von Clara Sinn

 

Alle Vernunft sprach dafür. Komplett-Reinfall.

Sie hatte ihr Ziel mit Bravour erreicht. Und war nicht glücklich.

Geworden.

Erfolg. Kam ihr nur zu nichts zugute. Und just in diesem kritischen Nu, inmitten ihrer Endloswiederholungsschleife von Enttäuschtsein, Belogen- und Betrogensein, ging ihr, entgegen allem Anflug der Gefahr einer Lawine aufkommender Lamentogefühle, ein so wackeres wie kühnes Licht auf.

Als ob man beim Flippern ständig bangt, dass die Kugel von diesem Hindernis bloß gut abrollt oder an jener Ecke auch ja günstig vorbeischlittert und sie sich einem dann so aufs Silbertablett hinmanövriert, dass es den Vogel glatt abschießt und dies wüste Lichtgekreische auslöst,

yeaaahh!

Ihrer Mutter hatte ein Beamter gereicht. Zum Regierungsrat befördert. Der Tante schon einer „der nicht trinkt, keine Schulden macht“. Ganz zu schweigen von ihrer Freundin: „Er ist so ein soo guter Vater!“ Schon, aber bist du wirklich glücklich? Oder nur gut eingerichtet? Wenn auch gut von einem recht beachtlich hohem Seltenheitswert.

Gute Gesundheit, gute Karriere, gute Ehe. Inklusive wohlgeratener Kinder. Ich müsste doch eigentlich glücklich sein. Es machte so wenig glücklich. Zu gut zu sein. Wie zu schlecht.

Sie hegte den leisen Verdacht, dass es ihrem unverfrorenen Selbst herzlich gleichgültig war, ob ihr Ich es durch Überfluss oder Mangel verpeilte. Eins zu sein. Madame Seele konnte man nicht befehlen. Fühl dich jetzt gefälligst glücklich! Willst du vielleicht ein Drittauto? Oder einen Heiligen zum Partner? Was denn noch!?

Da fiel ihr ein, dass sie das ja kannte.

Früher. Diese Euphorie. Des Lebens. In ihr.

Rief sich diese Glücksbegnadete neugierig herbei.

Wie machte die das? Und wie hatte es sich letztlich zugetragen? Dass sie derart falsch abgebogen war?

Eine ausgelassene Studentin stieg da vor ihrem inneren Auge auf, partymüde auf einem der größeren Sofakissen. Einfach in einer Ecke mit dem erstbesten Plaid drüber. Völlig ungeachtet dessen, dass andere ein Gästebett oder nur den Teppich ergattert hatten, selig.

Ohne rechte Schlafstätte, geschweige denn Bettzeug. In Vortagskleidung. Absolut kaputt, selig. Nicht unbeschwert. Lediglich. Unbeschwerbar. Geradezu. Da hätte es reinregnen können. Oder reinschneien. Hätte nichts zu ändern zustande gebracht. An dieser Unstörbarkeit. Ihrer Hochstimmung. Ihrem tiefen innerlichen Frieden. Was für ein wundervoller Tag.

Wie Verliebtsein.

Das Flugzeug fiel aus, die Ferienwohnung ein Kakerlakenloch, das Wetter scheiße. Der Urlaub das Highlight. Schlechthin. Sie war endlich zusammen. Gekommen.

Mit ihm. 

„Und wenn das nun ein Fehler ist?!“ „Bitte??“ „Und wenn du das dann übel bereuen musst?!“ „Hat es sich jetzt schon haushoch gelohnt!!“ Der blöde innere Angst- und Gefügigmacher kam gegen den wiederbelebten jugendlichen Vertrauensschwung gerade nicht an. 

„Wenn jeder so egoistisch denken würde wie du!“ Die Moralkeule, die eben so gewaltig Anlauf genommen hatte, trug das Gesicht ihrer Mutter. „Ich habe artig einen Beamten geheiratet und bin brav glücklich geworden.“ Just da fiel auch schon die bürgerliche Maske und schiere garstige Gewalt brach vor:

„Was solln denn die Nachbarn denken!?“ Der Klartext hieß: „Mir ist mein Status wichtiger als deine Glücksträume.“ Und der Subtext: „Sei gefälligst so unglücklich wie ich!“ Dann war die Welt wieder in Ordnung. Gebracht. Allein, ihr schallendes Lachen riss die sogleich wieder ein.

Da musste es doch noch mehr geben …

Sie würde diesem robusten Lachen auf jeden Fall nochmal nachspüren, ihm auf den Grund gehen, ihm sein Powergeheimnis entlocken. Um jeden Preis. Alles war besser …

Und sie ahnte dunkelhell, dass es mit einer Entmachtung so ziemlich sämtlicher Keulen zu tun haben musste. Und ihrer sofortigen Besetzung. Dieses Thrones. Über so etwas,  derart lachen zu können. 

Erstieg in wohlgesetzten Schritten die Treppen zu diesem königinlichen Sessel und leistete sich, zur Sicherheit, noch einen kleinen Seitenschlenker, bevor sie ihren Platz endlich einnahm: „Wie müsste ich denn jetzt lachen, damit die Keulen auch ganz gewiss augenblicklich zu Staub zerfallen?“

„Egal wie.“

 

V2