Von Raina Bodyk

Niemand da unter kann sich vorstellen, wie es ist, aus 400 Kilometern Höhe auf die Erde hinunterzuschauen. Dafür reicht die Fantasie nicht aus. Du bestaunst das faszinierende Farbenspiel der Ozeane, Berge und der Wüsten, erlebst sechzehnmal am Tag einen Sonnenauf- oder –untergang. Das Gefühl von Unendlichkeit, dieses, ja dieses Gefühl von Andacht angesichts des Weltraums sind unbeschreiblich. Oder du schaust in die Tiefen des Universums. Die Sterne leuchten, wie man es nirgendwo auf unserem Planeten erleben kann, ganz hell und scharf.

An diesem Tag musste ich nach draußen, um den Teilchendetektor zu überprüfen. Langsam, mit kleinsten Fingerbewegungen bewegte ich mich darauf zu. Nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Halt, doch, da klebte etwas an der Außenhaut. Vorsichtig und langsam löste ich das Ding ab.

Zurück in der Raumstation sahen wir uns den Fund genauer an. Es handelte sich offenbar um ein leichtes Metallblatt mit kleinen Kratzern.

Vorsichtig falteten wir es auseinander. Es schien sich um ein unbekanntes Mineral oder Erz zu handeln.

Begeistert tanzten wir um den Tisch, beziehungsweise schwebten wir vor Aufregung ziemlich chaotisch durch das Labor.

„Das ist eine Sensation! Das müssen wir sofort melden. Unsere Forscher und die Zeitungen da unten werden sich überschlagen!“

George, unser oberster Denker, betastete nachdenklich das Objekt. „Ich glaube, da sind Zeichen auf der Platte. Man kann Unebenheiten fühlen, dann folgt jeweils eine glatte Stelle und dann wieder diese rissartigen Formen.“

Balázs aus Ungarn war überzeugt: „Das ist eine Botschaft, bestimmt!“

Er griff nach dem Fund und drückte dabei etwas zu fest zu.

„Mann, pass doch auf. Wir müssen …“

Eine hohl hallende Stimme ertönte aus dem Nichts:

„Hallo, Erdlinge. Endlich! Klar ist das eine Nachricht. Ich hatte schon Pullover mit einem höheren IQ (1)

Wir Astronauten schauten uns einen Moment an, zu Salzsäulen erstarrt. Erkannten langsam die Tragweite des Geschehens, konnten es nicht fassen. Fast stotternd, innerlich unglaublich aufgewühlt, bemerkte ich vorsichtig: „Guten Tag, ich bin Captain John. Wir kommen vom Planeten Erde und wollen den Weltraum ….“

„Ja, ja. Das kenne ich schon: Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise, das mit seiner 400 Mann starken Besatzung 5 Jahre lang unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen (2), blablabla.“

„Hm, ja, so ähnlich. Bist du ein Außerirdischer?! Dürfen wir mit dir sprechen?“

„Wer hat Ihnen erlaubt, mich vollzulabern? Das dürfen nur 100-jährige in Begleitung ihrer Eltern.“ (3)

Ich muss zu unserer Schande gestehen, wir hatten größte Mühe, die Beherrschung über unsere Gesichtsmuskulatur zu behalten. Das war doch kein Alien! Da erlaubte sich jemand einen Scherz mit uns!

Aber ein winziger Zweifel ließ mich fragen: „Wer bist du, wo bist du? Ist es möglich, dich zu sehen?“

„Bemerkenswerter Junge. Ich bewundere deinen Mut. Ich denke, ich werde dein Herz essen! (4) Nennt mich einfach Xyp.“

Hinter mir hörte ich meine Leute ächzen, als hätten sie Schmerzen. Bevor sie jedoch vor Lachen platzten, tat es ein zischendes, brausendes Geräusch. Und da stand er vor uns: War es überhaupt ein er? 16 spillerige Spinnenbeine (wie hatte ich es nur geschafft, sie zu zählen?), alle behaart, darüber ein schwarzer, runzeliger Körper. Oder Kopf?

Dieser Kopfkörper oder Körperkopf öffnete sich in der Mitte und spukte wieder mit seiner sehr speziellen, seltsamen Ausdrucksweise Sätze in unsere Richtung aus: „Jetzt siehst du mich. Zufrieden? Die Stimme, die Sie hören, ist nicht meine Stimme, sondern die Stimme in meinem Innern. Ich habe seit meinem sechsten Lebensjahr nicht mehr gesprochen. Niemand weiß, warum. Nicht einmal ich selbst. (5) Ich habe euch die Botschaft ans Raumschifft gesteckt. Extra für euch haben wir den Mechanismus sehr einfach gestaltet. Eure technische Entwicklung ist ja nicht gerade …“

„Was bedeuten die vielen Zeichen?“

„Nichts! Absolut nichts. Wir haben uns ein wenig mit eurer Spezies beschäftigt und
wissen, dass ihr auf solche Geheimniskrämereien steht. Das Klare und Einfache scheint euch nicht sehr zu interessieren, aber verborgene Orte, Geheimschriften, Rumpicken in uralten Zeiten. Was habt ihr davon? Wenn ihr öfter das Naheliegende denken und tun würdet, wärt ihr sicher schon weiter mit euren Erkenntnissen. Bücher sind ein fürchterlicher Humbug. Völlig uninteressant. Bücher beunruhigen die Menschen. (6)

„Lesen bedeutet, Wissen erlangen.“

Papperlapapp! Ich weiß, was ich weiß, weil ich es wissen muss und wenn ich etwas nicht wissen muss, lasse ich es mir nicht von mir sagen auch von keinem anderen. (7)

„Egal! Sei willkommen in unserer Galaxie.

„Captain, es gibt eine grundlegende und sehr wertvolle Aussage in der Wissenschaft, sie ist ein Zeichen von Weisheit und lautet: Ich weiß es nicht. (8) Hätten die Affen, von denen Sie angeblich abstammen, geahnt, dass durch die Evolution eines Tages aus ihren Reihen Politiker entstehen würden, wären sie auf ihren Bäumen geblieben und hätten niemals versucht, den aufrechten Gang zu erlernen.“ (9)

Balázs und George stießen einen schrillen Schrei aus, schlugen erschreckt die Hände vor den Mund, bis man nur noch ein hilfloses, nicht zu unterdrückendes Geräusch hörte, das sehr an hysterisches Gekicher erinnerte, und flogen taumelnd durch den Raum.

Der Fremde aus dem All sah mich durchdringend an: „Du weißt ja, mit der Schwerkraft verhält es sich … wie mit dem Wahnsinn. Manchmal reicht schon ein leichter Schubser!? (10)

Wollte er meine albernen Kollegen beleidigen? Ich biss mir auf die Zunge.

„Erdlinge! Ich habe eine Mission zu erfüllen. Ich soll euch zu uns in unsere Galaxie geleiten, um euch zu zeigen, wie ihr eure dem Untergang geweihte Welt retten könnt.“

„Bitte?! Unsere Welt ist in Ordnung!“

„Tz! Tz! Grausamkeit ist ein Geschenk, das sich die Menschheit selbst gegeben hat. (11) Wo soll da die Ordnung sein?“

„Wir leben nach moralischen Grundsätzen und gerechten Gesetzen, die uns Gott gegeben hat!“

„Haha. Töten muss sich auch für euren Gott gut anfühlen. Er macht es die ganze Zeit. (12) Gib es doch zu: Was du weißt, kannst du nicht erklären. Aber du fühlst es. Du hast es dein ganzes Leben lang gespürt, dass mit der Welt was nicht stimmt. Du weißt nicht, was es ist, aber du weißt, es ist da – wie ein Splitter in deinem Verstand, der dich zum Wahnsinn treibt. (13)

Ich gestehe ehrlich, es verschlug mir die Sprache. An dem, was er sagte, war was dran. Suchten wir nicht längst mit unseren Marsmissionen und ähnlichen Plänen eine zweite Erde, bevor unsere vollends zerstört sein würde?

„Also! Zur Sache, Schätzchen! (14) Ihr bekommt von mir die Koordinaten in euren Computer eingespeist, dann seid ihr in nicht allzu ferner Zeit auf unserem Planeten.“

„Kommst du nicht mit uns?“

„Nein, ihr seht nur eine Projektion von mir. So, wie ihr Menschen euch Aliens vorstellt.“ Diesmal feixte er.

„Du weißt schon, dass wir von der Erde nur eine eingeschränkte Lebenszeit haben? Die Reise dauert doch bestimmt viele Lichtjahre.“

„Lichtjahre!“ Wieder dieses heisere Kichern. „Deine Worte fallen wie saurer Regen auf die wunden Blütenblätter meines Herzens. (15) Wir nutzen natürlich die Parallelität der Dimensionen.“

***

Das seltsame Insektenwesen hatte Recht behalten. Nach gefühlt einer Woche landeten wir auf 3kj3249o5.

Wir wurden sehr freundlich von ihm und seinen Artgenossen empfangen. Eine Gestalt überragte seine Genossen um Haupteslänge (menschlicher, natürlich). Seine Begrüßung verlangte uns wieder jede Menge Beherrschung ab: „Ich freue mich, dass alle Lämmer und Schafe dem Ruf des Hirten gefolgt sind, auch die, die die Maul- und Klauenseuche haben. (16)

An der Oberfläche gab es nur Stein und Sand. Xyp kommentierte lakonisch: „Willkommen in der Wüste der Wirklichkeit.“ (17)

Die Fremden hausten unter der Erde. Es gab lange Gänge, gewaltige Hallen, riesige Maschinen, für welche Zwecke auch immer, und gigantische Datenverarbeitungsanlagen. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was wir hier alles lernen konnten! Die Erde würde mit unserer Hilfe eine andere werden.

Anscheinend aßen diese Wesen nichts. Aber sie erlaubten uns, Esswaren aus unserem Raumschiff zu holen und es uns in einer der Hallen gemütlich zu machen. Dann zogen sie sich zurück.

Meine Crew wirkte ziemlich müde. Nur ich war so aufgeregt wie noch nie in meinem Leben. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich verließ die Halle und folgte einem dumpfen Gemurmel.

Dabei – ich konnte meinen Augen kaum trauen – kam ich an einer Art Videothek vorbei. Regale voll mit Klassikern aus unseren Kinos. Arnold Schwarzenegger, Kirk Douglas, Anthony Hopkins und viele mehr grinsten mich von den Covers an. Die konnten die Fremden nur von einem irdischen Raumschiff haben. Sie hatten also schon mal Kontakt mit Bewohnern der Erde!

Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: daher die seltsame Ausdrucksweise unseres Aliens! Jetzt wusste ich auch, warum mir manche Sätze irgendwie vertraut vorkamen. Filmzitate! Damit haben sie unsere Sprache gelernt.

Ich ging weiter dem Murmeln nach. Da saß es, unser Begrüßungskomitee. Ich wollte mich gerade bemerkbar machen, da ließ mich ein Satz mitten in der Bewegung innehalten.

„Wenn es blutet, kann man es töten.“ (18)

Wer sollte getötet werden? Wir?

Ein anderer fügte unnötigerweise, bedeutungsschwanger wie ein Wahrsager, hinzu: „Ich sehe tote Menschen.“ (19)

Schade, dass diese Erdlinge so selten wie lecker sind.“

„Es wird einfach sein.  Wir wissen: Verleugnung ist die vorhersehbarste aller menschlichen Reaktionen. (20) Solange wir freundlich zu ihnen sind, werden sie kein Anzeichen von Gefahr erkennen.“

„Erkennen wollen!“ Schwarze Mäuler öffneten sich und lachten ihr schauriges Lachen.

Ich raste zurück zu meinen Männern, so schnell ich konnte. „Los, weg hier! Schnell! Die wollen uns fressen! Zum Schiff!“

Sie waren im ersten Schreck fast bewegungsunfähig, aber dann rannten wir um unser Leben. Wir kletterten in unser Raumschiff, bereiteten alles für den Rückstoß ins All vor. Die Fremdlinge, allen voran Xyp, über den wir uns so amüsiert hatten, kamen immer näher. Mit ihren sechzehn Spinnenbeinen legten sie ein enormes Tempo vor.

„Houston – wir haben ein Problem.“ (21)

V2

 

 

 

Anbei die Quellen zu den benutzten Filmzitaten (kursiv gedruckt):

  • Ein Fisch namens Wanda. 1988
    (2) Raumschiff Enterprise. 1966-1969
    (3) Hot Shots! – Die Mutter aller Filme. 1991
    (4) Roter Drachen. 2002
    (5): Das Piano. 1993
    (6) Fahrenheit 451. 1966
    (7) Babylon 5. 1993-1998
    (8) Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert. 1987-1994
    (9) Babylon 5. 1993-1998 (“Sie” durch “wir” ersetzt durch die Autorin)
    (10) Batman – The Dark Knight. 2008
    (11) Das Schweigen der Lämmer. 1991
    (12) Das Schweigen der Lämmer. 1991 („euren“ durch die Autorin hinzugefügt)
    (13) Matrix. 1999
    (14) Zur Sache Schätzchen! 1968
    (15) The Big Bang Theory. Serie 2007-2019
    (16) Don Camillos Rückkehr. 1953
    (17) Matrix. 1999 – 2003
    (18) Predator. 1987
    (19) Sixth Sense. 1999
    (20) Matrix Reloaded. 2003
    (2): Apollo 13. 1995