Von Martina Zimmermann

Als ich letzte Woche meine gewohnte Runde mit dem Hund, entlang des kleinen Flusses lief, wie so oft, fiel mir auf, der Fluss schien nicht wie immer vor sich hin zu plätschern. Nein, er war irgendwie unruhig. Durch die Strömung, die jetzt so stark war wie nie zu vor, peitschten die Wellen unheilvoll und mit einer Wucht gegeneinander, so das sich Schaumkronen bildeten.

„Komisch, es hat doch nicht geregnet“, stellte ich fest.

Ich blickte weiterhin auf den Fluss, während wir auf dem kleinen Pfad entlang dem Ufer liefen. Jetzt fiel mir auf, es sind keine Enten da. Sonst sind sie immer dort zu sehen.

„Wo die wohl sind? Warum ist denn alles so anders?“

Selbst die Farbe des Wassers hatte sich verändert. Sonst schimmerte es in einem Blauton. Jetzt war es grau. Mich beschlich ein ungutes Gefühl, als wenn etwas Böses vor sich ging. Eine Art Beklemmung nahm von mir Besitz ohne eine Erklärung dafür zu haben. Mein Verstand sagte:

„Du hast zu viel Fantasie!“, aber mein Gefühl war eindeutig.

 

 Wir liefen weiter und dann geschah etwas Unfassbares. Ich sah eine Gestalt im Wasser. Kein Mensch, nein ein Wesen, welches sich förmlich daraus bildete. Seine Gestalt war eindeutig zu erkennen. Plötzlich ragte sein Oberkörper aus dem Fluss und ich  konnte das Wasser in dem Wesen sehen. Es floss durch ihn hindurch, eine Wasserfigur sozusagen. Ich rieb meine Augen und traute ihnen kaum. Selbst Otto, mein Hund, starrte auf die Person im Wasser.

Plötzlich drehte sich der Kopf des Wassermannes in unsere Richtung. Vor Erstaunen blieb mir der Mund offen stehen. Unfähig etwas zu sagen stand ich wie angewurzelt dort.

Er winkte mir zu und dann öffnete er seinen Mund und rief:

„Hilf mir du Menschenfrau. Ich brauche Hilfe.“ Seine Stimme schien schwach zu sein.

Nach einer kurzen Schrecksekunde nahm ich mich zusammen und schaute ihn an.

„Wer bist du und was kann ich für dich tun?“, fragte ich. Dabei sah ich mich um und wartete darauf, jemand würde des Weges kommen und mit mir dieses Erlebnis teilen. Zumindest würde ich dann jemand an meiner Seite haben, der mir glaubte. Aber niemand kam.

 

„Ich heißt Nereus und bin der Gott des Flusses. Normalerweise zeige ich mich nie, doch durch eine Verunreinigung des Wassers, bin ich gezwungen ab und zu auf den Wellen zu sein. Dadurch kannst du meine Gestalt sehen. Ich bekomme keine Luft mehr hier unten, aber ich kann nichts tun. Meine Angst entdeckt zu werden ist groß. Ich lebe in einer anderen Welt als ihr Menschen und wir haben hier in unserer Welt Feinde, die nur darauf warten, dass ich aus dem Wasser steige. Dann bin ich schutzlos und man kann mich vernichten.“

 

„Oh nein,“ rief ich. „Du Armer, was kann ich tun?“

„Ich bitte dich mir irgendwie zu helfen. Die Wasserqualität des Flusses muss sich verbessern, das ist unser einzige Chance. Vielleicht kannst du etwas erreichen. Vor Jahren wurde dieses Flussbett saniert und dadurch hatten wir alle wieder bessere Lebensbedingungen hier unten. Die Fische und alles was lebt. Wir brauchen Hilfe, sonst können wir nicht existieren.

Diese alte Wasserhexe ist dafür verantwortlich. Sie will uns alle vernichten. Sie ist so eiskalt und geht über jedes Schicksal hinweg. Sie möchte den goldenen Taler. Aber den bekommt sie nicht. Wenn er in ihrem Besitz wäre, dann hätte sie die Macht über alle Geschöpfe unseres Reiches. Die alte heißt Astaja und sie hat das Wasser verunreinigt. Wir haben es leider zu spät bemerkt, so dass wir schon zu schwach waren uns zu helfen. Darum bitte ich dich.“

 

„Ich verspreche dir, ich werde alles tun, damit dir geholfen wird“, erklärte ich. Er winkte mir noch schwach zu und verschwand dann so leise wie er aufgetaucht war wieder im Wasser.

„Was war das für eine Begegnung?“, wunderte ich mich. Aber ich wusste, ich habe es erlebt. Ich musste etwas unternehmen. Gleich morgen werde ich alles tun, damit es Nereus und den Wasserbewohnern besser geht. Aber wer hört schon auf mich?“, fragte ich mich. Ich muss mir etwas einfallen lassen, etwas dramatisches, damit sich schnell etwas tut. 

Am nächsten Tag lief ich zur Umweltbehörde. Ich stotterte vor mich hin und der abfällig, arrogant wirkende Mann hinter dem Schreibtisch, blickte mich von oben herab an. Mit den Worten:

„Zur Sache Schätzchen“, brachte er mich völlig aus dem Konzept. Ich beschloss sein Gehabe zu ignorieren und fand meine Worte wieder die ich mir zurecht gelegt hatte.

Ich schilderte Dinge, die ich nie gesehen hatte und sagte aus, ich hätte beobachtet, dass ein LKW eine Flüssigkeit in den Fluss gleitet hatte und ich sofort erkennen konnte, dass die Enten starben. Es würde Eile geboten sein, sonst würden noch alle Lebewesen dort sterben. An das Kennzeichen konnte ich mich nicht erinnern. So etwas hatte ich bis dahin in meinem Leben noch nie getan, aber es war auch eine besondere Situation.

Der Mann, verwandelte sich zu meinem Erstaunen plötzlich zu einem verständnisvollem Menschen und er schien meine Schilderungen ernst zu nehmen. Dann versicherte mir, meine Angaben sofort weiterzugeben.

„Sie müssen etwas tun, so schnell wie möglich“, bedrängte ich ihn mit Nachdruck in der Stimme. Dann ging ich hinaus und hoffte, ich konnte etwas durch mein Auftreten erreichen.

„Der Tierschutz“, mir fiel der Verein ein. Auch dort wurde ich vorstellig, überhaupt versuchte ich alles, damit sich schnell etwas tat. Immer mit meiner erfundenen Geschichte im Gepäck. Was hätte ich sonst sagen sollen?  Ich habe Nereus, den Gott des Flusses gesehen, der durch die schlechte Wasserqualität dort nicht mehr lange leben kann. Wer glaubt mir so etwas? Wenn ich es nicht selber gesehen hätte, dann würde ich denken, die Person ist nicht mehr ganz gescheit. Die Wasserqualität wurde untersucht und meine Angaben bestätigten sich, die Werte waren katastrophal. Es wurde um Mithilfe gebeten um den Fall aufklären zu können. Gleichzeitig wurde alles getan um die Wasserqualität wieder zu verbessern.

Ich war so froh, jetzt können die Wesen, die unter Wasser leben, wieder in Frieden leben und ihre Existenz war gerettet.

Als ich am nächsten Tag beim Spaziergang mit Otto am Flussufer entlang lief, da sah ich ihn. Er war wieder da. Dieses Mal viel stärker und seine Stimme kräftiger. Er ragte nun viel weiter aus dem Wasser als zuvor und er kam mir entgegen bis an das Ufer an dem ich stand. Nereus war so nahe, dass er mir in die Augen schauen konnte. Wie in einem Märchen, so fühlte ich mich, verzaubert und fasziniert. Ich sah ihn an und in diesem Moment wusste ich bereits, ich hatte ihm geholfen.

 

„Ich danke dir, du Menschenfrau. Du hast uns alle hier gerettet. Wir stehen in deiner Schuld“, sagte Nereus. „Ich freue mich sehr darüber, dass ich euch helfen konnte“, erwiderte ich und strahlte ihn an. Plötzlich nahm ich aus den Augenwinkeln eine Gestalt wahr. Eine Mischung aus Meerjungfrau und Hexe, war mein erster Eindruck. Ihre Flosse war schuppig in einem Grauton. Er schimmerte nicht, es sah so aus als wenn er stumpf wäre. Ohne Glanz und ihr Gesichtsausdruck war Abschreckend. Tiefe Furchen umgeben von einer langen Nase. Eine ledrige Haut, die wirkte, als wenn sich jeden Moment Brocken von ihr lösen würden.

Sie ragte genau wie Nereus aus dem Wasser und kam näher.

„Nereus, ist das die Wasserhexe Astaja?“, fragte ich angstvoll. Nereus nickte, sie will den goldenen Taler. Ich fürchte, wir werden nie Ruhe vor ihr haben. Wenn sie ihn bekommt, dann ist es aus mit uns. Dadurch kann sie ihre Kräfte entfalten. Aber nicht mit mir!“, rief Nereus.

Befor Astaja zu Nahe war, drückte Nereus mir einen goldenen Taler in die Hand. „Jetzt besitzt du den Schatz und sie kann uns nichts mehr antun“, erklärte Nereus.

Als Astaja das sah, schrie sie laut. Es traf mich bis ins Mark hinein. „Nein das kannst du nicht tun.“

„Jetzt ist auch dein Schicksal besiegelt“, sprach Nereus zu Astaja. „Du wirst uns nichts mehr antun können.“ Astaja drehte sich wie ein Orkan im Wasser, wutentbrannt, sodass ein Studel entstand, den ich noch nie gesehen hatte. Mit diesem Strudel versank sie im Flussbett und verschwand somit aus unseren Augen.

„Du kannst unbesorgt sein, erklärte Neros. Sie kann nicht aus dem Wasser und sie wird dir nichts tun können. Jetzt hat sie keine Macht mehr über uns und damit hast du uns erneut gerettet.“

 

„Wann immer du unsere Hilfe benötigst, komme zum Flussbett und reibe den Taler. Dann werde ich erscheinen. Ich wünsche dir ein gutes Leben“, sagte er. „Danke für alles!“

„Ich danke dir“, rief ich und schaute ihm noch nach, bis er im Wasser versunken war.

Jetzt deutete nichts mehr darauf hin, dass hier gerade noch etwas unerklärliches passiert war. Etwas Übernatürliches, welches ich erleben durfte.

 

Selig lief ich zurück mit Otto an der Leine. Ich konnte es nicht fassen und hätte ich diesen Taler nicht in der Hand gehalten, so hätte ich an mir selber gezweifelt.

Den Taler hütete ich wie meinen größten Schatz und immer, wenn ich an unserm Fluss spaziere, schaue ich aufs Wasser und sage hallo zu Nereus.

 

Ich werde ihn nie vergessen!

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