cola ohne Ende konsumiert. Aber das ist lange her. Sehr sehr lange.

Einmal wie immer?, hatte er gefragt und ich habe „Ja“ gesagt. Habe so getan, als ob ich hier Stammkunde wäre. Und es fühlt sich gar nicht schlecht an. Jetzt bin ich gespannt darauf, was ich serviert bekomme.

Auf dem Parkplatz hinter mir brabbelt lautstark ein großvolumiger Motor. Ich drehe mich um. Irgendein amerikanisches Pickup-Monster rangiert umständlich in eine riesige Parklücke und gibt anschließend mehrmalige vollkommen unmotivierte Gasstöße von sich, bevor der Fahrer die Maschine endlich abstellt. Aus dem offenen Fahrerfenster dröhnt nun Countrymusik, die war bei laufendem Motor nicht zu hören. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich unangenehmer finden soll, so ein blubberndes Aggregat oder die jaulende Musik.
Schon beim Nachdenken wird mir schwindelig und ich bereue fast schon hierher gekommen zu sein.

Genau die Sorte Typ, die ich absolut nicht leiden kann, steigt umständlich aus dem Fahrzeug und streichelt dann im Vorbeigehen liebevoll über die Motorhaube.
Wahrscheinlich hätte da aber jetzt jeder aussteigen können, er wäre mir unsympathisch gewesen, denke ich noch etwas weiter hinten in meinem Schädel.

„Johannes, dein Essen ist fertig“. Unwillkürlich drehe ich mich um. Der Verkäufer schiebt einen Teller mit Currywurst und Pommes rot-weiß auf die Theke. Na, jedenfalls hat mein Doppelgänger den gleichen Geschmack wie ich, denke ich, nehme den Teller und stelle ihn auf dem kleinen Stehtisch direkt neben dem Imbisswagen ab.
Jetzt noch ein Bier und die Welt ist wieder in Ordnung, schäumt es mir versöhnlich gurgelnd durch die Birne.
„Hier, dein Bier“, sagt da der Budenmann und reicht mir ein Kölsch über den Tresen.
„Kann der Gedanken lesen? Oder ist es auch einfach nur „wie immer“?“

Ich muss daran denken, was für ein Gesicht meine Frau, also jetzt ja meine Ex-Frau, machen würde, wenn sie mich hier sehen könnte. Ich freue mich diebisch. Fühle mich frei. Endlich. Endlich mal etwas Positives nach diesem elenden Scheidungsstress. Dabei lief es bei uns noch einigermassen zivilisiert ab, wenn ich da so an die Stories von manchen Kollegen denke, diesen endlosen Fortsetzungsgeschichten über ihre Trennungen mit allen Schikanen.
Aber trotzdem, es war ein ziemliches Loch in das ich gefallen bin, habe kein Licht mehr gesehen. Musste erst langsam wieder zu mir finden und mein Leben neu organisieren.
Heute war ich das letzte Mal mit ihr in unserer alten gemeinsamen Wohnung. So viele Erinnerungen.
Die Wohnungsübergabe verlief zum Glück glatt. Ich glaube der Vermieter hatte Mitleid mit uns oder er spürte die leicht angespannte Stimmung. Oder beides. Jedenfalls hatte er keine Beanstandungen, obwohl die Renovierung nicht gerade perfekt war und auch die Küchentür ein paar hässliche Macken hatte. Immerhin, wir wohnten neun Jahre in dieser Wohnung. Und wir waren da auch lange Zeit sehr glücklich.
Jetzt aber bloss nicht noch auf dem Heimweg melancholisch werden, fährt es mir durch den Kopf. Ich atme tief ein und nehme einen langen Zug aus der Kölschstange. Ahh. Leer.

Am liebsten würde ich ja zu Theresa nach Spanien ziehen. Sie hat mich eingeladen. Ich kann jederzeit zu ihr kommen, so lange bleiben, wie ich will, sagt sie. Leider fehlt mir das Geld dazu. Und ich will Theresa nicht auf der Tasche liegen. Mein Spanisch ist zwar gar nicht so übel, aber dort einen Job zu bekommen ist gerade jetzt nicht so ganz einfach.
Meine Träume machen sich selbständig, während ich mir gedankenverloren die Currywurst einverleibe. Oh Theresa!

„Noch ´n Kölsch, Johannes?“, fragt der Imbissbudenmann. Ich drehe mich zu ihm um, aber noch bevor ich reagieren kann, höre ich, wie jemand sagt: „Mach uns zwei“.
An der Theke steht der Fahrer dieser unmöglichen Ami-Karre. Und er sieht auch von nahem betrachtet genauso aus, wie ich es mir gedacht habe: Cowboystiefel, Lederjacke, O-Beine, breites, von unerschütterlichem Selbstbewusstsein gesättigtes Grinsen. Und er riecht nach billigem Aftershave und Zigarettenrauch.

„Du bist ja super pünktlich“, sagt er zu mir und grinst dabei immer noch unentwegt.
Ich sage nichts, aber das stört ihn nicht.
„Die Kiste läuft eins A.“ Er klopft mir kumpelhaft auf die Schulter. Der Budenmann stellt zwei Kölsch auf die Theke, die der andere nimmt. Mit einem „Prost Johannes“, reicht er mir eins davon. Auch dieser Mann scheint mich offensichtlich mit jemandem zu verwechseln. Seltsamerweise reagiere ich auch jedes Mal auf den Namen, obwohl ich gar nicht Johannes heiße, nicht mal so ähnlich.
„Unterkühlt wie immer, unser Johannes“, sagt der Cowboy und schaut dabei zuerst zu mir und dann zum Budenmann, der zustimmend nickt, während er Kölschstangen poliert.
„Es ging alles klar, so wie geplant. Danke Kumpel für dein Vertrauen, das hätte nicht jeder so gemacht.“
„Keine Ahnung, was er meint“, denke ich und weil ich bisher sowieso noch nichts gesagt habe, spreche ich es auch aus.
Der Budenmann und der Cowboy prusten gleichzeitig los, so als ob ich den Witz des Monats erzählt hätte.
„Ja, so ist er. Dieser trockene Humor. Mensch Johannes!“ Der Andere wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel und schüttelt den Kopf. Dann wird er ernst. „Für die Bank war es kein Problem, als ich ihnen die Fahrzeugpapiere gab, ging alles klar. So, wie ich´s mir gedacht hatte. Null Problemo.“
Ich habe zwar immer noch keine Ahnung, worum es geht, versuche aber ein neutrales Gesicht zu machen.
„Dass du mir die Papiere und den Chevy schon vorher gegeben hast, Mann, dafür bin ich dir zu ewigem Dank verpflichtet.“
„Nicht der Rede wert“, sage ich, einfach nur, um was zu sagen und weil es vermutlich passt.
Der Cowboy bekommt schon wieder feuchte Augen, diesmal scheinbar vor Rührung.
„Du bist ein super Kumpel“, sagt er und klopft mir wieder auf die Schulter. „Werd ich dir nie vergessen“. Dann greift er in die Innentasche seiner Lederjacke und holt einen Umschlag heraus, den er neben meinen mittlerweile leergegessenen Teller legt.
Ich nehme ihn mit leicht zittrigen Fingern und schaue interessiert hinein. Er ist mit Geld gefüllt, viel Geld. Ich stecke den Umschlag ein und sage: „Ich muss dann mal los“.
„Willst du denn nicht nachzählen?“, fragt der Cowboy mit überraschtem Gesicht.
„Wird schon stimmen“, sage ich. „Ich traue dir. Grenzenlos.“
Der Cowboy kann seine Tränen vor Rührung nicht mehr zurückhalten und hebt nur die linke Hand zum Abschied, die andere braucht er, um sich die Nase zu schnäuzen.
Ich verabschiede mich schnell.
Noch heute werde ich nach Spanien fahren, … zu Theresa.
Einmal für immer.

 

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