Von Miklos Muhi

Leon wollte Geld, aber Daniel hatte keins mehr. Vergeblich bot er ihm alles Mögliche an, sogar ein Quickie auf der Toilette der nahen Tankstelle. Das hatte bisher immer funktioniert.

»Geld her oder du bekommst gar nichts!«, knurrte Leon wütend und Daniel suchte das Weite. Er wusste allzu gut, wozu Leon fähig war.

Daniel machte sich auf die Suche, doch zu jener späten Stunde erschien die Geldbeschaffung aussichtslos. Die Straßen waren wie leer gefegt.

Er schwitzte stark, trotz winterlicher Temperaturen und trotz seiner viel zu dünnen Kleidung. Sein Herz schlug wie verrückt und er kam mit dem Atmen kaum hinterher. Vor einer Stunde, kurz bevor Leon ihn weggejagt hatte, erbrach er das Wenige, das er an dem Tag in seinen Magen bekommen hatte.

Seine Gedanken drehten sich um das bräunliche Pulver, das Leon in verschließbaren Tütchen in seiner Gürteltasche aufbewahrte. Daniel hatte alles andere dabei: Spritzbesteck, Feuerzeug, Teelicht, Zigarettenfilter, Löffel und ein Taschenmesser.

Die innere Unruhe trieb ihn durch die Siedlung. Das schnelle Geld hielt sich aber immer anderswo auf: Alle Türen waren fest versperrt, manche Alarmanlagen blinkten tückisch in der Dunkelheit. In den Autos gab es nichts zu holen. Die waren schwer zu verkaufen und brachten meistens Ärger anstatt Geld.

Als er auf der anderen Straßenseite einen Laden bemerkte, den er noch nie zuvor gesehen hatte, bliebt er stehen. Der Name »Vlads Spezialitäten« sagte ihm gar nichts, genauso wie die Schriftzüge in einer für ihn unverständlichen Sprache. Das vor der Tür aufgestellte Schild sah aber gut aus. Darauf stand mit großen Buchstaben »Geöffnet«.

In jedem Laden gab es eine Kasse und in jeder Kasse gab es Geld. Er holte das Taschenmesser hervor, öffnete es, überquerte die Straße und trat ein.

Drinnen war es düster und warm. Sein Verstand fand noch ein bisschen Kraft, um ihn vom geplanten Raub abzuraten. Das unbändige Verlangen seines egoistischen Gehirns gewann jedoch gleich wieder die Überhand.

Hinter dem Tresen stand ein hochgewachsener Mann mit groben Gesichtszügen und las eine fremdsprachige Zeitung.

»Geld her Alter, sonst steche ich dich ab!«, schrie Daniel.

»Gute Nacht der Herr«, sagte der Mann ruhig, ohne aus der Zeitung aufzublicken. »Was darf es denn sein?«

»Ey, Alter, bist du schwer vom Begriff oder was? Los, Geld her!«

»Geld verkaufe ich nicht, aber ich habe frisches Pufuletz und Telemea«, antwortete der Mann und blätterte um.

»Ey was?«

»Was ist denn das für ein Ton, junger Mann?«, fragte der Verkäufer und hob seinen Blick. »Oder kann ich Sie Daniel nennen?«

»Woher kennst du meinen Namen, Alter? Wer bist du?«

»Das ist zwar keine Antwort, aber immerhin schreien Sie nicht mehr. Ich heiße Vlad und mir gehört dieser Laden«, antwortete er und vertiefte sich wieder in seine Lektüre.

Daniel atmete tief durch, trat zum Tresen und riss dem Mann die Zeitung aus den Händen.

»Alter, gib mir das Geld aus der Kasse!«, schrie Daniel und wedelte mit seinem Taschenmesser vor Vlads Nase.

»Das werde ich sicherlich nicht tun«, sagte Vlad. »Entweder kaufen Sie etwas oder Sie verlassen meinen Laden.«

»Sonst?«, fragte Daniel.

»Es gibt auch eine dritte Möglichkeit. Sie bleiben hier und helfen mir, den Laden zu schmeißen. Er läuft gut. Das wäre eine sehr langfristige Einstellung.«

»Bist du bekloppt?«

»Keineswegs. Bleiben Sie hier und Sie werden nie wieder Heroin wollen und nicht mehr altern. Sie werden auch ein Dach über dem Kopf haben. Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber bald bin ich 600 und immer noch fit«, sagte Vlad.

»Ey, Alter …«, sagte Daniel. Vlad unterbrach ihn damit, dass er aus dem Stand lautlos über den Tresen sprang, vor ihm landete und ihn an den Schultern packte. Daniel schloss erschrocken die Augen. In der so entstandenen Dunkelheit sah er übermenschliche Kräfte, unendliche Lebensenergie, Fähigkeiten, die er sich bisher nicht einmal vorstellen konnte und er sah sich vom Stoff und von Leon loskommen.

Als er seine Augen wieder öffnete, lächelte ihn Vlad an. Seine sehr langen Eckzähne schimmerten im matten Licht. Daniel neigte seinen Kopf nach links.

»Zur Sache, Schätzchen«, sagte er leise und schloss seine Augen wieder.

 

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