Von Ingo Pietsch

Irgendeine kleine Stadt mitten in Österreich

Zinklär hatte alle Mühe die schwere Glastür des Frisörsalons aufzudrücken.

Ein kleines Glöckchen bimmelte und signalisierte dem Besitzer, nach vorne zu kommen.

Hinter Zinklär quetschte sich Kommissar Otto, vollgepackt mit Einkaufstüten, durch den Eingang. Schwer atmend ließ er sich in seiner ganzen Fülle auf das lindgrüne Federkernsofa mit chromglänzenden Armlehnen fallen.

Zinklär sah sich um: Zwei Stühle, eine Kasse auf einem Bestelltisch, kleine Hirschgeweihe knapp unterhalb der Decke und jede Menge vergilbter Plakate und Poster von Models mit Frisuren, die schon seit dreißig Jahren nicht mehr aktuell waren.

Der Besitzer begrüßte die beiden überschwänglich und klatschte dabei in die Hände: „Guten Abend, meine Herren! An wen darf ich zuerst Hand anlegen?“

Zinklär musste sich zusammenreißen. Hatte man ihn doch vorgewarnt, dass der Frisör möglicherweise etwas exzentrisch sein könnte – und möglicherweise schwul. Das wusste niemand so genau.

Freddy, eigentlich Frederik, stemmte eine Hand in die Hüfte und zeichnete mit der anderen einen Kreis in die Luft, der Zinklär und Otto einschloss.

Mit nasaler Stimme sagte er: „Ich denke der `Man in black` möchte zuerst?“

Zinklär knirschte mit den Zähnen und zog seine dunkle Lederjacke aus.

Freddy riss sie ihm aus den Händen und hängte sie auf den Kleiderständer aus geschwungenem Holz. „Junge, Junge, die ist aber schwer. Sie müssen aber Muckis haben.“

Als Freddy Anstalten machte, seinen Bizeps abzutasten, wich Zinklär unwillkürlich einen Schritt zurück.

Mitten in der Bewegung fuhr sich Freddy mit der Hand durch sein ordentlich nach hinten gekämmtes Haar und wies dann mit der Hand auf einen der beiden freien Stühle.

Zinklär bereute es jetzt schon, dass er als Erster versuchen sollte, dem Frisör etwas zu entlocken.

Er nahm Platz und hatte das Gefühl, dass jeden Moment mehre Tausend Volt durch den Stuhl gejagt werden würden.

Freddy schüttelte einen Umhang aus, der Haare und Staub aufwirbelte, und ließ ihn über Zinklär fallen. Bevor er den Umhang zuband, legte er noch Krepppapier um Zinklärs Hals, das er so fest zog, dass dieser husten musste.

„Sie mögen es doch bestimmt etwas härter?“, flüsterte ihm Freddy ins Ohr.

Zinklär platzte wortwörtlich fast der Kragen.

Freddy rieb seine Hände, als wäre nichts geschehen.

„So mein Lieber, wie hätten Sie es denn gerne? Mit der Maschine oder doch lieber per Hand?“ Dabei schnippte er mit seiner Schere und Zinklär konnte im Spiegel sehen, wie sich Freddy mit seiner Zunge im Mund herumfuhr.

„Die Seiten und den Nacken mit der Maschine und vorne nur ein bisschen die Spitzen.“

„Wissen Sie, ich steh ja nicht so auf kurz.“ Dabei tätschelte Freddy sein eigenes volles Haar.

Otto prustete. Er hatte ein Rosinenbrötchen in der einen und eine Flasche Buttermilch in der anderen Hand. Die Milch lief ihm aus der Nase, während er ein Taschentuch aus seiner Hosentasche kramte. „Tschuldigung“, nuschelte er.

Während er Zinklär den Nacken rasierte, sah Freddy kurz zu Otto hinüber: „Oh, Sie waren bei der Bäckerei Winkler. Die verstehen ihr Handwerk wirklich meisterlich.“

Zinklär riss die Augen auf, als die Maschine wie von selbst ihren Weg über seine Kopfhaut fand. Freddy arbeitete mit einer Leichtigkeit, die jedem Kollegen seines Faches Konkurrenz machte.

„So, jetzt stillhalten.“

Freddy schnitt die Ohren mit einer extrem langen Schere frei. „Sie wollen ihre Ohren bestimmt noch behalten.“

Zinklär gab ein unechtes Grinsen zum Besten.

„Oh, der Herr versteht keinen Humor.“ Freddy war eingeschnappt, fasste sich aber wieder schnell. „Was rieche ich da? Die berühmten Rauchenden vom Pichler!“

Otto schaute verdächtig nach allen Seiten, als wäre er frischer Tat ertappt worden.

„Sie haben sich aber gut eingedeckt hier im Ort. Aber wer weiß, wie lange es die Geschäfte wohl noch geben wird.“

„Wie meinen Sie das?“, fragte Zinklär.

Freddy sah Zinklär im Spiegel in die Augen und sagte ernst. „Alois Huber will hier einen Supermarkt bauen. Und das finden die Alteingesessenen natürlich gar nicht lustig.“

„Sie fürchten um ihre Existenz“, folgerte Zinklär.

Freddy schnitt weiter. „Alois hat allen versichert, dass es zu keinem Konkurrenzkampf kommen wird. Doch das glaubt ihm keiner.“

„Dieser Huber schein nicht sehr nett zu sein?“, wollte Zinklär wissen.

„Oh, doch. Der ist ein ganz fescher“, schwärmte Freddy. „Wir sind zusammen zur Schule gegangen und er ist auch hier geboren. War dann zwanzig Jahre weg und ist jetzt wiedergekommen. Hat richtig tolle Ideen für unsere kleine Stadt. Aber ob das noch was draus wird, seit dem Unfall. Ich weiß nicht.“

„Ist ihm denn was Schlimmes zugestoßen?“, machte Zinklär ein betroffenes Gesicht.

„Iwo, der hat sich nur ein paar Rippen gebrochen. Ein Unbekannter hat ihn von der Straße gedrängt. Wenn man bedenkt, dass er neue Arbeitsplätze schaffen könnte und damit auch Kundschaft aus den benachbarten Orten anlocken würde. Außerdem hat er die Unterstützung vom Bürgermeister, denn er ist sein Schwiegervater. Aber nach dem angeblichen Mordanschlag, wie man sich erzählt, schützt er lieber seine Familie.“

„War es denn wirklich ein Mordanschlag?“, fragte Otto aus dem Hintergrund.

„Alois ist bei den Geschäftsleuten nicht sonderlich beliebt. Viele von ihnen gehen ihm aus dem Weg und suchen keine gemeinsame Lösung.“

„Hat der Huber ihnen denn irgendwie gedroht?“, bohrte Zinklär nach

„So, bitte mal kurz die Augen schließen. Ich schneide Ihren Pony.“ Es machte Pfft und Zinklär fühlte, wie seine Haare nass wurden.

Freddy flüsterte: „Im Vertrauen: Alle ortsansässigen Gewerbetreibenden haben sich einmal ganz zu Anfang heimlich getroffen und beraten, was man gegen den Huber tun könnte. Aber da er in seinem Supermarkt sowie keinen Frisör braucht und ich auch gar nichts von Gewalt halte, habe ich mich wieder ausgeklinkt. Ich will damit nichts zu tun haben. Wer weiß, was die anderen noch vorhaben.“

„Ist nicht wahr!“, meinte Zinklär und musste husten, als er ein paar Haare einatmete.

Otto furzte laut: „Wupps, manchmal nimmt meine Stimme den kürzesten Weg“, das Sofa knarrte unter seinem Gewicht.

„Und was noch viel schlimmer ist: Die Existenzangst ist so groß, dass manch einer von denen über Leichen gehen würde. Und das meine ich ernst. So, fertig.“ Freddy pinselte noch das Gesicht ab und zog den Umhang zur Seite.

Zinklär beäugte sich im Spiegel und war erstaunlicherweise zufrieden.

Freddy verstand sein Handwerk wirklich.

„Der andere werte Herr auch?“, wollte Freddy wissen.

Otto rülpste hinter vorgehaltener Hand. „Danke, ich bin schön genug.“ Er raffte seine Taschen zusammen.

„Nicht viel los?“, fragte Zinklär, während er sein Portmonee hervorzog.

„Die anderen meiden mich, weil ich keine gemeinsame Sache mit ihnen mache. Sie streuen Gerüchte über mich in die Welt und schikanieren mich. Lange halte ich das nicht mehr durch, dann ziehe ich weg.“

„Das tut mir leid, denn Sie können gut Haare schneiden.“

„Oh, danke.“

Zinklär bemerkte erst jetzt die dunklen Augenringe in Freddys Gesicht. „Was macht das bitte?“

„16 EURO“, sagte Freddy freundlich.

Zinklär gab ihm zwanzig: „Stimmt so. Für die nette Gesellschaft.“ Er berührte er Freddys Hand. So konnte er dabei die Gedanken lesen und Gefühle spüren, die in Freddy vorgingen.

„So, wir müssen jetzt wieder weiter. Schönen Abend noch.“ Freddy half Zinklär in seine Jacke.

„Beehren Sie mich bald wieder“, sagte er freundlich zu Zinklär und warf Otto noch einen bösen Blick hinterher, weil er hässliche Flecken auf dem Sofa hinterlassen hatte.

 

Zehn Minuten später auf dem Polizeirevier

Eigentlich waren Otto und Zinklär nur auf der Durchreise (sie ermittelten in einem anderen Fall) und hatten nur nach dem Weg fragen wollen, aber der ortsansässige Polizeichef hatte irgendwie von Zinklärs Fähigkeiten erfahren und dass er so der Polizei schon in mehreren Fällen geholfen hatte.

„Eigentlich“, begann Zinklär, „war meine Hilfe gar nicht von Nöten. Da wären Sie früher oder später von selbst draufgekommen. Es gibt tatsächlich eine Verschwörung. Sie sollten mal den Metzger und den Bäcker genauer unter die Lupe nehmen, da waren wir nämlich auch gewesen. Der Freddy hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Er ist auch nur ein Opfer.“ Zinklär wandte sich zum Gehen, als der Polizeichef noch zu einer Frage ansetzte und kam ihm zuvor: „Nein, Freddy ist nicht schwul. Aber er ist sehr sensibel.“

Zinklär schüttelte den Kopf, als die Beamten Geldscheine untereinander tauschten. Hatten sie doch darauf gewettet, von welchem Ufer Freddy nun stammte.