Von Hans-Günter Falter

Hab ein Problem. Ich finde den Anfang nicht. Suche schon seit Tagen danach. Wo hat er sich bloß versteckt?
Ich fang jetzt trotzdem einfach schon mal an, halt ohne Anfang, vielleicht ergibt sich dann ja was.

Ich würde so gerne über ihre Haare schreiben. Sie hat nämlich sehr schöne Haare. Nein, sie hat nicht einfach nur schöne Haare, sie hat die schönsten Haare, die es gibt. Jedenfalls für mich. Dieser Duft, … ich würde ihn überall mit einem Blick erkennen.
„Das ist aber ziemlicher Quatsch, … um Gerüche zu erkennen, braucht es eine Nase, keine Augen“, sagt da eine mir bekannte Stimme im Hintergrund.
Ja stimmt, ich könnte auch blind sein und würde ihren Duft erkennen, dieses Bukett, … schreibt man das so?, oder eher Bouquet, klingt doch vornehmer, oder?
„Klingt gleich, sieht vielleicht gebildeter aus, passt aber eher auf Wein als auf Haare“, höre ich da schon wieder meinen inneren Kritiker reklamieren.
Was ich sagen wollte: ich würde sie immer und überall erkennen. Punkt.
„Kann ich ansatzweise verstehen, erzähl doch weiter.“
Ich würde die Gegenwart dieser Frau einfach spüren, mit allen Sinnen. Übrigens nicht nur wegen der Haare.
Ich würde sie erkennen, auch wenn der ein oder andere Sinn gerade nicht funktionieren würde. So meine ich das.
„Wo du gerade zum wiederholten Male das Wort ´Erkennen` benutzt; weißt du eigentlich was das bedeutet, wenn es in der Bibel steht“, nervte jetzt schon wieder mein interner Kritiker.

Wie jetzt, in der Bibel?
„Kain erkannte seine Frau; die wurde schwanger und gebar den Henoch.“
Ach so das, ja. Hab ich jetzt aber nicht gemeint. Lass mich doch bei meinem Thema bleiben und hilf mir lieber.
„Ich helfe dir doch, mit meinen Ratschlägen und meinen wertvollen Hinweisen.“
Sicherlich würde von diesen Haaren, … hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass sie sehr sehr schöne Haare hat?
„Ja, hattest du“.
Wollte nur mal sehen, … oder vielmehr hören, ob du auch noch aufmerksam dabei bist.
Von ihren tollen Haaren also, da würde natürlich auch hin und wieder mal eins ausfallen, und wer weiß, vielleicht auch ab und an in der Suppe landen, ließe sich wohl nicht vermeiden.
„Haare in der Suppe kann ich nicht ausstehen.“

Ich auch nicht, und ich glaube, dass sowas keiner mag.

„Obwohl? … vielleicht?“

Was meinst du?

„Es gibt ja die unmöglichsten Vorlieben, Fetische und merkwürdige Gewohnheiten. Vielleicht sogar extravagante Restaurants, oder Suppenküchen, bei denen du dir spezielle Haare mitbestellen kannst.“

Ach ja, heute nehme ich Kartoffelsuppe Brünette, morgen Gulaschsuppe Blond, gestern hatte ich was mit gefärbten Strähnchen. Hast recht, würde mich nicht wundern, wenn es sowas schon längst gibt. Es gibt ja sogar Gondeln, nicht nur in Venedig, hab ich mal irgendwo gelesen. Ich bekomme nicht immer alles so mit.
„Oh, wie wahr.“

Ich gehe jedenfalls lieber zu Edgar in die Eckkneipe (Kneipe mit einem „p“). Kneippen (mit „zwei p“) hab ich früher auch gemocht, also, …  manchmal gemacht. In unserer Nachbarschaft gab es ein Hotel, das hatte im Garten so ein kniehohes Wasserbecken, da bin ich im Sommer manchmal reingegangen. Schuhe aus, Hosen hoch gekrempelt … manchmal ist Helga auch mitgekommen … anschließend haben wir ….

„Jetzt schweifst du aber ab.“
Du bist sehr hart mit mir.

„Ja. Hart, aber ungerecht. So wie das Leben nun mal ist.“
Sie hat also total schöne Haare. Und sie ist umgeben von diesem Flair, diesem Duft nach … , so etwas wie … , … ich kann es nicht beschreiben.
„Musst du auch nicht. Kennt doch bestimmt jeder, auf die eine oder andere Art. Müssen ja nicht die Haare sein. So was wie die Ausstrahlung eines Menschen, der fasziniert, der etwas Magisches hat, das meintest du doch?“

Ja, danke für die Unterstützung, so etwas in der Richtung wollte ich sagen.
Diese Frau jedenfalls soll die Hauptfigur in meiner Geschichte sein.
Das Ganze spielt in den achtziger Jahren. Also, ab den achtziger Jahren, da soll sie geboren sein. Ihr Alter spielt aber keine Rolle, vollkommen belanglos.

„Könnte es nicht auch ab den dreißiger Jahren spielen?“
Ja, … warum eigentlich nicht? Auf die Handlung hätte es keinen Einfluss. Auf meine Hauptperson auch nicht. Obwohl, sie hätte den Krieg und die Nachkriegszeit erlebt und wäre davon geprägt. Vielleicht hätte sie dann eine andere Frisur, … ja, … natürlich, ziemlich sicher sogar. Ich muss noch überlegen, ….
Nein, ich bleibe bei den Achtzigern, da kenne ich mich einfach besser aus. Zudem ist sie jetzt ungefähr 33 Jahre alt.
„Gerade eben hattest du doch noch gedacht, das Alter wäre unwichtig.“
… aber das stimmt nicht, merke ich gerade. 33 ist gut.

„Ich glaube, du hast einen Hang zu den ungeraden Zahlen, wenn du dir welche ausdenken musst, kann das sein?“
Du meinst, so eine Art Zwang?
„Zählzwang eventuell. Treppenstufen zählen, Erbsen zählen, womöglich in der Suppe? Oder Haare zählen, auch in der Suppe.“
Da gibt es ja meist nicht viel zu zählen. Das Haar tritt in der Suppe wohl nur als Einzelkämpfer auf, hatte zumindest noch nie mehr als eines pro Suppe gefunden.
„Ist das eine eiserne Regel, `Es gibt niemals mehr als ein Haar in der Suppe`?“

Vielleicht habe ich auch nicht weiter gesucht, weil eines schon ausreicht, um mir den Appetit zu verderben? Oder ich habe nicht weiter gesucht, weil ich mich ja zu den ungeraden Zahlen hingezogen fühle.
„Aha, und wie geht es weiter?“

Meine Hauptperson sollte ich mal nicht aus den Augen verlieren. Die Frau, ich nenne sie mal Marie, … 
„ … Marie, … der Name hat so etwas herrlich Zeitloses, ….“

Also, sie hat zwei Kinder, die sind jetzt 7 und 9 Jahre alt. „Diese Macke mit den ungeraden Zahlen solltest du jetzt mal vorsichtig aber konsequent therapieren!“
Also gut: die Kinder sind 8 und 10 Jahre alt. Ende. Ein bisschen fröstelt es mich jetzt aber schon, aber ich bleibe dabei. Schluss mit dem Tick.

Gut, und sie ist Selbständig, also auf gar keinen Fall irgendwo angestellt, das wäre nicht stimmig. Sie macht etwas mit Gesundheit, … Heilpraktikerin, … gefällt mir richtig gut. 

Das Zentrum ihres Lebens sind aber ihre beiden Mädchen, hatte ich schon erwähnt, dass es Mädchen sind? Na egal, ist einfach so.
Sie wohnen noch im gleichen Haus, das sie schon als Familie, bewohnt hatten, vor der Scheidung. Nur der Vater fehlt jetzt.

„Sie ist also geschieden?“

Ja, warum nicht?

„Du hattest es nur einfach noch nicht erwähnt.“

Sie ist alleinerziehend, hat sich von ihrem Mann getrennt, vor drei Jahren.
„Nein: vor vier Jahren, denke an dein Problem!“

Ein klitzekleines bisschen störst du jetzt meinen Gedankenfluss.
Jedenfalls, um das Haus weiterhin zu finanzieren und überhaupt …, hat Marie das frühere Arbeitszimmer ihres Mannes untervermietet. Auch, weil sie nicht gut mit sich alleine sein kann. Trotz der Kinder.
Es gab ziemliche Probleme mit dem ersten Untermieter und eigentlich wollte sie auch keinen weiteren, nachdem der schon nach kurzer Zeit wieder ausgezogen war, … bis ihre beste Freundin ihr diesen Nils oder Lars oder Max oder so ähnlich vorgestellt hat.
Irgendwie funkte es zwischen den beiden, also mehr so auf Sympathieebene, … jedenfalls zuerst. Und dieser Nils, Lars oder Max …
„Du solltest dich mal bald für einen der Namen entscheiden, mein Lieber ….“
Der jedenfalls suchte ein Zimmer und da hat sie es ihm dann sehr schnell entschlossen vermietet. Obwohl sie sonst eher nicht sonderlich spontan ist, alles sehr lange überlegt und abwägt.
`Ich lasse die Gedanken ruhen, bewege alles noch mal in meinem Herzen`, das muss ich unbedingt als eine ihrer Lebensweisheiten mit einbauen.

Die Freundin, oh, die darf ich keinesfalls vergessen, muss sie noch näher beschreiben. Sie ist nämlich eine sehr enge Freundin, die beiden kennen sich schon sehr sehr lange. Mir fällt gerade kein passender Name für sie ein, … aber egal. Jedenfalls meditieren sie manchmal zusammen, zum Beispiel an Silvester, wenn die beiden Mädchen bei ihrem Vater sind.  

„Die Silvestergeschichte solltest du ausbauen, weil sie das Verhältnis der beiden Frauen sehr detailliert beleuchten kann.“
Ja, stimmt. Sie sind übrigens alle zwei Wochen bei ihrem Vater, also ich bin jetzt wieder bei den Kindern.

„Immer diese Gedankensprünge ….“

Dann hat Marie Zeit sich um ihren jeweils „derzeit aktuellen Freund“ zu kümmern, wie sie es nennt. Seit der Scheidung gab es da zwar erst zwei etwas längere Beziehungen, aber anderen  gegenüber nennt sie ihren Freund, der 17 Jahre älter ist, genauso.
„Schon wieder eine ungerade Zahl … .“
… aber es passt so gut.

„Wenn er das wüsste … , also das mit dem „derzeit aktuellen …“.“

Vielleicht sollte er es in der Geschichte erfahren. Das gäbe Zoff, denn wer will schon ein „zukünftig ehemaliger, derzeit aktueller Freund“ von irgendwem sein, da hört man ja schon das Verfallsdatum heftig mitschwingen.

„Wäre doch eine schöne Nebenhandlung.“

Einen Namen bekommt er von mir jedenfalls nicht. Zumindest vorerst. Vielleicht ist er ja auch schon bald wieder passé? Dann kommt einfach der Nächste in ihr Bett. Mal sehen, da bin ich noch nicht ganz entschlossen.
Jedenfalls wollte er, also der „derzeit aktuelle …“, er wollte nicht der Vater des von Marie so ersehnten dritten Kindes werden.
„Kann es sich absolut nicht vorstellen, weil er Spaß haben will und keine Verantwortung, was?“

Womöglich sogar sehr weise von ihm, denn sie ist schon mit den beiden Mädchen oft maßlos überfordert und am Rande ihrer Kräfte. Und die heile Familie, von der sie träumt, kommt so auch nicht zustande.
„Aber irgendein Samenspender wird sich sicherlich finden und wenn´s der Untermieter ist!“
Ja, Marie bekommt immer, was sie will. Und sie ist ja auch sehr attraktiv, wenn auch nicht wirklich schön, so im klassischen Sinne.
„Was meinst du mit `Schönheit im klassischen Sinne?`“
Schönheit?! …  Na, … belanglos jetzt.

Ich habe noch so viele Ideen. Mist, hoffentlich vergesse ich das nicht alles wieder.

Weil, leider bleibt dafür jetzt keine Zeit mehr, aber morgen, morgen fange ich an den Roman zu schreiben.
„Hast du also endlich den Anfang gefunden?“