Von Miklos Muhi

Kommissar Tiberius Nelson wollte diesen Fall endlich loswerden. Alle seine Nachfragen wurden beantwortet und er hatte gestern Nacht die besagten Antworten studiert. Er kam zum Schluss, dass die Kollegen mit ihren Annahmen wohl ein bisschen voreilig waren.

 

Ihm gegenüber saß Michael Hufnagl, der vor einigen Tagen vom Verkehrsdezernat zum ihm überstellt worden war wegen Verdacht auf versuchten Mord. Laut Protokoll zeigte bei seiner Verhaftung die Alkoholsonde nichts und die Drogentests fielen negativ aus.

 

Tiberius hatte Hufnagl schon einmal verhört. Heute früh ließ er den Delinquenten wieder holen. Er hoffte, mithilfe der neu gewonnenen Kenntnisse eine Aussage zu bekommen, die der zuständige Staatsanwalt anders auslegen würde als das rechtsextrem anmutende Gelaber, was Hufnagl bisher von sich gab.

 

»Guten Morgen, Herr Hufnagl!«

»Guten Morgen, Herr Kommissar«, antwortete Hufnagl schlecht gelaunt. »Was wollen Sie noch von mir?«

»Ich möchte mit Ihnen die Ereignisse noch mal durchgehen.«

»Warum?«

»Es gibt noch einige Ungereimtheiten.«

»Muss das sein?«, fragte Hufnagl.

»Ja, das muss sein.« Tiberius‘ Stimme klang auf einmal wesentlich härter. »Erzählen Sie!«

»Es war ein beschissener Tag. Bin zu spät aufgewacht. Es gab einen Stromausfall, weil die Idioten bei den Elektrizitätswerken ihre Arbeit nicht machen können. Sie haben zu viele Ausländer angestellt. Es wird über die sogenannte Energiewende geredet, aber nicht einmal Versorgungssicherheit gibt es!«

»In Ihrer Wohnung fanden die Kollegen bei der Durchsuchung einen Wecker mit einer Notfallbatterie. So einem Wecker kann ein Stromausfall nichts anhaben, soweit ich weiß.«

»Die Batterie war verbraucht. Wenn die Lügenpresse einem einen sicheren Fluss von Strom vorgaukelt, vergisst man die Batterie zu wechseln.«

»Wir haben bei Ihrem Arbeitsplatz nachgefragt. Sie waren pünktlich im Büro.«

»Ja, weil ich mich beeilt habe. Doch der ganze Tag war im Arsch! Ich hatte keine ruhige Minute. Diese Spinner kamen einer nach dem anderen zu mir, nur damit ich nicht ungestört arbeiten konnte. Nichts, gar nichts habe ich an dem Tag geschafft! Sobald einer ging, kam der nächste mit einer blöden Frage oder einem sogenannten Problem. Mancher sprach kaum etwas Deutsch und …«

»Herr Hufnagl, bitte bleiben Sie bei der Sache! Wir wissen, dass Sie an dem Tag zur Zufriedenheit aller gearbeitet haben. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern, dass als Support-Mitarbeiter das Lösen von Problemen und das Beantworten der Fragen der Benutzer zu Ihrer Aufgabe gehört«, sagte Tiberius ruhig.

»Ja, ja, der Herr Kommissar weiß alles besser. Warum schreiben dann nicht Sie meine Aussage?« Hufnagl war irritiert.

»So läuft der Hase nicht, Herr Hufnagl. Für Ihre Aussage sind Sie allein zuständig, also weiter, wenn ich bitten darf.«

»Natürlich konnte ich nicht sofort nach dem Ende meiner Arbeitszeit nach Hause fahren, weil es so viel zu tun gab. Als ich endlich in der Küche stand und das Abendessen zubereiten wollte, ging wieder alles schief. Das Wasser brauchte eine Ewigkeit, um zu kochen, und die Soße war alle. Dann musste ich ins Fitnessstudio zum Training, aber natürlich klappte das auch nicht.«

»Was klappte nicht?«, fragte Tiberius.

»Sie wissen wahrscheinlich, dass das Stadion der Fußballmannschaft der Stadt am Ring liegt. Da musste ich vorbei. An dem Tag fand ein Bundesliga-Spiel statt. Stau ohne Ende, irgendwelche Clowns liefen in verschiedenen Vereinskleidern herum. Einige waren schon sternhagelvoll und sangen. Es dauerte eine Ewigkeit, wirklich.«

»Wir wissen auch, dass Sie rechtzeitig beim Training waren«, sagte Tiberius mit unbewegter Miene.

»Beim Training habe ich alles falsch gemacht, was man überhaupt falsch machen konnte. Das Ganze war eine Qual. Als ich dachte, dass das Leiden endlich endete und ich nach Hause fahren konnte, musste ich entdecken, dass es nicht nur grüne, sondern auch rote Wellen gab.«

»Was ist eine rote Welle?«, fragte Tiberius.

»Am Ring gibt es viele Ampeln und alle, wirklich alle waren rot, als ich da ankam. Ich musste bei allen halten …«

»Haben Sie aber nicht.«

»Nein, habe ich nicht. Bei der vorletzten roten Ampel gab ich Vollgas. Das Rot war mir egal und die anderen Autos waren mir egal. Nach so einem Tag war mir einfach alles egal. Ich bereue nicht, was ich getan habe, und ich würde es jederzeit wieder tun. Ja, Herr Kommissar, so schaut‘s aus.« Die Verbitterung in Hufnagls Stimme wurde lauter. »Ich lasse so etwas nicht auf mir sitzen und ich glaube nicht, dass die, die in der Früh noch gelacht haben, am Abend auch noch lachten!«

»Ich verstehe. Sie denken also, dass die rote Ampel zu überfahren und einen Streifenwagen zu rammen die Probleme des Tages im Nachhinein lösen wird?«

»Nein, das nicht, aber dann bin ich zumindest nicht der Einzige, der leiden muss.«

»Herr Hufnagl, es freut mich wirklich, dass Sie das sagen.« Tiberius lächelte.

»Wieso das denn?«, fragte Hufnagl erstaunt.

»Angesichts dieser Aussage und der neue aufgetauchten Hintergrundinformationen stelle ich fest, dass sie nicht mit Tötungsabsicht den Streifenwagen gerammt haben. Für einige Zeit müssen Sie sich von Ihrem Führerschein verabschieden. Aber das alles soll, da niemand verletzt wurde, die Sorge der Kollegen im Verkehrsdezernat sein. Vielleicht werden sie auch wegen mutwilliger Zerstörung angeklagt, aber das interessiert mich genauso wenig. Wir, die Mordkommission, sind mit Ihnen fertig. Sie werden gleich abgeholt«, sagte Tiberius und verließ den Verhörraum.

 

Version 3