Von Paige Barnick

Alles im Leben hängt zusammen. 

Unweigerlich verbunden durch Fäden, die unsere Augen nicht wahrnehmen können.

Ich sage nicht, dass es einen Gott gibt, und ich sage auch nicht, dass es keinen gibt. Ich sage, dass alles Leben, jede Entscheidung, die wir treffen, jeder Weg, den wir einschlagen, zu einem bestimmten Ereignis führt. 

So wie dieses Ereignis.

 

Abwehrend hob ich die Hände. „Ich… das hab ich nicht… gewollt.“ 

Der Mann vor mir starrte mich unbeeindruckt an. Sein Gesicht war zu einer kalten, ausdruckslosen Fratze verzogen, die mich noch in meinen Träumen – meinen Alpträumen – verfolgte. Jede verdammte Nacht.

Meine ausgestreckten Hände zitterten, auch meine Lippen bebten. Ich ließ meine Hände sinken und wich zurück. Meine Atmung beschleunigte sich, mein Herz raste, als mir etwas bewusst wurde: 

Ich würde hier nicht wieder lebend rauskommen. 

Ich hatte schon oft schlechte Tage erlebt – also so richtig schlechte Tage – doch ich bezweifelte, dass es bisher so schlimm gewesen war wie heute. 

Ich hatte versucht, aus meiner ganz persönlichen Hölle zu entkommen. Doch ich war gescheitert. An ihm.

Jetzt würde ich mit dem Leben bezahlen. 

Nein!, schrie etwas in mir. Mein letztes bisschen Verstand und Seele, die noch nicht gebrochen worden waren. Wir geben nicht kampflos auf!

Ich wünschte, ich könnte dieser Stimme vertrauen, ihr zuhören und folgen. Doch gerade sie hatte mich erst in diese Situation gebracht. Ich würde betteln und flehen, um mein Leben zu retten.

Doch was wäre das für ein Leben?!, schrie die Stimme erneut. Zu Leben, weil wir  gebettelt haben. Was ist nur aus uns geworden?! 

Ein Feigling!

Der lieber bettelt, als um sein Leben zu kämpfen.

Der Mann kam weiter auf mich zu. Er schnappte sich ein Messer von der Kücheninsel und verringerte stapfend und polternd den Abstand zwischen uns. Ich wich weiter zurück.

Und spürte plötzlich einen Schrank in meinem Rücken. Ich wimmerte. Ich war gefangen.

Doch den Mann interessierte es nicht. 

„B-bitte“, stotterte ich. „D-das habe ich  nicht… gewollt“

Doch der Mann ignorierte mein Flehen. 

Wir sollen aufhören zu flehen! Das genießt er. 

Was sollte ich dann machen? 

Bedrohlich langsam stampfte er auf mich zu, nur noch knappe drei Meter von mir entfernt. Mir entfuhr ein Schluchzen, ich konnte es nicht aufhalten, obwohl ich wusste, wie sehr ihm das gefiel. 

Was wir tun sollen? Kämpfen!

Kämpfen? Ich hatte gekämpft. Und mich damit geradewegs in die gewaltigen Hände dieses Mannes katapultiert. Ich hatte vergessen, wie man kämpft.

Noch drei Meter.

Zwei.

Einer.

Er blieb vor mir stehen und hielt mir das gewaltige Messer unters Kinn, hob es damit an. Seine starren, gefühllosen, wütenden Augen blickten direkt in meine weinenden, traurigen- und verlorenen.

Das war’s. Das war mein Ende. Dabei hatte ich das doch gar nicht gewollt.

Doch, haben wir, flüsterte die Stimme. Und sie hatte Recht…

Plötzlich fing meine Kehle an zu brennen. Der Mann hielt das Messer fester an meinen Hals, ich spürte, wie Flüssigkeit daraus tropfte. 

Ich sah auch, wie er etwas sagte. Oder mir, besser gesagt, durch zusammengebissene Zähne hindurch zuschrie. Aber ich verstand es nicht. Auch nicht, als er das Messer auf das Holz neben mir warf, mein Handgelenk mit der einen und meinen Hals mit der anderen packte. Und zudrückte.

Mein Hals brannte wie Feuer, doch ich nahm den Schmerz und ihn nur wie durch einen Nebel wahr. 

Das einzige, was ich sah, war das Messer, das knappe vier Zentimeter neben meiner Hand auf der Küchenplatte lag. 

Ja, nehmen wir es!

Meine Lungen bekamen keine Luft mehr, doch störte es mich nicht weiter. Ich hatte gelernt mit wenig Luft zu leben. 

Ich starrte ihm in die Augen, die so hasserfüllt glänzten. Ich konnte schwören, dass Funken daraus sprühten. Ruhig und gelassen sah ich ihn an, betrachtete dieses Scheusal noch ein letztes Mal.

KÄMPF!

Bevor meine Hand zum Messer glitt und damit in seine Brust fuhr. 

Ich erstach diesen Mann mit dem letzten bisschen Willen, Stolz und Mut, den ich besaß.

Gemeinsam mit meiner Hölle fiel der Mann in sich zusammen.

 

Alle Ereignisse bauen aufeinander auf. 

Mein Fluchtversuch führte zu diesem Ereignis. 

Und der Tod meines Mannes führte zu meiner Freiheit.

 

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