Von Norbert Costea

Ich kann nich sagen, wie lange das Klicken und Kratzen des Geigerzählers schon ertönt, doch mir wird schwindlig und die vierte Gewalt braucht jetzt Schlaf. Nur ganz kurz, kommt bestimmt gleich jemand vorbei. Rettung naht. Meine Kamera ist fast griffbereit. Aber warte mal. Es heißt nicht, mit t am Ende und nicht nich. Auf mein Gehirn ist Verlass. Ich mach nur kurz die Augen zu. Schichtwechsel.

Reaktorunfall? Kernschmelze? Schon wieder? Oder doch nur Krieg? Große Klappen überall, doch keiner will’s gewesen sein. Bestimmt ein radioaktiver Komet. Darauf könnte man sich einigen. Ob es sowas gibt? Als Film bestimmt schon, von Netflix produziert, original, mit Starbesetzung. Dann gehypt und für nicht so gut befunden wie Deep Impact oder Independence Day. Die Meinungsschlacht wird dann auf Twitter ausgetragen und Trump gibt bestimmt auch seine kleine Tube Senf dazu. Vielleicht unser Freund, die Natur. Mal wieder auf Rachefeldzug. Berechtigt natürlich. Mit uns gibt es kein symbiotisches Zusammenleben. Ist mehr eine offene Beziehung, ohne Verpflichtungen. Muss die Evolution nochmal ran. Der nächster Primat wird es besser machen.

Was haben die dann gemacht? So in den Filmen. Zunächst in Panik geraten. Erkennen, dass es keine Hoffnung mehr gibt und zusehen wie ein unbekannter Niemand alles wieder ins Lot bringt. Also in Panik geraten. Jetzt, sofort. Ohne nachzudenken, ohne Sinn und Verstand. Wutbürger-Style. Nur muss ich grad nicht. Also nicht so richtig. Stell dir was Trauriges vor. Will ich nicht. Das macht mich nur wütend. Und ich kann panisch wütend jetzt nicht ab. Erinnert mich nur an Sophia. Du Schlampe. Vielleicht hab ich schon zur Hoffnungslosigkeit vorgespult. Also schon vorher, bevor alles den Bach runter ging. Mein eigener Deep Impact.

Das Knacksen und Quietschen des Bettes holt mich aus dem Halbschlaf. Mein Kopf möchte platzen, aber den brauch ich für die Hoffnungslosigkeit. Der Geigerzähler ist verstummt, ebenso die Vögel vor dem Fenster. Die Natur ist auf Stand-By.

Zweiter Akt, Panik setzt ein. Handysuche! Wo könnte es nur sein? Gefunden. Unter dem Kissen. Dort wo du es immer hinlegst. Aber tot. Nichts geht mehr. I quit! Zu viele Überstunden. Hat doch jeder. Vielleicht war es ein EMP? Elektromagnetischer Puls. Kommt in vielen Filmen vor. Können die Kerle dann prahlen, was EMP heißt. Was stimmt mit mir nicht? Konzentration. Auf ins Bad und nur nicht stolpern. Ja, nicht stolpern. Kann passieren, wenn einem so schwindlig ist wie mir. Wie komm ich hierher?

Das Bad. Geschafft. Der Spiegel ist der Meinung, dass ich total beschissen aussehe. Dem kann ich nicht widersprechen. Kuck nicht so genau hin, das bist nicht du. Zahnpasta auf die Zunge, nein, auf die Zahnbürste und schrubben. Pfefferminzgeschmack. Irgendwer grinst mich an. Ich grinse zurück und möchte kotzen. Nach ein paar Sekunden wird es peinlich und ich hör auf mit dem doofen Grinsen. Die Andere grinst einfach weiter. Das macht mich wütend und es schmeckt längst nicht mehr nach Pfefferminze. Du kennst den Geschmack. Traubensaft vielleicht. Oder wie das Zeug, das vegane Menschen aus der Apotheke holen, weil sie kein Fleisch essen wollen. Hauptsache Eisen. Und mir ist kalt. Ab in die Dusche. Ahhhhhhhhhhhhhh, mhhhhhhhhhh, (atheistisch) göttlich. Gepinkelt hab ich auch schon lange nicht mehr. Also lass laufen, ist ja alles nur offene Beziehung, auch mit der Wohnung und der Dusche. Keine Verpflichtungen. Zu jeder Zeit kündbar. Nur die Kaution gibt es dann nicht mehr voll zurück. Also hinterlass keine Spuren. Warm wird es trotzdem nicht. Nur zwischen den Beinen. Immerhin. Doch das währt nicht lange und ich merke, ich hab Blut an den Händen. Ein lauter Knall und ich stemme meine Augenlider auf. Panik, du ungebetener Gast, nimm mich in die Arme und lass mich nie wieder los. Ich schreie los. Nur ganz kurz, denn die Luft ist schnell alle.

Ich hasse grad so sehr, egal wen oder was, Hauptsache Hass. Ok, shut the fuck up! Du bist ja nicht AfD. Wo tut’s genau weh? Einatmen, ausatmen. Mein Kopf. Fass hin, mit der Rechten. Geht nicht, zittert zu stark. Versuch es mit der Linken. Da bewegt sich was und die Fingerspitze erreicht die Stirn. Gefunden. Au, tut verdammt weh. Ich piek zwei Zentimeter unter der Wunde mit dem Fingernagel in die Haut. Gegenschmerz initiiert. Hilft. Mein Puls schießt hoch. Wir müssen mehr Sauerstoff einstellen. Jeder wird genommen. Klein, dick, groß, dünn, scheißegal. Kann auch hässlich sein. Nur keine Alkoholiker. Erst nach Feierabend. Mund auf und alles rein was geht. Ok, ich bin am Leben. Aber irgendwie fühlt sich das falsch an. Wie konnte das passieren?

Die frische Luft tut gut und es riecht nach Moos. Ich spür den Wind auf dem Gesicht und mein Hintern ist nass. Kein Wunder, ich sitz an eine deutsche Eiche angelehnt und es hat geregnet. Kurz mal schnuppern. Ja, es ist nicht der Regen, ich hab mich wohl eingeschifft. Ich spucke Blut auf das saftig grüne Moos, sorry nature, hab den Mund zu voll genommen, aber wenigstens ergänzen sich die Farben. Voll am Arsch aber dennoch stilsicher durch den Wald. Da fehlt noch etwas Kotzgelb. Kommt bestimmt gleich nach. Schon unterwegs. Alles muss raus. Doch Gelb ist leider nicht dabei. Ok Gehirn, it’s your turn. Don’t bail on me. Tell me everything you know. Es war laut und plötzlich hell. End of story. Danke, Gehirn. Das hatten wir schon. Setzen, sechs. Auf dich ist kein Verlass.

Der Leihwagen hat sich zu meiner Rechten mit einer weiteren Eiche zusammen getan. Totalschaden. Teilkasko. Und Mein Konto ist im Minus. Monatsende halt.

Auf dem Schoß der Rucksack und der Geigerzähler. Der redet nicht mehr mit mir. Ein gutes Zeichen. Vielleicht kann ich die Hoffnungslosigkeit heute mal auslassen. Ich hol mein Handy aus der Tasche. Rest in peace. Aber Spiegel kann der noch. Hm. Aussehen? Beschissen. Doch die Wunde am Kopf sieht nicht so schlimm aus. Da muss ein Verbandskasten im Auto sein. Ich lehn mich nach vorn und stütz mich auf beide Arme. Aufstehen geht noch nicht, meine Beine machen einen auf Schock. Verdammt, nehmt euch ein Vorbild an den Armen.

Ich beweg mich infantil robbend vorwärts. Laub, Zweige, erdiger Boden. Alles ist nass. Noch mehr Laub. Scheint ein Laubwald zu sein. Interessant. Was man in der Schule nicht alles so gelernt hat. Ein brauner Käfer starrt mich beim Vorbeirobben lange an. Gattung, Art, keinen blassen Schimmer. Da hinten gibt’s Blut. Hau rein. Damit kannste deine ganze Familie über den Winter bringen. Ich sehe den Verbandskasten ein paar Meter vor dem Wagen liegen. Hatte ich wohl schon eher dran gedacht. Bin grad stolz auf mich. Kommt nicht oft vor. Wird geöffnet. Schnell desinfizieren und Pflaster drauf. Kein Aspirin. Sollte Standard werden in so einem Verbandskasten. Der schlimmste Kater, den ich je hatte. Das restliche Verbandszeug kommt in den Rucksack. Die Kamera ist auch okay. Zurück in die Tasche. Den Rucksack dran und den Geigerzähler um den Hals gelegt. Altes  Modell. Mit Lederriemen. Familienerbstück. Danke Opa und rest in peace. Der Deep Impact ist nah, ich kann ihn schon sehn. Der unbekannte Niemand ist unterwegs. Panik, lass von mir ab. Ich wär jetzt gern allein. Lot, mach dich auf was gefasst. Die vierte Gewalt bin ich.