Von Claudia Grothus

Vernehmung Prof. Dr. Klein

Herr Professor Klein, danke dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Wir möchten mit Ihnen über Ihre neuen wissenschaftlichen Helfer sprechen. Sind es diese drei hier auf den Fotos?

Ja, das sind Bernd M., Anton W. und Justin Z..

Und diese Hilfwissenschaftler-Stellen haben die drei aus welchem Grund erhalten?

Sie haben die besten mündlichen Prüfungen abgelegt.

Sie sind also die drei Besten von wie vielen?

Von vier.

Und der Vierte ist Heinz F. gewesen?

Ja, richtig. Aber Herr F. ist nicht zur Prüfung erschienen.

Vernehmung Bernd M.

Herr M. würden Sie uns bitte schildern, wie Sie den Abend vor Ihrer Prüfung verbracht haben.

Ja, also, wir haben uns nochmal zum Lernen getroffen.

Wer ist „Wir“?

Heinz, Anton, Justin und ich.

Haben Sie öfter zusammen gelernt?

Ja, dreimal die Woche.

Immer zu viert?

Ja, meistens.

Wie genau lief dieser Abend ab?

Wir haben uns, wie immer, bei Heinz getroffen.

Warum immer bei Heinz?

Er hat als einziger eine eigene Wohnung mit einem großen Tisch. Außerdem hat Heinz die meisten Fachbücher. Sein Vater ist auch Chemiker.

Und wie lief das an dem Abend ab? Wann haben Sie sich getroffen und was genau haben Sie dann gemacht?

Na ja, wir drei kamen so nach und nach an, und Heinz war dabei zu kochen.

War das üblich, dass Heinz für Sie alle kochte?

Ja, das hat sich mit der Zeit so ergeben. Er konnte super kochen. Er fand das, glaube ich, auch gut, wenn er Besuch hatte.

Sie meinen, für Heinz war das nicht nur ein Termin zum gemeinsamen Lernen.

Ja, das glaube ich schon. Heinz hatte nicht so viele Freunde, auch keine Freundin oder so.

Wie war Heinz denn fachlich?

Oh, da war er gut, richtig gut. Wegen seines Vaters, das sagte ich ja schon. Der war auch Chemiker.

Könnte es sein, dass Heinz diese Lerngruppe gar nicht nötig hatte, sondern es ihm eher um den gemeinsamen Abend ging?

Also ja, ich denke, das war so. Eigentlich haben wir ihm einen Gefallen getan.

Sie haben Heinz also dreimal die Woche diesen Gefallen getan und er hat Sie dann jedes Mal bekocht.

Ja, das könnte man so sagen.

Und das alles nur aus Freundschaft zu Heinz.

Nein, wie gesagt, wir haben zusammen gelernt.

Aber Heinz hatte dieses Lernen rein fachlich gesehen gar nicht nötig.

Wahrscheinlich nicht. Aber er wollte das gerne. Er hat jedes Mal vorher gefragt, ob wir auch kommen und was wir essen möchten.

Könnte man sagen, dass Sie drei eher VON Heinz gelernt haben.

Ja, das könnte man so sagen. Heinz hat ja auch die Themen vorbereitet. Das hat er echt gut gemacht. Also, das war so eine Win-Win-Situation.

Sie meinen, Freundschaft gegen Essen und Unterricht?

Das klingt jetzt irgendwie so negativ.

Wie würden Sie es denn ausdrücken?

Na ja, Heinz war eben so ein Nerd, ein Einzelgänger. Der war ja dankbar dafür, dass wir immer mal wieder vorbeikamen. Das war eher so eine gute Tat. Ich meine, das ist doch nichts Schlimmes, wenn man dabei auch ein bisschen profitiert. Heinz wollte uns ja unbedingt beim Lernen helfen.

Und war – mal abgesehen von dem tragischen Ausgang – an diesem Abend irgendetwas anders als sonst?

Na ja, wir hatten halt diese Prüfung am nächsten Tag. Es ging um die HiWi-Stellen, das hat schon eine Menge Druck gemacht.

Und sonst? Gab es Streit oder irgendwelche Probleme?

Nein, gar nicht. Es war sogar richtig lustig. Ich habe von meiner neuen Freundin erzählt. Die Jungs haben mich damit aufgezogen und ich habe Handyfotos von ihr gezeigt. Wir haben Witze gemacht und viel gelacht. 

Vernehmung Anton W.

Herr W., bitte beschreiben Sie uns aus Ihrer Sicht die Persönlichkeit Ihres Kommilitonen Heinz.

Poah – ich bin kein Psychologe. Er war ein Streber, ein Nerd. Papa hochdotierter Wissenschaftler, bekam alles in den Hintern geschoben, Geld, Auto, Wohnung, immer die neueste Software. Solche Typen kennt doch jeder. Die Profs haben Heinz ja hofiert wegen seines Vaters.

Meinen Sie damit, dass es Heinz leichter hatte im Studium?

Auf jeden Fall.

Ihr Kommilitone, Bernd M., hat uns erzählt, dass Heinz Ihnen Dreien beim Lernen geholfen und sogar Themen für Sie vorbereitet hat.

Das würde ich so nicht sagen. Er hat das zwar mit den Vorbereitungen gemacht, aber wir haben ihn nie darum gebeten. Er war da eher so übereifrig.

Sie haben also nicht davon profitiert, dass Heinz Teil Ihrer Lerngruppe war?

Was heißt profitiert? In einer Lerngruppe profitiert doch jeder. Dazu sind solche Gruppen ja da.

Angenommen, Heinz wäre an jenem Tag zur Prüfung erschienen, wären dann Ihre Chancen auf eine der HiWi-Stellen geringer gewesen?

Ja klar. Aber nur, weil sich nie einer von den Profs getraut hätte, ihm eine schlechte Note zu geben.

Sie meinen, Heinz war rein fachlich nicht besser als Sie?

Das kann man nicht sagen. Was tut das überhaupt zur Sache? Heinz war ein Überflieger, für den war alles leichter. Er hatte mehr Zeit zum Lernen, weniger Stress mit Jobs und Geld und ist eben schon in einem Chemiker-Haushalt aufgewachsen. Klar war er besser. Aber das war nicht sein Verdienst.

Herr W., bitte erzählen Sie uns, was genau an diesem Abend in der Wohnung von Heinz geschah. Sie waren alle vier dort und haben gegessen. Was passierte dann?

Wir haben gegessen und danach haben wir gelernt. Heinz hatte eine Liste mit allen möglichen denkbaren Prüfungsfragen erstellt. Die wollten wir durchgehen.

Und das haben Sie dann gemacht.

Ja, wir hatten alle die Datei mit den Fragen und haben erstmal jeder für sich versucht, die zu beantworten.

Und was hat Heinz in der Zeit getan?

Er hat das Geschirr weggeräumt.

Und ist dann nicht wieder an den Tisch zurückgekehrt.

Nein, ist er nicht. Aber das ist uns erstmal gar nicht aufgefallen. Wir waren ja konzentriert und dachten, er wäre noch in der Küche zugange.

Wann ist es Ihnen denn aufgefallen?

Keine Ahnung, irgendwann halt. Einer von uns ging dann gucken und fand ihn in seinem Bett.

Und was haben Sie dann getan?

Nichts.

Sie haben keinen Notarzt gerufen?

Nein, warum auch? Wir dachten, der pennt.

Fanden Sie es denn nicht ungewöhnlich, dass Heinz einfach so mitten beim Lernen schlafen geht?

Was weiß ich? Mann, wir mussten uns auf diese Prüfung vorbereiten! Wenn Heinz meint, er hätte das nicht nötig, dann ist das doch nicht mein Problem.

Vernehmung Justin Z.

Herr Z., was passierte, nachdem Sie Ihren Kommilitonen Heinz in seinem Bett vorgefunden hatten?

Wir haben weiter gelernt.

Sie haben sich keine Sorgen um ihn gemacht?

Schon, aber – ich weiß auch nicht. Wir waren auch ein bisschen froh, dass es ihm anscheinend nicht so gut ging. Wir wussten ja, dass Heinz auf jeden Fall einem von uns eine HiWi-Stelle wegschnappen würde. Das macht so jemanden nicht gerade sympathischer. Also dachten wir, wenn er halt irgendwie unpässlich ist zur Prüfung, dann wäre das für uns ganz gut. Ich glaube, das dachten wir alle.

Hatten Sie Alkohol getrunken?

Wer ich jetzt?

Sie alle vier.

Ja schon, eine Flasche Wein zum Essen. Aber mehr nicht. Wir hatten uns ja zum Lernen getroffen.

Und was haben Sie gegessen?

Chili. Chili con Carne.

Und was war mit Drogen?

Was für Drogen?

Lerndrogen wie Aufputschmittel oder Beruhigungsmittel für die Prüfung.

Nein, sowas haben wir nicht gemacht.

Auch Heinz nicht?

Nicht, dass ich wüsste. Keine Ahnung. Wer weiß. Vielleicht hat Heinz irgendwas genommen, ohne uns etwas zu sagen.

Sie oder Ihre Kommilitonen waren auch nie im Besitz von Benzodiazepin?

Damit habe ich nichts zu tun!

Wer hat dann damit zu tun?

Keine Ahnung. Ich jedenfalls nicht.

Vernehmung Professor Dr. Dr. Wolfgang F.

Herr Professor F., hatten Sie jemals den Eindruck, dass Ihr Sohn suizidal sein könnte?

Das kann ich nicht beantworten. Ich bin Wissenschaftler. Ich lehne Mutmaßungen ab.

Was können Sie uns denn über Ihren Sohn sagen, was keine Mutmaßung ist?

Heinz war schon immer ein schwieriges Kind. Meine Frau hat ihn verhätschelt. Ehrlich gesagt, hätte ich es ihm gar nicht zugetraut, es bis an die Universität zu schaffen. Der Junge ist kein Wissenschaftler. Er hat nicht den nötigen Biss dafür. Ich habe immer zu ihm gesagt, lass es Junge. Werde Bäcker oder Laborassistent, das sind auch ordentliche Berufe. Es war mir regelrecht peinlich, als er dann bei meinen besten Kollegen studierte. Die guten Noten hatte er nur, weil er meinen Namen trug. Aber meine Frau wollte ja unbedingt, dass er studiert. Hat ihm eine Wohnung bezahlt und ein Auto.

Herr Professor F., wir erwägen auch die Möglichkeit, dass seine Kommilitonen Ihrem Sohn eine Überdosis Benzodiazepin verabreicht haben, weil sie sich davon Vorteile in der Prüfung erhofften.

So ein Blödsinn. Das wäre ja fast schon wieder ein Grund, stolz auf Heinz zu sein. Aber so einer war er nicht. Für den wäre keiner kriminell geworden. Lassen Sie mal bloß die drei Jungs in Ruhe. Heinz war eine Enttäuschung – wahrscheinlich auch für sich selbst.

Vernehmung von Frau F.

Frau F., fühlen Sie sich in der Lage, mit uns über Ihren Sohn Heinz zu sprechen?

Ja, ich werde es versuchen.

Glauben Sie, dass Heinz in seinem Leben als Student der Chemie unglücklich war?

Nein, das glaube ich nicht. Das hätte ich gewusst. Heinz und ich, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Ich war mehr seine Freundin als seine Mutter. Er hätte mir nichts verheimlichen können. Jeden Tag haben wir telefoniert.

Glauben Sie, dass er ein guter Student war, dass er Talent hatte?

Auf jeden Fall! Seine Professoren waren sehr angetan von ihm. Mein Mann, der hat nie an Heinz geglaubt. Schon als der Junge in der Grundschule war, hat er sich weder für seine Klassenarbeiten, noch für sein Zeugnis interessiert. Für ihn war immer klar, dass Heinz ein Versager war. Und das arme Kerlchen hat gelernt und gelernt und so gute Noten nach Hause gebracht.

Hat Heinz Ihnen Näheres von seiner Lerngruppe erzählt?

Er hat mir von Bernd M. erzählt. Wissen Sie, ich bin seine Mutter und ich bin mir schon länger sicher, dass Heinz Männer mochte. Und dieser Bernd, der hat ihm, glaube ich, gefallen.

V1