Von Lola Mindt

Die Hitze flimmerte besonders stark über der kleinen Vorstadt von Johannesburg. Der einzige Besucher heute war ein alter Mann. Er lungerte schon den ganzen Vormittag in Mrs. Babangidas Kiosk herum. Es schien fast so, als warte er hier auf irgendjemanden.

Er sah wohlhabend aus. Selten, dass sich so einer hierher verirrte.

Noch dazu sah er aus, als gehöre er eigentlich zu uns. Er hatte genauso dunkle Haut wie ich und dieselbe Gesichtsstruktur.

Sein tief ins Gesicht gezogener Zylinder und das edle Jackett, das er trug, verrieten ihn aber. Er war eben doch keiner von uns. Was hatte er hier zu suchen?

Unsere Baracken, die schmutzigen Straßen (naja, Straßen konnte man sie nicht wirklich nennen) und die in Lumpen gewickelten Kinder, die draußen zwischen den Müllbergen spielten, passten nicht zu seinem schicken Auftreten.

„Kann ich Ihnen noch was bringen, Sir?“, fragte ich ihn vorsichtig. Eine Mücke schwirrte durch die Luft. Sie verbreiteten sich bei dieser Schwüle höllisch schnell.

„Nein, nein, danke. Ich warte nur. Hast du vielleicht etwas von einem Mr. Collister gehört? Du musst wissen, ich bin mit ihm verabredet.“

„Tut mir leid, Sir. Ich kenne keinen Mr. Collister.“ Das mussten dreckige Geschäfte sein, wenn dieser Mr. Collister ihn hier treffen wollte.

Wieder sirrte die Mücke vorbei. Ich schlug in die Luft. Mist, daneben.

Eine Weile stand ich noch da, unschlüssig, was ich machen sollte. Ich konnte es nicht lassen, den fremden Mann neugierig anzustarren.

„Mister, Sir, ich hab da eine Frage.“

„Nur raus damit.“

Der Mann verwirrte mich. Warum war er mir gegenüber so offen?

„Ich…ich frag mich nur, was Sie mit Ihrem ganzen Geld so machen? Sie, Sie sehen so aus, als hätten Sie viel davon, Sir. So viel, was macht eine einzelne Person damit?“

Stille. Absolute Stille. Wenn ein Windzug durch die halb geöffnete Ladentür hinein gefegt wäre, wäre es im Vergleich ohrenbetäubend laut gewesen. Aber da war nichts.

Nach einer langen Pause fragte der fremde Mann: „Wie heißt du, Bursche?“

„Tayo, Sir. Tayo Okeke. Ich helfe Mrs. Babangidas hier im Kiosk aus.“

„Und warum spielst du nicht mit den anderen Kindern draußen?“

„Sir, Sie verstehen nicht. Ich bin der Älteste in der Familie. Und wir brauchen das Geld. Meine Schwester ist sehr krank. Wir können keinen Arzt bezahlen.“

„Oh, das tut mir leid“, brummte der seltsame Mann.

„Wissen Sie was, Sir? Wenn ich Sie wäre, ich wüsste sofort, was ich machen würde.“

„Glaub mir, das dachte ich auch zu wissen, Tayo.“

„Ich würde mein Geld teilen. Mit anderen Menschen. Es gibt nichts Schöneres als zu schenken, Sir. Ich würde allen Kindern Schokolade schenken, meine Schwester würde wieder gesund werden. Das Dach von unseren Nachbarn würde ich flicken lassen. Dann könnte sich der alte Amaniel auch endlich von seiner Lungenentzündung erholen.“ Kurz hielt ich in meinem Rederausch inne. Ich hatte so viele Ideen, was ich alles mit dem Geld machen könnte.

Der fremde Mann schaute mich unter seinem Zylinderrand hinweg nachdenklich an.

„Tayo, ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Sie fängt bei einem jungen Mann an. So alt wie du musst du dir vorstellen, nur vor langer Zeit. Denn unsere Geschichte spielt im Jahr 1967. Er verdient genau wie du sein Geld in einem kleinen Laden am Rande einer Stadt. Marikana heißt sie. Das Geld floss in Marikana noch nie in Übermengen. Deswegen wurden auch Kinder, wie unser Junge Moyo, zur Arbeit geschickt. Die Tage verbrachte Moyo im Laden, die Nächte im örtlichen Krankenhaus. Er war fest davon überzeugt, dass er sein Geld immer verschenken, die Armen unterstützen würde. Dass, wenn er reich wäre, er seinen Smoking in den Staub werfen, die Ärmel hochkrempeln und, wo es nur geht, zu Hilfe eilen würde. Eines Tages kam ein fremder Mann in Moyos Laden.“

„Was ist dann passiert, Sir? Erzählen Sie weiter.“

„Nun, Tayo, Moyo konnte es nicht lassen, sich unglaublich über diesen Mann aufzuregen. Er spazierte da rein, eine Zigarre im Mundwinkel, einen Gehstock in der Hand. Sein Lächeln war so arrogant, dass Moyo Schwierigkeiten hatte, sich zurückzuhalten. Als er an den Tresen kam, wollte er einen Lottoschein aufgeben. Während Tante Malaika ihn mit einem Lächeln entgegennahm und die Bestellung abwickelte, schob Moyo sich neben seine Tante an den Tresen.

‚Was wollen Sie denn mit so einem Lottoschein machen, wenn Sie gewinnen?‘, fragte Moyo.

Der klare Blick in Moyos Augen ließ ihn für einen kurzen Moment stutzen. Dann lachte er höhnisch.

‚Junge, natürlich alles ausgeben. Einen neuen Lamborghini. Drei Wochen auf Ibiza. Und noch mehr Geld für Lottoscheine. Vielleicht auch fürs Casino.‘

Er lächelte Moyo verschmitzt an.

‚Das ist aber dumm,‘ entgegnete Moyo,, Sie haben doch schon genug Geld. Warum also noch mehr? Sie könnten es verlieren.‘

‚Junge, du weißt nichts über Geld.‘ Der alte Mann lehnte sich zu Tante Malaika. ‚Weiß nicht, dass man mehr will, wenn man erst mal was hat. Und, wie sieht´s aus? Hab ich gute Chancen?‘

‚Ich würde mein Geld teilen. Alle Sorgen glätten und mit meinem Geld überall helfen,‘ fuhr Moyo fort,, meine Großmutter könnte endlich aufhören, auf dem Feld hart zu schuften. Die Kinder müssten nicht mehr im Dreck spielen. Ich, ich könnte ihnen neue Kleider und Schulbücher kaufen.‘ Auch unser Moyo hatte tausende Ideen, wem er alles helfen könnte. Es machte ihn so wütend, dass der Mann mit der Zigarre nicht an andere, sondern nur an sich selbst dachte.“

„Oh, das kann ich verstehen. So ein eitler Schnösel.“

„Jaja, das erkannte auch Moyo. Weißt du, was er auf Moyos Ideen antwortete?“

„Nein, was? Was hat er geantwortet?“

„Er sagte: ‚Ach, Junge, dann verlierst du dein Geld mit Sicherheit. Es zu verschenken. Pfff. Wenn du erst mal reich bist, leistet auch du dir den einen oder anderen Luxus. Du denkst nicht mehr an die Plagen der anderen. Schau, ich beweis es dir. Hier hast du meinen Lottoschein. Du wirst schon sehen, was passiert, wenn du gewinnst.‘

Der fremde Mann drückte Moyo den Schein in die Hand. Mit einem grimmigen Lachen verließ er den Laden.

, Du wirst mehr, immer mehr wollen. Ich sag´s dir.‘

Da stand Moyo nun. Mit dem Lottoschein.“

„Und? Hat es was gebracht? Hat er gewonnen?“

„Ob du´s glaubst oder nicht. Die Wochen vergingen und als die Ergebnisse des Lottos heraus kamen, hatte Moyo alle Nummern in der richtigen Reihenfolge.“

„Nein! Wirklich?!“ Meine Begeisterung überschlug mich.

„Ja, er hatte wirklich gewonnen. Was für ein Schicksal, oder? Doch auch alles andere bewahrheitete sich. Schon schnell hatte Moyo seine alten Freunde vergessen. Dass er ihnen eigentlich helfen wollte, spielte keine Rolle mehr. Er dachte nur noch daran, wo er noch mehr Geld ergattern könnte. Noch mehr Luxus. Noch weniger Sorgen. Aber seine Großmutter auf dem Feld, die Kleider und Schulbücher der Kinder, das Krankenhaus…all´ das hatte er vergessen. Nun war er in die Welt der Reichen getreten. Er reiste nach Europa, zum ersten Mal in seinem Leben. Betrank sich bei vielen wilden Partys und wurde in den Casinos bekannt wie ein bunter Hund. Der Reichtum machte ihn geradezu krank.“

„Der arme Moyo!“

„Ja, er wurde genau wie alle anderen Reichen. Eine Villa hatte er sich bauen lassen. Mit einem großen Pool und einer Garage extra für seine Porschesammlung. Nur sein Küchenmädchen erinnerte ihn manchmal daran, wie arm er einmal gewesen war. Sie kam genau wie er aus Südafrika und bat ihn immer öfter, doch seine Familie zu besuchen.

‚Welche Familie?‘, fragte er nur.

Er hatte sie schon lange verloren. Denn die Jahre waren vergangen und er war ein alter Herr geworden. Eines Tages bat ein Mr. Collister ihn um ein Treffen, es sollte eine große Sache sein, deswegen wollten sie sich im Geheimen treffen. Und vereinbarten als Treffpunkt einen alten, heruntergekommenen, unscheinbaren Kiosk in der Vorstadt von Johannesburg.“

 

Moyo lächelte traurig: „Versprich mir, dass du es anders machst, Tayo.“