Von Christiane Labusga

Im Biological Life of Berlin-Institute, kurz „BLoB“ knallen die Korken. Ebi umfasst Annika um die Taille, schwenkt sie herum.

„Geschafft! Endlich!“, er küsst sie leidenschaftlich auf den Mund.

Annika stößt sich von ihm ab: „Äh- chhr, was fällt dir ein? Lass mich los, du Ekel!“

Ebi ist verwirrt. Was hat er falsch gemacht? Haben sie nicht beide Seite an Seite geforscht, gelebt, gegessen? Mehr als drei Jahre lang haben sie so gelebt, warum jetzt diese Abweisung? Sind sie nicht quasi verlobt? Im Namen des BLoB?

„Echt, nee?“

Annika starrt ihn an.

„Wir feiern hier den Blob und seinen Nutzen für die Menschheit, nicht uns! Außerdem“, sie zögert, weil sie lügen muss, „ habe ich einen Freund. Der hat nur heute keine Zeit.“

Ebi geht einen Schritt zurück: „Du hast nie von ihm erzählt?“

„Muss ich ja auch nicht, und außerdem sind wir noch nicht so lange zusammen…“

Sie schaut Ebi an. Der wirkt eher verwirrt als enttäuscht und auf keinen Fall wie ein abgewiesener Liebhaber. Wahrscheinlich, so vermutet Annika, hatte er diesen Schluss für ihr Projekt nur als logische Folge ermittelt. Gefühle sind wohl nicht im Spiel.

Bei ihr auch nicht. Jedenfalls nicht für Ebi. Also nicht mehr als freundschaftliche. Leidenschaftliches empfindet sie nur für den Blob, den Schleimpilz, den sie angelernt hat, Hausschwamm zu verzehren.

Und in den letzten drei Wochen, nachdem sie monatelang versucht hatten, den Blob auf den Hausschwamm anzusetzen, hat er endlich zugelangt. Sie mussten den Schwamm anätzen und dann das genaue Maß an eingedickter Zuckerlösung auf ihn geben. Der Blob sprang plötzlich an, verbrauchte den Zucker und dann auch das Protein des Schwamms. Der so gut wie vernichtet wurde.

Darum nun diese Pressekonferenz, diese Feier.

Mit dem noch vollen Sektglas geht Annika hinüber zu ihrem Liebling. In einer nur für die heutige Feier angeschafften Vitrine lebt einer der Blobs, der sich über jedes von Schwamm befallene Holzstück hermacht, es säuberlich vom Schwamm befreit, und sich dann elegant in seine Ruheform wandelt, entweder zu kleinen Kugeln geronnen, oder fächerartig ausgebreitet. Dann sieht er fast aus wie ein Lungenflügel.

„Schatz“, flüstert sie, „du wirst der Menschheit eine große Hilfe sein!“

Der Blob antwortet nicht.

Stattdessen beobachtet Annika, dass sich der Blob, nachdem er fast den ganzen Schwamm verzehrt hat, zusammenzieht. Dann schiebt sich hauchzart eine Blob-Schicht über den Schwamm und danach über das Holz. Und Annika muss beobachten, dass der Blob nun beginnt, das Holz aufzufressen. Schneller als der Schwamm je gesundes Holz vernichten könnte. Und der Blob scheint den Schwamm zu füttern. Und ihn damit umzuwandeln.

Das hat es in den Versuchsreihen noch nie gegeben. Warum ausgerechnet heute?

Ebi nähert sich wieder, mit hängendem Kopf.

„Annika, es tut mir leid. Ich habe alles falsch gemacht. Lass uns nur nach dem Blob sehen, das ist unser Leben!“, und er beugt sich über die Vitrine.

Annika muss sich fast unter ihn bücken, reißt ihn weg von der Vitrine, wirft ihm die Arme um den Hals, schreit: „Zur Sache, Schätzchen!“, und küsst ihn so leidenschaftlich wie auch immer sie kann, bevor sich der Ekel bemerkbar macht.

„Es tut mir leid!“, erklärt sie danach. „ Ich war verwirrt. Die ganze Aufregung! Natürlich gehören wir zusammen. So, wie der Blob zum Schwamm!“

„Ja, haha“, antwortet Ebi, „nur, wer ist was?“

Und er lacht wiehernd.

Und Annika fragt sich: „Ja, wer ist was? Wer ist der Blob, und wer ist der Schwamm? Und was wird daraus werden?“

An Ebi denkt sie dabei nicht.

Zwei Jahre später, das BLoB ist längst Geschichte, denn natürlich blieb das Missgeschick mit dem Blob und dem Hausschwamm nicht unentdeckt, erklärt der Arzt in der Frauenklinik Annika, wohin sie ihre Frauenärztin geschickt hatte, dass sie seit dreiundzwanzig Monaten schwanger ist. Die Länge der Schwangerschaft sei wissenschaftlich bisher nicht erklärbar, allerdings habe man in ihrem Uterus Spuren eines bestimmten Pilzes aus der Familie der Schleimpilze entdeckt. Einen sogenannten Blob.

Interessanterweise scheine dieser Blob gleichzeitig den Fötus zu ernähren, wie auch die Schwangerschaft hinaus zu zögern.

Da dies wissenschaftlich und auch hygienisch eine ganz neue Situation sei, müsse sie in Quarantäne, bis ihr Kind ausgetragen sei. Wann das zu erwarten wäre, kann der Arzt nicht mit Bestimmtheit sagen.

So kommt Annika in Quarantäne, lebt wie in einer Vitrine. Ebi, der nur einen geringen Anteil am Erbgut des Fötus hat, aber trotzdem als der einzig mögliche Vater in Verantwortung genommen wird, denn mehr Gene kamen nur vom Blob, besucht Annika gelegentlich wie ein Astronaut verkleidet in ihrer Vitrine.

Nach vier Jahren gebiert Annika endlich ein gesundes Mädchen. Keinerlei Auffälligkeiten. Ebi wird als Vater in die Geburtsurkunde eingetragen.

Keinerlei Auffälligkeiten…

Darum weiß Annika, wenn die Kleine beim Saugen ihre Hände an Annika legt, und dabei feine gelbe Fasern ihren Körper abtasten: „Alles ist gut.“

 

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