Klaus-Dieter Oettrich

Tim und ich kannten uns schon seit der Sandkastenzeit. Schon damals wollten wir zur Kriminalpolizei. Wir beide, mit unseren strohblonden Haaren, verstanden uns prächtig, obwohl ich nur schwäbisch sprach und Tim hochdeutsch.

Als wir sechs Jahre alt waren wurde Tims Vater beruflich nach Frankfurt versetzt und kurze Zeit später mein Vater nach  München. So verloren wir uns aus den Augen.

 

Nach 20 Jahren wurden wir zu Kriminaloberkommissare befördert. Der Arbeitsplatz für mich war Stuttgart. Nach drei Monaten kam Tim nach.

Welch eine Freude.

Tim war 5 cm größer und  beleibter. Ich dagegen schlank und windschnittiger. War weiterhin der positiv eingestellte Mensch, Tim genau das Gegenteil. Seine beliebten Worte waren: Aber, trotzdem, weil.

Wir wurden wieder richtige Freunde. Obwohl er mir mit seiner Meckerei schon mal auf den Wecker ging. Ich sagte zu ihm: „Du wärst bestimmt der unglücklichste Mensch der Welt, wenn du keine Probleme finden würdest.”

 

„Gehen wir in die Weinstube Kochenbas,” schlug ich an einem Feierabend vor.

„Warum, ist dort ein Verdächtiger?”

„Nein, aber ein Viertel Wein und Maultaschen werden uns gut tun.”

Tim parkte den Wagen und ich ging schon mal voraus.

Das Lokal war gut besetzt. Ich fragte die Bedienung nach zwei freien Plätzen.

„Do en der Eck sen no zwoi Blätz frei.”

 

Nun kam auch Tim. Stolperte aber über die Türschwelle und landete direkt in der überfüllten Weinstube.

Er erhob sich schnell und rief: „Hier spricht die Kripo, wer hat mir einen Fuß gestellt?”

Niemand nahm eine Notiz von ihm. Kein Wunder bei dem Lärm.

Ich winkte Tim zum Tisch.

 

„Dies ist also deine Stammkneipe. Für mich wohl nicht geeignet. Der Lärm, der Tabakgestank und alles wirkt ein wenig schmuddelig. Hoffentlich ist alles sauber in der Küche,” bemerkte Tim.

„Darauf achtet die Chefin – Frau Rettenmeier – ganz besonders.”

Tim schaute sich die Gäste mit seinem Fahndungsblick an.

Die Bestellung wurde aufgegeben und schon brachte die Bedienung  zwei Viertele Trollinger.

„Tom schau mal, da drüben sitzt einer der Verdächtigen im Mordfall Kleinert.”

„Ruhe dich aus, Tim. Wir sind nicht bei der Fahndung.”

„Man muß immer die Augen offen halten.”

„Ja, so wurde es mir auch auf der Polizeiakademie gepredigt. Nun erst mal Prost, dass deine Nerven sich beruhigen.”

 

Tims Tischnachbar fragte: „Sen sie von der Kripo?”

„Ja, wollen sie eine Aussage machen?”

„Aber Tim, wir sind doch privat hier. Komm endlich mal wieder runter vom Polizeidienst.”

Die Suppen wurden serviert.

Man wechselte noch einige Worte und mit einem gemeinsam gesagten „Guten Appetit” begann man die Suppe zu löffeln.

 

Tim rief die Bedienung und bat um einen sauberen Besen. Er wurde ungläubig angeschaut. „Es ist so, dass mein Freund einen Besen isst, wenn ich ein Haar in der Suppe findet.”

„Spennt der?”

„Er hat so seine Sonderheiten.”

„Hier isch koi Hohr en do Supp. En der Waistub ond en do Kich isch Sauberkeid erschdes Gebot,” stelllte die Bedienung fest.

 

Nach zwei Minuten rief Tim die Bedienung an den Tisch und fragte: „Haben sie rote Haare?”

„Du Depp, du siehsch doch, dass i schwarze Hohr han.”

„Aber vielleicht woanders rote.”

„Werd bloß net anzüglich, sonsch schmeiß i di aus do Waistub naus”.

„Entschuldigen sie Frau Chefkellnerin.”

„Halts Maul.”

„Sehen sie das gelbrote Haar in der Suppe?”

„Des isch koi Härle, des isch Safran. Jedzd kannsch du do Besa fressa.”

„Das könnte ihnen so gefallen.”

 

In diesem Augenblick kam die Küchenhilfe in den Gastraum. Ganz sauber in weiß waren Hose, Bluse und die Mütze. Auf der Seite der Kopfbedeckung schauten ihre goldgelben Haare hervor.

Sofort sand Tim auf und fragte: „Darf ich eine Haarprobe von ihnen nehmen?” Und blickte triumphierend  zu den Gästen.

 

Tim stand auf und wollte gerade die Weinstube verlassen. Da kam die Küchenhilfe und gab ihm ein Haar von ihr.

„Ist dieses Haar gefärbt?” Fragte Tim.

„Nein, alles Natur.”

„Wer,s glaubt wird selig, wer bäckt wird mehlig.”

Die Küchenhilfe ging beleidigt in die Küche zurück.

 

Als Tim die Ausgangstüre erreichte, kam der befehlende Ruf der Bedienung: „Zuerschd musch zahla, bevor du gosch.”

„Entschuldigung, hätte ich fast vergessen. Aber wir von der Kripo sind keine Zechpreller.”

 

„“Sie haben aber einen komischen Freund,” sagte der Tischnachbar von mir.

„Jeder Mensch hat so seine Lebenseinstellung. Er sieht viele Sachen negativ, was aber bei der Arbeit bei der Kripo oft nützlich ist. Ich sehe bei unserer Arbeit die Menschen zuerst immer positiv. Bei Tim ist das gerade anders, er sieht alle Verdächtige gleich als Verbrecher.”

„Na ja, wenn er mit dieser Einstellung glücklich, zufrieden und erfolgreich  ist, geht ja alles in Ordnung. Also dann Prost, Herr Nachbar.”

 

Tim kam nochmals in die Weinstube zurück.

„Habe ich meine Brieftasche hier liegen lassen?” Fragte er mich.

„Nein, aber ich habe sie bei mir.”

„Wie kommt sie denn zu dir?”

„War früher in der Abteilung Diebstahl beschäftigt. Da lernt man vieles.”

 

Am nächsten Tag nach getaner Arbeit gingen sie zur Brauereigaststätte Dinkelacker. „Dort war ich früher oft mit meinen Eltern,” teilte Tim mit.

„Gut gehen wir dort hin und machen den Härle Test.”

Aufbrausend teilte Tim mit: „Da gibt es keine Haare in der Suppe. Riechst du nicht die Sauberkeit hier?”

„Kann man Sauberkeit riechen?” Fragte ich.

„Ich schon.”

„Dann bist du bei der Mordkommission am falschen Platz. Du solltest beim Ordnungsamt tätig werden und Gaststätten, Hotels etc. auf Sauberkeit überprüfen.”

„Wenn man mir den gleichen Gehalt wie bei der Kripo bezahlt, wäre ich einverstanden.”

 

Das Essen wurde professionell serviert.

„Na, das ist schon was ganz anderes wie in deiner Stammkneipe.”

„Vom Service werde ich aber nicht satt,” teilte ich mit.

 Als ersten Gang gab es Nudelsuppe.

„Brauchst gar nicht so grinsen. Ich weiß, dies sind Nudeln und keine dicke Haare.” „Bravo, die Antwort ist richtig. Hast du gestern mit deiner Frau über den Safran gesprochen?” Fragte ich.

„Ja, aber ganz kurz. Wollte mich nicht blamieren.”

 

Die Suppe schmeckte ausgezeichnet.

„Hast du was gefunden?”

„Ja, ich habe das Essen als gut befunden.”

„Meine, hast du ein Haar gesehen?”

„Viele, viele, aber nur bei der langen Mähne der Bedienung. Wenn von ihr ein Haar in der Suppe gewesen wäre, hätte man dies nicht übersehen.”

 

Am nächsten Abend wurde eine urige Kneipe besucht. Hier stand neben dem Bauarbeiter der Mediziner, neben dem Partygirl die Professorin etc…

„Hier finde ich bestimmt etwas,” sagte überzeugt Tim.

„Dir bereitet dein -vielleicht-  kommender Beruf jetzt schon Spaß.”

„Ich denke ja. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes besitzen eine große Macht, die bis zur Schließung des gastronomischen Betriebes führen kann.”

„Du brauchst wohl Macht.”

„Ganz unter Freunden gesagt: Ja.”

 

Um an die Theke zu kommen war gar nicht so leicht bei diesem Gedränge.

„Ich sehe hier hunderte von Verdächtigen,” teilte Tim mit.

„Und ich sehe lustige, ausgelassene und fröhliche Gäste.”

 

Eine Glocke ertönte.

Hilde die Besitzerin nahm das Mikrofon: „Liebe Freunde. Wie jeden Abend haben wir uns ein lustiges Spiel einfallen lassen. Im heutigen Menü  haben wir ein künstliches Haar mit der Suppe mitkochen lassen. Wer es findet bekommt eine Flasche Württemberger Trollinger geschenkt.”

 

„Na, Tim, das ist wohl die richtige Gaststätte für dich.”

Tim bestellte sich drei Teller der Tagessuppe und sagte: „Damit habe ich die Möglichkeit das Haar zu finden um das dreifache erhöht.”

„Spinner!”

Der Lärmpegel ging zurück, da die meisten Gäste dabei waren die Suppe zu essen.

Der Nachbar von Tim brüllte: „Ich hab es gefunden. Die Flasche Wein bitte zu mir.”

„Zeig mal her,” sagte Tim und schaute in den Suppenteller. „Das ist kein Haar, das ist Safran,” stellte er fest.

Die Bedienung kam und bestätigte die Aussage von Tim.

„Da niemand das Haar gefunden hat, werden wir morgen, dieses Spiel wiederholen,” sagte Hilde.

Ich klopfte Tim freudig auf die Schulter und sagte: „Ich denke, wir kommen morgen wieder.”

 

Der Lärmpegel stieg wieder stark an.

„Tim schau mal, da oben neben dem Ventilator befindet sich eine Spinne an einem Gummifaden direkt neben dem Ventilator.”

Durch die Luftbewegung bewegte sich die Spinne.

„Aber warum hängt sie da?”

„Hast du Fliegen oder Mücken im Raum gesehen?”

„Nein”

„Darum.”

 

Am nächsten Tag drängten sich um 20 Uhr vor der Eingangstüre zur Kneipe schon die Gäste. Ich sagte: „Man könnte gerade glauben, dass man hier was umsonst bekommt.”

„Bei den Schwaben bestimmt nicht,” äußerte sich ein Gast.

„Aber gute Gespräche kann man mit ihnen führen.”

„Ja, es ist das Land der Denker und Dichter. (Kepler, Hegel, Schelling, Hölderlin, Mörike etc.)”

 

„Na Tim, du unterhältst dich mit deiner Clique ganz gut,” stellte ich später fest.

„Ja, es sind aber nicht professionelle Kollegen.”

„Was bedeutet dies?”

„Es sind Schauspieler einer Krimiserie im Fernsehen.”

„Ach ja, und du löst die Fälle auf.”

„Das brauch ich nicht, die Auflösung steht ja im Drehbuch.”

 

„Das ist gut so. Du hast ja viel zu tun und dazu musst du das Haar in der Suppe noch suchen.”

„Wenn es das nur wäre, ich muss auch herausfinden von wem es ist.”

„Jetzt drehst du aber voll durch.”

„Tom, würdest du dir ein Haar auf deiner Glatze einpflanzen lassen, wenn du nicht weißt von wem es ist?”

„Erstens habe ich keine Glatze und zweitens finde ich dies absoluter Blödsinn.”

„Wenn ich auch so volle und lange Haare wie du hätte, wäre ich wohl auch deiner Meinung.”

 

Die Suppen wurden serviert. Tim war immer noch vertieft in die Gespräche mit den Filmleuten. Ich zupfte mir ein Haar aus und legte es in den Suppenteller von Tim bevor er wieder kam.

„Ich hab das Haar gefunden,” rief er erfreut. „So ein langes Haar ist ja fast einmalig. Bedienung, bitte bringen sie die Flasche Wein.“

Ein Grinsen konnte ich mir nicht verbergen.

Tim sah mich an: „Du Gauner, das Haar ist von dir.”

„Als guter Freund wollte ich dir die Suche ersparen, wem das Haar gehört.”

„Du bist mir ja so ein Freund, der mich täuscht.”

„Nein, nein, einem guten Freund muß man helfen wo man kann.”

„Was mache ich jetzt mit der Suppe?”

„Essen!”

„Aber da war ja ein Haar drin.”

„Ja, von deinem besten Freund.”

„Also kann man diesen Fall als aufgeklärt betrachten, oder?” meinte Tim.