Von Manuel Fiammetta

Es war das Jahr 2057. Die Gefängnisse  waren überfüllt und die Menschheit in „sehr arm“ und „sehr reich“ unterteilt. Um nicht zu den sehr Armen zu gehören, blieb den Menschen nichts anderes übrig, als alles dafür zu tun, nicht so zu werden. Wirklich alles.

 

 

„Kommt schnell, gleich geht die Show los!“, rief Estelle voller Vorfreude.

„Wir kommen ja schon“, antwortete Tim darauf. Mit einer Tüte Mehlwurmchips, kam er ins Wohnzimmer. Hinter ihm drängelte sich schon die kleine Nina.

 

„Tiiim, rutsch mal. Ich sehe sonst nichts“, plärrte sie ihren älteren Bruder an, nachdem sie es sich auf der Couch gemütlich machten. Nina durfte heute zum zweiten Mal die Show sehen und war deshalb ganz aufgeregt. Auch Mutter Andrea, die noch das Abendessen zubereitete, war schon gespannt.

 

„Heute wird wieder aufgeräumt“, jubilierte Tim und schaute dabei gehässig in die Runde.

 

„Wo ist eigentlich Papa?“, wollte Nina wissen. Die gerade mit dem Essen heraneilende Mutter murmelte nur ein „Wird schon gleich kommen“ in den Raum und starrte an die  Wand, auf welcher die Sendung gleich übertragen wurde. 

„Puh, es geht noch nicht los“, rief sie erleichtert.

„Nina, kannst du dir vorstellen, dass früher auch die Bastarde ohne Kohle einfach so mit uns leben konnten?“

 

„Tim!“, rief Mutter Andrea mit tiefer Stimme. „Du hast ja recht, aber lass bitte diese Ausdrücke.“

 

„Es geht looooos“, brüllte Estelle und alle schauten gespannt an die Wand.

 

Ich war an einem Wendepunkt und musste entscheiden, welchen Weg ich gehe sollte. Auf der einen Seite war der moralische, der mich  Bettelarm gemacht hätte. Auf der anderen Seite stand der unmoralische, der mir aber Ruhm, Anerkennung und natürlich Geld bescheren sollte. Ich musste ehrlich gesagt nicht lange überlegen.

 

 

Die Scheinwerfer gingen an und strahlten auf einen Mann mit Bart und langen, ungepflegten Haaren. Die Hände und Beine des Mittdreißigers waren an einen Stuhl gefesselt.  

Die Zuschauer im Saal johlten erwartungsfroh.

 

„Guten Abend und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von ´Geld regiert die Welt´. Toll, dass sie wieder eingeschaltet haben und schön, dass sie alle hier ins Studio gekommen sind.“

 

Nach seinen Begrüßungsworten zeigte er auf Richard. Den Mann, der gefesselt auf dem Stuhl saß.

„Ein herzliches Willkommen auch an Sie, Richard. Ich freue mich, dass Sie uns zur Verfügung stehen und Ihren kleinen Teil dazu beitragen, das Land ein weiteres Stück liebenswerter zu machen.“

 

Tim klatschte in die Hände.

 

Der Moderator wandte sich von Richard ab und blickte auf die andere Seite des Studios, welche mit einem schwarzen Vorhang bedeckt war.

 

„Und jetzt, liebe Zuschauer, will ich Ihnen die Hauptprotagonisten des Abends vorstellen. Ich zähle bis drei…“

Er sah ins Publikum, streckte die Arme nach vorne und wartete auf eine Antwort der Zuschauer.

„… und wir sind dabei“, schrien sie zurück.

 

„Also, eins-zwei-drei…“

 „… und ihr seid dabei“, brüllte das Publikum und zeigte in Richtung des nun fallenden schwarzen Vorhangs, der vier, in Plexiglasboxen sitzende Männer, zum Vorschein brachte.

Die Boxen waren luxuriös ausgestattet. Leicht bekleidete Tänzer säumten sie.

 

„Hier sitzen sie nun, unsere heutigen Saubermacher. Von links nach rechts sehen wir Nelson, Sebastian, Alexander und Karsten.“

 

Tim sprang von der Couch auf. „Da ist ja Papa!!! Wie geil ist das denn.“

Mutter Andrea verschluckte sich fast an ihrem Essen. „Karsten?!!“, rief sie erschrocken.

 

 

„Lasst uns nun beginnen“, fuhr der Moderator fort und las von einem Blatt Papier Richards Lebenslauf ab.

 

„Wer möchte das erste Gebot für diesen Tunichtgut abgeben?“, fragte er dann am Ende in die Runde.

Alexander drückte auf den vor ihm liegenden roten Knopf und über seiner Box ging ein Feuerwerk los.

„Ah, Alexander möchte also beginnen. Na, dann schießen Sie mal los.“

Noch bevor Alexander sein Angebot abgeben konnte, fiel ihm der  Moderator ins Wort. „Hahaha, schießen“, sagte er und machte eine abfällige Handbewegung in Richtung Richard. „Ein tolles Wortspiel.“

 

„Ich biete 5000€“, sagte Sebastian.

 

Natürlich wusste ich damals noch nicht genau, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ich war erst mal froh, nicht zu den Armen zu gehören. Alles andere war mir zunächst egal. Die Leute wollten, dass sich etwas änderte und ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

 

„Sehr schön“, sagte der Moderator. „Wer bietet mehr für diesen abscheulichen Widerling?“  

 

 

 

„Los Papa, biete mit“, forderte Tim von der Couch aus.

„Ja Papa, auf geht’s“, pflichtete Estelle ihrem Bruder bei.

 

 

Plötzlich ging das Feuerwerk über Karstens Box los.

 

„Super“, schrie der Moderator. „Karsten, was bietest du?“

 

Karstens Stimme war leicht zittrig. „Ich biete 7000€.“

 

„Na, das ist doch schon ganz ordentlich. Aber da geht doch bestimmt noch mehr.“

 

Nacheinander ging die Pyrotechnik über den Boxen der Kandidaten an. Am Ende des Bietens lag die Summe bei 28.500€. Nelson hatte das letzte Angebot abgegeben. Die Klappe an der Frontseite der Plexiglasbox öffnete sich und Nelson nahm seine Waffe in die Hand. Die Zuschauer applaudierten und trampelten mit ihren Füßen auf dem Boden.

 

„So Nelson. Dein großer Moment ist nun gekommen. Ich zähle wieder bis drei und ihr …“, er deutete erneut zum Publikum, „wisst was zu tun ist. Also, eins-zwei-drei.“

„Und du bist nicht mehr dabei“, schrien sie und zeigten mit ihren Fingern auf Richard, während Nelson, mit einem gezielten Kopfschuss, Richards Leben beendete.

 

Auf der Couch der Familie Tannbach, war die Stimmung nun genauso auf dem Höhepunkt wie im Saal.

 

 

Ich hatte den Willen der Vielen befolgt. Sie hatten es einfach satt, dass die Politik die Probleme nicht mehr in den Griff bekam. Es entwickelte sich unter den Menschen ein ungeheures Misstrauen. Schließlich ging auch der Gedanke des sozialen Miteinanders verloren. Der Anfang vom Ende.

 

 

„Dürfen wir jetzt die Mehlwurmchips essen“, fragte die kleine Nina ihre Mutter. Während diese mit „Ja“ antwortete, wurde das Blut im Studio weg gewischt und der nächste Schmarotzer durfte auf einem Stuhl Platz nehmen.

 

„Kommen wir nun zum nächsten Parasiten. Herzlich willkommen Jana.“

 

Der Moderator las auch ihren Lebenslauf ab. Jana wurde unverschuldet arbeitslos, fand innerhalb eines Monats keinen neuen Job und verlor daraufhin ihre Wohnung. Das Los entschied sich für sie.

 

„Wer möchte das erste Gebot für diesen weiblichen Nichtsnutz abgeben?“

 

Karsten liebte zwar die Show, aber er wollte nicht, dass Unschuldige abgeschossen wurden.

 

Schließlich war es Alexander, der eine hohe Summe für Jana bot.

 

„Gut so. Nur weg mit dem Abschaum“, befand Tim. „Wenn ich alt genug bin, mache ich da auch mit.“

„Zum Glück sind wir nicht so wie diese Jana, was Mama?!“, sagte die kleine Nina.

„Ja, mein süßer Schatz. Zum Glück nicht.“

 

 

Die Klappe öffnete sich und der erste Schuss saß genau. Jana wurde von den Tänzern aus dem Studio gefahren.

 

Ja, ich würde heute anders handeln.  Diese Show ins Leben zu rufen, war ein großer Fehler. Aber die Millionen, die ich dabei verdienen konnte, waren einfach zu lukrativ.

 

„Kommen wir nun zu unserem nächsten Opfer.“

Ein weiterer Mann kam auf einem Stuhl gefesselt ins Studio. Es war Herbert.

 

Karsten schaute ihn an und erstarrte fast, denn er blickte in die Augen seines Vaters. Den Kontakt zu seinem Vater, hatte Karsten vor vielen Jahren nach einem heftigen Streit abgebrochen.

 

„Ein elender Rentner“, befand der Moderator.

 

„Ich hoffe, dass Papa jetzt endlich richtig mitbietet“, sagte Tim hoffnungsvoll, ohne zu wissen, wer dieser Mann war, der da auf dem Stuhl saß.

Andrea wusste es, doch der Klos in ihrem Hals ließ sie stumm.

 

Der Moderator las den Lebenslauf ab. Es gab nichts, was man Herbert vorwerfen konnte. Einzig, er war Rentner und das war mit das Schlimmste.

 

Das Feuerwerk über Karstens Box ging an.

„Ich biete 100.000€.“

 

Der Moderator konnte es kaum fassen. Ein so hohes Erstgebot hatte es noch nie gegeben.  „Das ist ja der absolute Wahnsinn.“

Das Publikum hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen.

 

Doch die anderen Teilnehmer boten mit. 

„150.000€“,

„200.000€“,

„300.000€“

und so weiter.

Karsten überbot die Anderen immer wieder und seine Familie jubelte ihm von der Couch aus zu. Alle, außer Andrea.  

 

„Ich biete 1.000.000€“, sagte er schließlich mit entschlossener Stimme.

 

„1.000.000€!!!!! Der absolute Hammer. Unglaublich. Das hatten wir noch nie.“

Der Moderator überschlug sich förmlich.

 „Möchte noch jemand überbieten?“

 

Die Anderen schüttelten die Köpfe.

 

„Karsten, herzlichen Glückwunsch.“

 

Tim war außer sich vor Begeisterung. Die anderen klatschten und sprangen auf der Couch herum. Nur Andra blieb still.

 

Diesmal öffnete sich also Karstens Klappe. Er hielt seine Waffe in der Hand. Mit den Worten „Für Dich, Papa“ drückte er ab und schoss dem Moderator in den Kopf.

 

„Was macht Papa denn da für eine Scheiße“, schrie Tim.

 

Während die Familie fassungslos an die Wand starrte, kamen Helfer, um nach dem Moderator zu schauen. Doch jede Hilfe kam zu spät. Zur gleichen Zeit stürmten schwer bewaffnete Männer den Saal und zerrten Karsten aus seiner Box.

Die Zuschauer forderten die Männer auf, ihn zu lynchen.

 

„Er ist mein Vater“, schrie Karsten fortwährend. Seine Stimme verschwand schließlich hinter einem schwarzen Klebeband.

 

 

Ich wünschte, ich hätte es stoppen können. Aber dann wäre ich der Nächste gewesen.

 

Herr Iks, wie er sich selbst nannte, kam ins Studio gerannt und versuchte zunächst, die aufgebrachten Zuschauer zu beruhigen.

„Erschießt sie beide“, forderten sie.

 

Die Männer, welche Karsten festhielten, schauten zu Herr Iks. Dieser wiederum sah in die kalten Augen des Mobs, welchen er immer noch versuchte, zu besänftigen. Doch es gelang ihm nicht. Im Gegenteil.

„Setzen sie ihn zu Herbert“, befahl er den Männern. „Klappen öffnen“, presste er dann noch zögerlich durch seine Lippen. Der Rest ging im Jubel der Menge unter.

 

Nun sitze ich hier in meinem Haus. Vermutlich wird die Show weitergehen, aber ich kann sie nicht mehr ertragen. Ich kann diese Menschen nicht mehr ertragen. Ich kann mich nicht mehr ertragen.

 

Herr Iks nahm seine Waffe in die Hand, hielt sich den Lauf in den Mund und drückte ab.