Von Franck Sezelli

Da saßen sie wieder in der Runde mit ernsten Gesichtern, wichtigtuend in ihren Ledermappen blätternd oder auf den teuren Laptop einhämmernd: Meeting in der Chefetage.

Anja fühlte sich in ihrem beigen Hosenanzug wie ein anarchischer Farbfleck zwischen den grauen Designer-Anzügen.

Monoton wie immer und zum zigsten Male leierte der Chef die Grundsätze der Firmenphilosophie herunter. Er brachte die bestens ausgebildete, mit magna cum laude promovierte und mit höchsten Auszeichnungen geehrte Fachfrau innerlich zum Gähnen.

Zum Glück hatte ihr gegenüber Konrad Brohme Platz genommen. Von Anfang an, seit er vor einigen Wochen in die Firma eintrat, war er ihr aufgefallen: ein wahrlich schöner, begehrenswerter Mann! Im Moment besetzte er eine Stelle als Assistent der Geschäftsleitung, aber man sagte ihm eine große Karriere voraus. Er hätte umwerfende Ideen mitgebracht, munkelte man, als er vom Marktführer zu ihnen wechselte.

Anja vertiefte sich ganz in die Betrachtung ihres Gegenübers. Was für markante, männliche Gesichtszüge! Der konzentrierte Blick verriet Entschlusskraft, Konrad wusste offenbar, was er wollte. Leider schien er sie, die einzige Frau hier am Vorstandstisch, überhaupt nicht zu bemerken. Er strich mit einer eleganten Bewegung sein schwarzes, etwas störrisches Haar aus der Stirn. Wie gern würde sie ihm einmal durch den dichten Schopf fahren!

Da! Jetzt schaute er zu ihr hinüber – oder doch nicht? Nein, er sah durch sie hindurch und blickte dann wieder auf den Chef am Kopfende des Beratungstisches.

Die Sitzung zog sich wie üblich in die Länge. Es war nicht zum Aushalten! Langweilig!

Anjas Gedanken gingen eigene Wege. Sie eilten schon in die Mittagspause.

Alle schoben sich aus der Tür, manche miteinander ins Gespräch vertieft. Da, berührte sie jemand am Arm?

»Liebe Frau Kollegin, diese Pause haben wir uns wirklich verdient.« Es war tatsächlich Konrad, der Anja ansprach. Sie lief rot an.

»Ja, ja …«, stotterte sie, »es hat wieder lange gedauert.«

»Darf ich Sie zum Ausgleich zum Mittagessen ins Chez Pierre einladen? Seit ich vor ein paar Wochen das erste Mal in dem netten Bistro hier ganz in der Nähe essen war, gehe ich immer wieder gern hin.«

»Aber …, wieso …, wie komme ich dazu?«

»Sie sind mir sehr sympathisch, Sie gefallen mir, seit ich Ihnen hier vorgestellt wurde. Aber ich habe mich nie getraut, Sie anzusprechen.«

»Ich beiße doch nicht! – Einverstanden, gehen wir ins Pierre

Nebeneinander liefen beide auf dem Weg durch den kleinen Park in das angesagte Bistro. Konrad legte mutig den Arm um Anjas Taille. Sie fühlte sich wie im siebenten Himmel. Deshalb sagte sie auch nichts, als der Arm des begehrten Kollegen etwas tiefer rutschte und seine Hand ihre Pobacke streichelte. Die junge Frau fühlte eine lange nicht gespürte Wärme in ihrem Schoß aufsteigen.

Das Paar blieb stehen, sie schauten sich in die Augen. Der wohlgeformte Mund mit den vollen Lippen näherte sich den ihren. Anja musste schlucken.

 

»Frau von Senneke! Frau von Senneke! Das ist doch Ihr Gebiet! Wenn Sie uns die Zahlen geben und erläutern könnten?«

Oh, sie war in Gedanken wirklich ziemlich weit weg gewesen und schreckte  nun hoch. Der Chef hatte mit lauter Stimme gesprochen.

Elf Augenpaare richteten sich erwartungsvoll auf Anja.

Da platzte ihr Gegenüber kaltschnäuzig und sich beim Chef anbiedernd  heraus: »Ich habe den Eindruck, da kommt nichts! Unsere Quotenfrau weilt offenbar gar nicht unter uns, sondern träumt wohl in ganz anderen Sphären!«

Breites Grinsen in vielen Männergesichtern, vereinzeltes lautes Auflachen.

Plötzlich überkam sie ein Frösteln, sie verstand ihre Schwärmerei für diesen Mann nicht mehr. Da hatte sie diesen Lackaffen völlig falsch eingeschätzt. Anja schluckte die Enttäuschung hinunter. Sie richtete sich selbstbewusst auf und schaute in die Runde, dann mit versteinerter Miene auf Konrad. »Das hätten Sie wohl gern, Herr Brohme, Sie kleiner Möchtegern-Macho?«

Sie gab sich einen Ruck, sah den Chef an und setzte fort: »Sehr geehrte Herren, ich hatte ja bereits vor einer Woche auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht. Gern untermauere ich dies mit den aktuellen Zahlen …«