Von Karl Kieser

Krax weiß ganz genau, dass seine Karriere wieder einmal auf dem Spiel steht.
Aber, er hat sich doch strikt an die Vorschriften gehalten. Wenn etwas falsch  gelaufen ist, dann müssen die Vorschriften falsch sein. Das kann man ihm doch nicht zur Last legen.

Jetzt wartet er darauf, sich vor dem Untersuchungsausschuss der Raumfahrtbehörde zu rechtfertigen. Mit ihm sind der 1. Offizier und der Chef-Ingenieur seines Schiffes vorgeladen.
Die beiden anderen werden zuerst hineingerufen. Es dauert lange, aber Kapitän Krax bleibt zuversichtlich. Schließlich lässt sich anhand des Bordcomputers nachweisen, dass alle Vorschriften eingehalten wurden. Der 1. Offizier hatte zwar Bedenken gegen seine Befehle geäußert, aber Vorschriften sind schließlich dazu da, dass man sich in kritischen Situationen danach richten kann.

Endlich bittet man auch ihn hinein. Krax ist in seiner besten Uniform erschienen und die Uniform der Raumflotte macht schon etwas her. Schneidig betritt er den Verhandlungsraum. Sofort bemerkt er, dass ihm eine feindselige Stimmung entgegenschlägt. Allein die Größe des Tribunals gibt Anlass, eingeschüchtert zu sein und dann starren ihn auch noch fast alle mit düsterem Gesicht an. Eigentlich hat er nur mit der Leitung der Hangar-Aufsicht, schlimmstenfalls mit der Leitung der Raumstation Terra 2 gerechnet. Mit Schrecken erkennt er aber nun zwei hohe Generäle der Raumflotte, die den Vorsitzenden flankieren. Die anderen kennt er nicht. Sie werden wohl zum leitenden Personal der Raumstation gehören. Was ihn aber mit Panik erfüllt, ist der Vorsitzende selbst, der ihn stirnrunzelnd anstarrt. Raglon, dieser Bastard aus dem Asteroidengürtel des Drakan. Der hat schon die Befragung bei seinem letzten Unfall geführt. Krax ist sich sicher, dass der dafür verantwortlich ist, dass man ihn von den wissenschaftlichen Patrouillen zu den langweiligen Versorgungsflügen der Minenplaneten versetzt hat.
Verunsichert sucht er den Blick seiner Offiziere. Der Erste bemüht sich um ein unbeteiligtes Gesicht, aber Krax glaubt ein Lächeln mit versteckter Genugtuung zu erkennen. Der Chief dagegen schaut recht unglücklich drein. Noch bevor er sich fragen kann, was das für ihn bedeuten mag, legt der Vorsitzende Raglon los.
Seine Stimme ist gefährlich leise, als er befielt: „Kapitän Krax, schildern Sie uns den Hergang Ihrer letzten Reise mit Ihren eigenen Worten, von Anfang an bitte!“

Krax registriert, dass man ihn nicht einmal aufgefordert hat, Platz zu nehmen. Das ist kein gutes Zeichen. Steif aufgerichtet beginnt er mit ausdrucksloser Miene:
„Wir hatten den Auftrag, die Crew der Mine auf Melnak auszuwechseln, Versorgungsnachschub zu liefern und auf dem Rückflug neben der ausgewechselten Crew auch die geförderten Buntmetalle zu laden.
Alles verlief ordnungsgemäß, völlig ohne außergewöhnliche Vorkommnisse. Die abgelöste Minencrew war allerdings nach 5 Jahren Minenalltag reif für einen langen Heimaturlaub. Sie ließ sich nur mit Mühe auf ihr Quartier beschränken. Der Rückflug mit Überlichtgeschwindigkeit verlief planmäßig, wobei als Ziel die Raumstation Terra 2 eingestellt wurde.“

Die beiden Raumflottengeneräle machen ein durchaus verbindliches Gesicht. Kann es sein, dass sie zu seiner Unterstützung hier sind? Raglon dagegen, immer noch mit finsterer Miene, knurrt: „Und, wie ging es dann weiter?!“

Krax ist wieder etwas zuversichtlicher. Mit fester Stimme fährt er fort: „Der Raum-Zeit-Sprung endete, wie vorherberechnet, weit außerhalb der Erdumlaufbahn in unserem Sonnensystem. Der Rest der Strecke sollte wie üblich mit dem konventionellen Antrieb zurückgelegt werden.
Bei einer notwendigen Kurskorrektur hat sich dann herausgestellt, dass Teile der Steuerdüsen nicht funktionierten.“

Zu ersten Mal meldet sich einer der Generäle zu Wort. „Kapitän Krax, war das Schiff dadurch manövrierunfähig?“

„Keineswegs, General Fock. Etwa 60 % der Düsen, nur an der Steuerbordseite, waren ausgefallen. Damit war das Schiff noch beherrschbar, wenn auch nicht so schnell und präzise, wie es die automatische Steuerung verlangt. Ich habe daher die Geschwindigkeit reduziert und auf Handsteuerung umgeschaltet.“

Der General ist noch nicht ganz zufrieden. „Was haben Sie zu dem Zeitpunkt über die Ursache für diese Ausfälle gewusst?“

Das ist ein wunder Punkt. Letztlich ist er für den Zustand seines Schiffes verantwortlich. Aber er wird natürlich wahrheitsgemäß antworten.
„Diese Ausfälle waren völlig unvorhersehbar. Ich habe den Chef-Ingenieur natürlich sofort mit der Reparatur beauftragt.“

Raglon hat bereits ungeduldig mit den Fingern auf seinem Pult getrommelt. Jetzt kann er nicht mehr an sich halten: „Wenn die Ursache für den Ausfall der Steuerdüsen so unbekannt war, mussten Sie dann nicht mit weiteren Ausfällen rechnen? Warum haben Sie Sich der Raumstation trotzdem genähert?“

Krax bemüht sich, jeden belehrenden Ton aus seiner Antwort herauszuhalten.

„Die Vorschriften besagen, dass man sich bei Schwierigkeiten im Antriebssystem so schnell wie möglich und solange es noch geht, einer Position zu nähern hat, wo Hilfe zu erwarten ist. Das gilt in besonderem Maße, wenn Passagiere an Bord sind.“

Der unterdrückte Zorn ist aus Raglons Tonfall herauszuhören, als er zurückblafft: „Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass Sie sich in einer solchen Position schon befanden? Sie waren nur wenige Stunden von einer Raumstation entfernt und in keiner akuten Notlage. Warum haben Sie Ihr Schiff nicht gestoppt und den Schaden in Ruhe behoben? Und hat nicht Ihr 1. Offizier genau das empfohlen?“

„Aber die Vorschriften …“

Mit einer heftigen Handbewegung würgt Raglon die Verteidigungsrede von Krax ab. Das gerötete Gesicht des Vorsitzenden ist ein Warnsignal.
„Jetzt kommen Sie mir nicht noch einmal mit Ihren Vorschriften. Wie ging es weiter?“

Krax blickt von dem wütenden Raglon zu den beiden Generälen, die ein undurchdringliches Gesicht aufgesetzt haben. Im Moment hat er von ihnen wohl keinen Beistand zu erwarten. Immer noch steif aufgerichtet, setzt Krax seinen Bericht fort:
„Der Chief konnte den Fehler nicht finden. Es kam in der Folge zu unerklärlichen Kurzschlüssen. Immer mehr Steuerdüsen fielen aus, auch auf der Backbordseite.
Die Minenarbeiter hatten inzwischen die Reduzierung der Geschwindigkeit bemerkt und begannen zu revoltieren. Meine Besatzung war zahlenmäßig viel zu schwach, um sie im Zaum zu halten. Die Wahnsinnigen stürmten schließlich die Brücke und verlangten die unverzügliche Landung auf Terra 2.
Sie drohten damit, die ganze Besatzung krankenhausreif zu prügeln, sollten wir nicht gehorchen.
Was konnte ich machen, nach den Vorschriften können Passagiere die größtmögliche Rücksichtnahme erwarten.“

Raglon hat eine noch ungesundere Gesichtsfarbe bekommen. Krax beobachtet fasziniert, wie an seiner Schläfe eine dicke Ader pulsiert. Mühsam beherrscht presst der Vorsitzende heraus: „Weiter!“

„In all dem Chaos waren wir inzwischen unmittelbar vor Terra 2 angekommen. Das Hangar-Tor stand offen und der Einweiser dort teilte uns mit, wir sollten das Schiff endlich ausrichten und einlaufen oder den Platz für andere Schiffe freimachen.“

Krax blickt von Raglon zu den beiden Generälen und zurück. Er sieht in düstere Mienen. Niemand sagt etwas. Also wird wohl mehr von ihm erwartet.

„Um endgültig einzulaufen, musste das Schiff mit den verbliebenen Backbord-Steuerdüsen nach Steuerbord geschwenkt werden. Dort war aber inzwischen alles ausgefallen. Die Schwenkbewegung war daher nicht mehr abzufangen und das Schiff musste rechtzeitig und schnell, während der Schwenkbewegung, in den Hangar schlüpfen.
Es war damit zu rechnen, dass die Magnetfeldbremsen des Hangars sowohl die erhöhte Einlaufgeschwindigkeit als auch die Schwenkbewegung auffangen würde.“

Jetzt meldet sich einer der anderen Beisitzer: „Das hätten wir auch hinbekommen, wenn Sie uns wenigstens vorgewarnt hätten. Gegen allzu forsches Einlaufen sind wir ja immer gewappnet, aber wenn jemand mit einem ungebremsten Horizontalschwenk einläuft, sollte man das unbedingt ankündigen.“

Noch bevor Krax auf diesen Einwand antworten kann, greift General Fock ein: „Ein anspruchsvolles Manöver. Ist es denn gelungen?“

„Jawohl, General Fock! Zu 100 Prozent. Dank der außergewöhnlichen Fähigkeiten meines Steuermanns waren Schwenk und Vorschub sehr sensibel aufeinander abgestimmt. Das Schiff kam sauber hinein in den Hangar. Die Vorwärtsbewegung wurde exakt neutralisiert. Auch bei der Schwenkbewegung war eine Bremswirkung durch die Hangar-Bremsen zu fühlen, leider zu schwach.“

Raglon wendet sich an den Beisitzer, der sich eingemischt hatte: „Warum hat die Ausbruchsicherung nicht funktioniert?“

Dessen Antwort ist eindeutig: „Die Bremswirkung für das Ausbrechen eines landenden Schiffes nach Backbord oder Steuerbord ist auf einen Standardwert eingestellt, der für diesen Extremfall nicht ausreichte. Der Kapitän hätte uns über seinen Notfall informieren müssen.“

Raglon wendet sich wieder Krax zu. Seine Gesichtsfarbe hat sich wieder normalisiert, aber man sieht ihm an, dass er immer noch aufgebracht ist darüber, wie uneinsichtig dieser Kapitän gegenüber seinen eigenen Fehlern ist.
„Kapitän Krax, Sie haben durch ihr Verhalten nicht nur Menschenleben gefährdet, sondern auch den Hangar von Terra 2 für Tage lahmgelegt und 2 weitere dort geparkte Schiffe beschädigt. Ich werde meinen ganzen Einfluss geltend machen, damit Sie ausreichend Gelegenheit bekommen über Vorschriften im Zusammenhang mit verantwortlichem Handeln nachzudenken.
Sie haben das letzte Wort.“

Krax fühlt sich zu Unrecht gemaßregelt. Hat er nicht sein Schiff sauber in den Hangar gebracht, und dass, obwohl es zuletzt so gut wie manövrierunfähig war? Vielleicht kann er den Vorsitzenden mit einem kleinen Zugeständnis gnädig stimmen.

„Dass Schäden entstehen durch das strikte Einhalten der Vorschriften, konnte ich nicht vorhersehen. Das habe ich nicht gewollt.“

V2