Von Bernd Kleber

Samanta strich über die blaue Seide ihres Kleides und hüpfte singend den Turm hinab. Immer schön außen an der Wand, wo die Stufen der Wendeltreppe am breitesten waren. Auf dem Absatz blieb sie stehen und beugte sich aus dem Fenster. Sie schaute ins Land, sah Lerchen am Himmel fliegen und hörte im Hof die Knechte fluchen. Doch was ist das? Eine Kutsche näherte sich dem Schloss mit temperamentvollem Schaukeln.

 

Oh nein, nicht schon wieder, dachte Samanta und beobachtete die Staubwolke, welche hinter der Reise-Equipage aufstieg.

 

Die junge Frau spuckte in hohem Bogen aus dem Fenster. Dann beschloss sie, in ihr Zimmer zu fliehen. Mit gerafftem Kleid nahm sie zwei Stufen auf einmal beim Hinauflaufen.

 

Mit forderndem Klopfen betrat eine Hofdame das Zimmer, um ihr mitzuteilen, sie müsse sich fertigmachen. In einer Stunde sei Empfang im großen Thronsaal. Samanta verdrehte die Augen und murmelte etwas, was nicht zu verstehen war. Man konnte nur noch: „Scheiße…“, verstehen. Die Dame trippelte eilig aus dem Zimmer.

 

Es klopfte erneut. Samanta stand auf dem Söller und sah ins Land. Sie trug jetzt ein festliches Kleid, wusste sie doch, dass ihr Vater mehrfach mit den „Heiligen Schwestern“ gedroht hatte, würde sie sich weigern an der Brautwerbung teilzunehmen. Und er hatte auch immer wieder seine Erpressung erneuert, wenn sie keinen Prinzen, Ritter, Junker, Baron, Herzog, Fürst, eben irgendeinen Kerl ehelichen würde, dass ihr das Selbige drohen würde: Die Heiligen Schwestern!

 

Also hatte sie sich mithilfe ihrer Zofe liebreizend zurechtgemacht und erwartet, dass sich ein Ritter der Königsgarde als Eskorte in den Thronsaal einstellen würde. Herzog Gregor war gekommen, sie abzuholen und als Kavalier zu geleiten. Gemeinsam gingen sie schweigend die Stufen hinunter.

 

In der Vergangenheit hatte Samanta versucht, sich hässlich zu gestalten, oder den Versuch unternommen, sich sehr dumm zu stellen oder sehr kränklich oder scheu oder albern oder zickig… und mehr. Es hatte alles nicht geholfen. Die Freier wollten sie, egal, was sie sich mit ihr einbrockten, denn das Königreich gab es gleich als Bonus mit dazu. Aber Samanta wollte nicht.

 

Also hatte sie jedes Mal etwas finden müssen, zu lange Haare, die aus der Nase wucherten, oder krumme Pelzohren, die einem Hasen Konkurrenz machten, Plattfüße, Stinkebeine, Schielaugen, Pfurzwänste, Zwerge, Altersschwäche, Kahlköpfige, Schwätzer, Weibische … egal, immer hatte sie etwas gefunden, um den Freier abzulehnen. Denn das war ihre einzige Chance, die Regel, die besagte, fände sich ein triftiger Grund nach der königlichen Freier-Prozess-Ordnung, unter dem Kapitel „Gründe, die zur Ablehnung führen“ , dann durfte sie wieder den Thronsaal verlassen. Meist konnte sie sich ein Kichern dabei nicht unterdrücken. Manchmal aber auch war sie rot vor Anstrengung und schwitzte, wenn sie nach erfolgreicher Ablehnung den Saal verließ. Ihr Vater war ungefähr uralt oder noch älter mal vier hoch dreitausend. Wenn sie an seine Lebensjahre dachte, war ihr klar, er konnte ja nicht ewig diese Freierstunden in der Halle abhalten, er würde schon ermüden. Da war sie überzeugt.

 

In der Thronhalle angekommen, lächelte sie mildtätig und den Kopf gesenkt nach links und rechts, den Hofstaat zu begrüßen, und ging auf ihre Eltern zu. Vor ihrem Vater knickste sie kurz und setzte sich dann zu Füßen ihrer Mutter auf eines der Kissen, die auf die Stufen zum Thronpodest gelegt waren. Ihre linke Hand fing nervös an den Trotteln der Kissenplatte zu fummeln. Die Königin flüsterte ihr zu, dass sie reizend aussähe und sie solle sich mal dieses Prachtstück ansehen.

 

Samanta sah in die Mitte des Saales, den jetzt ein junger Mann mit dunklem Haar, blauen Augen, breiten geraden Schultern und einer starken Schattierung im Schritt betrat.

 

Ihre Mutter wedelte sich mit einem Fächer heftig Luft zu und flüsterte so etwas wie Jesses Maria und Joseph oder meine Güte, diese Kraft oder etwas in der Art. Samanta nickte freundlich und musste sich das Lachen verkneifen. Der junge Mann, Prinz Eugen von Hastenichtgesehen, erzählte ausführlich von seinen Heldentaten, seinem Wissen in der Jagdkunst, seinen Kraftübungen bei Ritter Kennsteauchnicht und verbeugte sich zwischen seinen Sätzen immer wieder. Worauf die Fanfaren einen ordentlichen Salut bliesen und die Hofdamen Ahs und Ohs in die Halle flattern ließen.

 

Samanta hatte zu tun, sie konnte nicht riskieren, sich ablenken zu lassen. Seine Füße waren okay, sportlich sah er aus, hatte Augen wie blaue Teiche, schöne gepflegte Hände, volles Haar, war normal groß, also irgendwie ein Mann wie aus einer Heldensage. Ihre Mutter stieß sie mit Ihrem Fuß unauffällig auffällig an. Empört drehte sich Samanta zu ihr um. Die Mama machte eine winkende Handbewegung, die wohl so viel bedeuten sollte, wie, erheb Dich und geh dem Prinzen entgegen. Die Posaunen gaben wieder einen Jubelsturm aus, gefolgt von flatternden Ahs und Ohs…. Eine Hofdame sackte gerade mit einem Pfffffff zusammen. Samanta musste sich konzentrieren.

 

Sie hatte sich würdevoll erhoben, so würdevoll es aus der hockenden Stellung gelungen war, und ging mit kleinen Schritten auf den Prinzen zu. Er machte auch einige Schritte. Als sie sich gegenüber standen, lächelte er frech und zeigte Zähne wie aus Biskuitporzellan. Er bückte sich jetzt tief und faselte etwas von, Ehre und Hoheit und Durchlaucht. Samanta machte einen kleinen Knicks und lief um diese Abenteuerillustration herum, schnupperte ein bisschen, und stellte sich wieder in Front. Sie sah zum Hofmeister und sagte dem, er solle fragen, ob der Prinz Jüngling sei, was bejaht wurde. Ob er schwimmen könne, das Reich liege immerhin an drei Seen. Das wurde ebenfalls bejaht. Die Frage nach Klettereigenschaft, Hochsprung, Lieblingstier, Allergien, Erbkrankheiten, Alkoholsucht, Kurzsichtigkeit und jedwede Verstopfungen brachten auch keinen Erfolg, um ihn nach königlicher Prozessordnung auszusondern.

 

Jetzt fragte die Prinzessin, ob er schreiben, lesen und rechnen könne. Der Prinz sah sie mit geweiteten Augen an. Im Saal war nichts mehr zu hören, als hätte jemand alle versteinert, eine Dame fiel mit einem Ommmpfffffffff zu Boden. Dann erwiderte Eugen, dass er eine Bibliothek besäße aus drei Bänden lyrischer Gesänge, einige Heldenepen, wunderschön illustriert sowie mehrere Bibeln und Gebetsbücher, die er auch hin und wider ein wenig lese. Außerdem würde er auch manchmal rechnen und zählen, sodass ihm zählen bis 100 auch sehr leicht fiele.

 

Samanta behauptete, sie sei Veganerin, was natürlich gelogen war. Der Prinz entgegnete, dass seine Bauern in üppigen Gärten für sie die edelsten Gemüse und Früchte anbauen werden. Die Prinzessin behauptete, dass sie schlafwandele, schnarche, bettnässe, wasserscheu wäre, Langschläferin sei… auf alles gab der galante Freier eine charmante Antwort, wodurch wieder zwei Hofdamen mit einem Ahhhhhhh in die Knie gingen.

 

Samanta beschloss zum letzten Mittel zu greifen und behauptete, sie habe sich mit einer Fruchtbarkeitsreliquie ihre Unschuld durchstoßen. Es fielen plopp, klack, uhhhh, mpfffffffffff mehrere Damen zu Boden. Der König sprang auf und schrie „Samanta!“, Prinz Eugen hob eine Hand, hielt den Handrücken angewidert vor seine Nase, warf den Kopf in den Nacken, drehte sich um, leichtfüßig wie ein Eiskunstläufer, und verließ eilig die Halle.

 

Die Königin war zu ihrer Tochter geeilt und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Anschließend wies sie ihre Tochter mit dramatisch ausgestrecktem Arm an, zu gehen und sich nicht sobald wieder blicken zu lassen. Der Königin Finger zeigte in Richtung Samantas Gemach. Samanta hörte noch die Worte Undank, womit habe ich das verdient, Hölle, Jesses, Maria und Joseff.

 

Dann war sie außer Hörweite und hielt sich die rote Wange. Im kalten Flur, in dem ihre Schritte wie ein lautes Ha-ha-ha-ha-ha widerhallten und sie den Eindruck hatte, das Gemäuer sei auf ihrer Seite, grinste sie breit.

 

In Ihrem Zimmer angekommen, ließ sie sich mithilfe ihrer Zofe für die Nachtruhe fertigmachen. Auf ein Abendessen würde sie verzichten. Sie ließ sich ein Tischchen mit kleinen Leckereien und passende Getränken bringen. Dann gab sie Anweisung, bis zum Morgen nicht mehr gestört werden zu wollen.

 

 

Samanta schmiegte sich eng an die zarte weiße Haut. Sie küsste Mund, Hals und Brustwarzen. Ihre Füße angelten unter der dicken Bettdecke nach den anderen Beinen. Und vier Beine verschlangen sich wie die Umarmung alter Bekannter zu einem lang erwarteten Wiedersehen. Samanta stöhnte, als sie den warmen Druck empfand. Dann sagte sie, dass es ein Glück sei, wieder davon gekommen zu sein, dass sie nur einen Menschen lieben könne und dass sie nur ihre Esmeralda an ihren Körper lassen würde.

 

 

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