Von Marianne Apfelstedt 

Der Novembernebel lag grau über der Stadt. Mürrische Menschen, vermummt mit  Mützen und Schals, stürmten an den Scheiben von Felicitas Suppenküche vorbei. Die bunten Tischsets und Servietten mit Blüten lagen auf den Bistrotischen aus dunklem Holz und verbreiteten einen Hauch Frühling. In der Ecke bullerte ein Holzofen vor sich hin und sorgte für behagliche Wärme. Bester Laune überprüfte sie die Getränke an der Theke, befüllte die Kaffeemühle und drehte die Kurbel in rhythmischen Runden. Aus der hölzernen Schublade drang der verheißungsvolle Duft des Kaffeemehls an ihre Nase. Das heiße Wasser ergoss sich auf das aromatische Pulver im Porzelanfilter, gemächlich breitete sich das würzige Aroma aus, als das Glöckchen an der Tür einen Gast ankündigte. „Hallo Tim. Du bist heute aber zeitig dran. Ich habe frischen Kaffee aufgesetzt.“

 

„Hi Felicitas, bei dem trüben Wetter verbringe ich meine Mittagspause lieber im Warmen. Was steht heute auf der Tageskarte?“ 

 

„Es gibt Karotten-Kokos-Suppe, Maissuppe mit Garnelen und Linsencurry, dazu unser ofenwarmes Brot. Zum Nachtisch empfehle ich dir Apfelkuchen mit Mandelkruste oder Brownies. Willst du etwas Warmes zum Aufwärmen? Wie wäre es mit heißem Gewürztee oder frisch aufgebrühten Kaffee?“

 

„Dann bring mir bitte einen Tee, mit dem Essen warte ich auf Aron.“ Felicitas wunderte sich über Tims verdrießlichen Gesichtsausdruck. Irgendetwas hatte ihm den Tag vermiest. Sie gab zu seinem Gewürztee einen Brownie dazu und stellte beides auf dem Tisch ab. Tim verschanzte sich hinter der Tageszeitung. Er runzelte die Stirn, sein Blick wanderte zur Uhr neben der Eingangstür. Bin gespannt, ob Aron pünktlich ist! Na der kann sich auf eine Ansage gefasst machen, mich gestern Abend zu versetzen! Und warum? Nur weil seine beste Freundin aus Studententagen ihn ohne Ankündigung von der Arbeit abgeholt hatte. Er ignorierte sein Herzklopfen und las zum dritten Mal den gleichen Satz, was ihn noch grantiger werden ließ. Verena! Klug und sexy trat jetzt wieder in ihr Leben. Tim saß wie auf glühenden Kohlen und die Uhr zog seine Augen magisch an. Als Aron grinsend zur Tür hereinkam, legte Tim entnervt die Zeitung bei Seite. Er bemerkte schon beim ersten Blick, dass Tim kurz vor dem Explodieren war, deshalb setzte er sich erst einmal. „Na welche Zitrone hast du den serviert bekommen?“, versuchte er die Stimmung aufzulockern. Tim öffnete den Mund, um Aron anzublaffen, als Felicitas am Tisch erschien.

 

„Servus Aron, ich hab dir einen Kaffee mitgebracht. Wollt ihr bestellen, bevor der Mittagstrubel losgeht?“

 

„Auf was hast du den Appetit Tim?“, erkundigte sich Aron.

 

Tim sah Felicitas an und ignorierte Aron. „Ich nehme dann die Maissuppe und Apfelkuchen zum Nachtisch.“

 

Aron zuckte die Schultern. „Für mich bitte auch.“

 

„Kommt gleich“, sie zwinkerte ihm vertraulich zu. In der Küche hatte Martha, die Küchenhilfe, inzwischen das knusprige Brot aus dem Ofen geholt und die Essteller vorgewärmt, als das Glöckchen Neuankömmlinge ankündigte. „Martha bitte schau mal nach den neuen Gästen. Ich mach derweil eine Spezialbestellung fertig“, bat Felicitas.

 

Während die Garnelenspieße in Olivenöl mit Kräutern und Knoblauch garten, füllte sie die Maissuppe in rote Keramikschalen. Sie nahm die silberne Dose, mit der Vollmond Gravur auf dem Deckel, aus dem Gewürzschrank und beide Suppen bekamen eine Extraportion vom Spezialgewürz und frische Petersilie fürs Topping. Sie legte jeweils zwei Garnelenspieße über die Suppenschüsseln. Als sie aus der Küche an den Tresen trat, hörte sie Tims aufgebrachte Stimme, „wie konntest du nur? Gehst mit Verena auf ein Bier in unsere Stammkneipe. Ich hatte doch Karten für die Vernissage im Kunstkeller.“ Schnell stellte sie sich mit freundlichem Lächeln zwischen die Männer mit der Gewitterstimmung. 

 

„Zweimal Maissuppe und Knoblauchbrot. Nachtisch bringe ich später. Guten Appetit!“ Der Duft von Knoblauch und frisch gebackenem Brot durchdrang den Raum.

 

„Ich erklär´s dir ja. Jetzt lass mich erst mal probieren, das riecht megagut.“ Ein Knurren aus Tims Bauch stimmte Aron zu. Widerwillig nahm er sich ein Stück vom Brot und tunkte es ein. Danach kostete er die Suppe allein. Er schmeckte fruchtigen Paprika, Schärfe von Pfeffer und Chili und unbekannte Kräuter. Die Komposition erreichte seinen Gaumen, kurz schloss er die Augen, um sich auf die verschiedenen Komponenten zu fokussieren. Als Nächstes probierte er die perfekt gebratenen Garnelen. Die würzige Schärfe beruhigte den aufgewühlten Magen. Er entspannte sich restlos. Bei den letzten Löffeln der köstlichen Suppe durchdrang ihn wohlige Wärme vom Scheitel bis zu den Zehen. Wieso war ich vorher so wütend? Er hob den Blick und sah in die braunen Augen von Aron, die sich verführerisch an ihn hefteten. „Ich liebe es, wenn du deinen Löffel so schamlos ableckst. Das bringt mich auf eigenartige Gedanken.“ 

 

Tims Wangen überzogen sich mit einem Hauch von Rot. „Dieses Essen ist eben fast so gut wie Sex“, konterte Tim. „Sorry, ich war gekränkt, weil du mich so kurzfristig abserviert hast“, erklärte Tim mit seelenruhiger Stimme.

 

„Als Verena mich mit diesen Neuigkeiten im Büro überraschte, hab ich die Vernissage total vergessen“, räumte Aron zerknirscht ein. Er strahlte wie die aufgehende Sonne, „Sie heiratet im Juni und ich bin der Trauzeuge, im Sommer wird sie Mutter, dann werde ich Patenonkel.“ 

 

„Die Karten gelten bis Sonntag“, schmunzelte Tim.

 

„Du hast was gut, such den Tag aus und ich werde dich pünktlich abholen.“

 

Felicitas sah von weitem, dass sich die Wogen geglättet hatten. Sie schickte Martha mit dem Nachtisch zu den Männern und kümmerte sich um andere Gäste.

 

***

 

„Jetzt hör endlich auf zu zetern und komm mit. Da vorne ist ein Tisch frei.“ Die junge blonde Frau schlüpfte schnell auf den Stuhl. 

 

„Sieht aus wie ein Café. Bist du sicher, dass es hier etwas zu Essen gibt?“, die Dame mit den grauen Locken warf einen skeptisch Blick auf die Einrichtung. 

 

„Hallo Marlene, prima dass du heute vorbeischaust, es gibt Karotten-Kokossuppe“, begrüßte Felicitas die Neuankömmlinge. 

 

Marlene schwärmte, „perfekt! Mutti die musst du probieren, schmeckt echt klasse.“ 

 

„Alles klar, dann bringe ich zweimal Karottensuppe. Was wollt ihr trinken?“

 

„Für mich bitte stilles Wasser und eine Tasse Kaffee“, kam die mürrisch blickende Dame ihrer Tochter zuvor. 

 

Marlene sieht mit traurigen Augen zu ihrem Gegenüber und zuckt dann mit den Schultern. „Für mich bitte einen Gewürztee mit heißer Milch und ein Wasser.“

 

„Ich habe beschlossen, das Zimmer zu nehmen. In zwei Wochen ziehe ich aus“, hörte Felicitas im Weggehen.

 

„Du lässt mich allein zurück, dabei weißt du doch, wie einsam ich nach Vaters Tod bin“, erwiderte Anna verletzt.

 

Felicitas füllte die Karottensuppe aus dem Topf am Herd in Keramikschalen. Als Topping bekam die Suppe einen Löffel Kokosnussmilch, gehackten Koriander, das Spezialgewürz aus der silbernen Dose und obenauf etwas Zimt. Sie näherte sich dem Tisch der Beiden, schon von weitem hörte sie die wütende Stimme von Marlene, „Ich bin jetzt 23 und muss endlich auf eigenen Füßen stehen. Versteh mich doch!“ 

 

Felicitas eilte zu den Streithähnen. „Hier kommt die Suppe und warmes Knoblauchbrot. Lasst es euch schmecken.“

 

Ohne ihre Tochter anzublicken, nahm Anna schweigend den Löffel und rührte in der Suppe. Die Tage werden endlos und leer, wenn Marlene auszieht. Am besten hole ich mir vorsorglich nochmal diese Psychopillen, bevor ich wieder abstürze. Sie bemerkte einen Hauch von Zimt auf der Zunge, in Gedanken hatte sie den Löffel zum Mund geführt. Es folgten Noten von Chili, abgemildert durch die Süße der Kokosnuss. Bei der nächsten Portion genoss sie die Harmonie der Gewürze, die ihren Gaumen liebkosten und sich warm im Magen ausbreiteten. Versunken in das Auslöffeln der Suppe schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.

 

„Magst du eine Brotscheibe? Sie bäckt es jeden Tag frisch“, hörte sie die Stimme ihrer Tochter. Vorsichtig lugte sie über den Tisch, Marlene schöpfte mit einem Rest Brot die Suppe aus. Beide Frauen, schauten von ihrer Schüssel hoch. Blaue Augen blickten in die gleiche ältere Ausgabe, geschmückt durch einen Kranz feiner Fältchen. „Ich verstehe dich ja. Bin ja schon mit 19 von zu Hause ausgezogen. Mir graut nur vor der leeren Wohnung“, gestand Anna leise.

 

„Ich hab da eine Idee. Du könntest eine WG gründen und mein Zimmer untervermieten“, schlug Marlene vor. 

 

„Ich glaube nicht das ich fremde Menschen in Küche und Bad toleriere“, wendete Anna ein.

 

„Letzens hast du mir erzählt, dass Inge aus ihrer Wohnung ausziehen muss. Hat sie schon etwas Passendes gefunden?“

 

„Du hast Recht, mit Inge verstehe ich mich prima. Wir sind für morgen auf ein Glas Wein verabredet, dann werde ich sie fragen. Das ist eine Alternative“, freute sich Anna.

 

***

 

„Tschüss Martha, bis Morgen, hier sind Brownies für deine Mädchen.“ Felicitas schlißt die Eingangstür und lässt alle Rollos herunter. Dann löscht sie das Licht im Gastraum und betritt die blitzblanke Küche, räumt Mörser, Stößel und die Gewürze aus dem Schrank. Durch das Fenster leuchtet der Vollmond herein. Sie entzündet zwei Kerzen rechts und links der Utensilien. Mit flinken Fingern streift sie die brünette Perücke mit dem geflochtenen Zopf vom Kopf. Darunter kommt ein Silberschopf so leuchtend wie das Mondlicht und kleine spitze Ohren zum Vorschein. Geschickt zupft sie sich Silberhaare aus und schneidet sie in winzige Stücke. Zusammen mit Chili-Schoten, Pfeffer, Kardamom und Kräutern mörsert sie ihre spezial Gewürzmischung. Sie hält sich die Schale an die zierliche Nase und testet den würzigen Duft. Weitere Pfefferkörner und etwas Bockshornklee Samen finden den Weg in den Mörser. Mit leisen Gebeten und Liedern aus ihrer Heimat Island pulverisiert sie die Gewürze und Haare. Aufbewahrt wird die wirkungsvolle Mischung in der silbernen Dose mit dem Vollmond auf dem Deckel.

 

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