Von Helga Rougui

Ich öffnete den Mund und wollte Martin zur Rede stellen – immer versucht er sich auszuklinken und versteckt sich mit seinen Kumpels im Wintergarten, um wer weiß was zu treiben. Ich runzelte die Stirn – hatte ich da nicht eben Erich nackt gesehen? Was nahm das denn hier für Formen an …

… aber, wie gesagt, als ich zum Reden ansetzte, kam kein Ton aus meinem Mund heraus.

 

Ich hatte nicht genau hingehört, was mein Göttergatte da hektisch vor sich hingebrabbelt hatte. Der andere, Paul hieß er, glaube ich, lachte sich über irgendwas kaputt, vermutlich hatten sie sich wie immer ihre hirnlosen Witze erzählt.

Ich räusperte mich erneut, aber es war, als ob mir ein trockener Wattebausch in der Kehle steckte – nicht unangenehm, nur alles, was ich an Worten und Tönen herauslassen wollte, verfing sich auf unauffällige Weise darin und erstarb.

Ich platzte bald, einerseits wegen des angestauten Wörtersees (automatisch mußte ich an Gernhardt denken – manchmal ist es lästig, eine spontan funktionierende Halbbildung mit sich herumzuschleppen), andererseits vor Neugier, was es mit der rosa Kugel auf sich hatte, die gerade eilig davongeschwebt war. Hatte sie nicht eben das getan, was ich anscheinend nicht mehr konnte – gesprochen?

 

Ich wandte mich zu Martin und zeigte auf meinen Mund, den ich stumm auf und zu klappte wie ein Karpfen auf dem Trockenen. (Ich bin Deutschlehrerin und weiß, das ist ein abgegriffener Vergleich – aber manchmal sind sie passender als die matte Realität.)

Martin sagte: „Ja, mein Liebchen, was ist denn mit dir passiert?“

Ich hasse es, wenn er mich „Liebchen“ nennt, und dumme Fragen rhetorischer Natur hasse ich auch.

Ich drehte mich auf dem Absatz (Manolos, himmelblauer Satin, silberne Kristallschnalle, 949 Euro) um und ging.

In die Richtung, in die die rosa Kugel verschwunden war.

 

Ich fand das Wesen im Gästebadezimmer, wo es zusammengekauert auf dem Badewannenrand hockte und vor sich hin weinte. „Wieder so ein Depp, der sich was wünscht, das zu erfüllen überhaupt keinen Spaß macht. Warum muß ich immer an die wirrköpfigen Blödmänner geraten?“ konnte ich mir zwischen den saftigen Schluchzern, die sich ihm entrangen, zusammenreimen.

 

Ich dachte: Wenn ich denn reden könnte, würde ich dir gern erklären, wes Geistes Kind mein Ehemann ist, aber ich bin ja auf stumm geschaltet. Hast du eine Ahnung, warum?

Das Wesen hob den Kopf und sah mich aus tränenfeuchten Augen an. Blitzschnell schaltete es auf wortlose Kommunikation, und ich hörte die Antwort in meinem Kopf:

Das hast du wohl deinem Martin zu verdanken. Von seinen mißglückten Wünschen war der dritte, daß du für immer den Mund halten mögest.

 

Moment mal, dachte ich zurück, du willst sagen, er hatte drei Wünsche frei und hat sich nur Unsinn gewünscht? Bist du eine Fee oder so was?

Ich bin ein Flaschengeist, entgegnete das Wesen, und Allah hat es gefallen, mich gestandenen Mann in Pink einzukleiden – wie peinlich ist das denn? Aber Der-Der-die-Gaben-Ausreichend-Und-Großzügig-Gewährt will auch ab und zu seinen Spaß haben, und es freut mich, wenn ich ihn zum Lachen bringen kann – aber ich schweife ab. Ja, dein Mann hatte drei Wünsche frei, und von seiner Warte aus wirkten sie situativ recht vernünftig.

Ich verzog das Gesicht.

Stell dich nicht so an, Pink ist doch prima. Und du findest also auch, daß mir eine ausgedehnte Schweigephase gut täte?

Die – wie ich jetzt wußte – männliche Kugel zuckte mit den rosabeblusten Schultern. Was soll ich machen, ich bin ein Mann, und wir können es nun mal nicht leiden, wenn ihr Weiber bei Adam und Eva anfangt, wenn ihr uns was Banal-Gegenwärtiges erklären wollt.

 

Ich funkelte ihn an, er funkelte zurück. Die Luft war schwer geladen vom Kampf der Geschlechter. Dann wagte ich einen Vorstoß zu meinen Gunsten:

Nun mal zur Sache, Schätzchen, was ist mit mir? Ich habe dich gejagt, ich habe dich gefunden, ich habe dich festgenagelt – und jetzt habe ich auch drei Wünsche frei, oder?

Das Flaschenwesen nickte, ergeben in sein Schicksal. Ja, so ist es. So will es das eherne Flaschengeistgesetz. Also – ich höre?

 

Ich überlegte fieberhaft.

Ferien ohne Ende, eine sichere Position als Beamtin, ein schönes großes Haus, 27 Paar Manolos und 23 Paar Jimmy Choos, einen ansehnlichen Liebhaber, wie es Ronald, der Mann meiner besten Freundin, war, reichlich Geld für Shopping-Trips nach London und Paris – das war alles Kinderkacke, das hatte ich doch schon.

Sollte ich mir Ronald als Ehemann wünschen und Martin abservieren? Blöde Idee, ein Kerl ist wie der andere, und wenn ichs recht bedachte, war mir der Sex mit meinem hand- und standfesten Ehemann lieber als der mit Ronald, der immer so viel pseudophilosophisches Zeugs laberte, bevor er mal zu Potte kam. (Womit die Frage beantwortet wäre, warum ich mich mit meinem zugegebenermaßen etwas einfach gestrickten Ehemann ziemlich wohl fühlte – Intellekt ist eben nicht alles auf dieser Welt.)

All das Genannte kam nicht in Betracht.

 Ich mußte eine höhere Ebene wählen.

Ewiges Leben? Ich hatte mal eine Geschichte gelesen, in der die Konsequenzen eines solchen Wunsches als überaus gräßlich und schauderhaft beschrieben worden waren, der Schuß ginge sicherlich nach hinten los.

Weltfrieden? War ich etwa eine Schönheitskönigin im Wettbewerb mit anderen hohlköpfigen wunderschönen leeren Botoxhüllen, die nicht wußten, was sie daherplapperten? Nein, gar nicht gut.

Gesundheit immerdar? Aber das würde dann wieder zum ewigen Leben führen und zu einem apathisch daliegenden, verrunzelten, völlig überalterten, aber pumperlgesunden Schatten meiner selbst –  

 

Die rosa Kugel schaute mich spöttisch an. Gar nicht so einfach, was?

Ich strich mir meine dünnen, feinen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Im Badezimmerspiegel sah ich meine dicken Oberschenkel, bekleidet von einer Hose Größe 44.

Ach was, ich war auch nicht besser als andere Frauen.

Ich schaute dem rosa Kugelflaschengeistwesen in die Augen und dachte:

Ich wünsche mir, daß Gott seinen Irrtum berichtigt. Seinerzeit gab er mir dünne Haare und einen dicken Hintern.

Nun wünsche ich mir das Umgekehrte: dicke füllige Haare und eine schlanke, sportliche Figur.

 

Okay, gebongt, machte der Flaschengeist in meinem Kopf, und auf meinem Kopf fühlte ich alsbald eine wundervolle Haarpracht, meine Figur straffte sich und die jetzt übergroße Hose rauschte mir auf die Knöchel.

Und dein dritter Wunsch?

Ich lächelte fein.

Also, mein dritter Wunsch ist doch eigentlich sonnenklar, oder?

 

***

 

Gerade hatten Martin und Paul mit einem frisch geöffneten Bier auf die letztlich doch recht gelungene Wunschaktion angestoßen, als sich die Tür des Wintergartens öffnete und eine atemberaubende dunkelhaarige Schönheit den Raum betrat.

„Anita???“

„Martin, mein Schatz, willst du dich nicht mit deinem Kollegen zu uns gesellen? Das Buffet ist eröffnet – und es gibt Krabbenhäppchen, die magst du doch so gern …“

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