Von Sabine Esser

Else kostet das Gulasch und nickt. Perfekt. Genau so schmeckt es Alfred. Reichlich Fleisch mit Zucker und Zwiebeln karamellisiert, scharfes Paprikapulver dazu. Seit einiger Zeit kocht sie wie früher.

 

Die große Terrine steht auf dem Tisch, eine kleinere Schüssel mit Nudeln daneben. Alfred häuft sich den Teller voll.

„Du weißt aber schon, dass du nicht so viele Kohlenhydrate zu dir nehmen und dich nicht aufregen sollst? Was soll denn Dr. Müller denken, wenn deine Werte wieder in den Keller gehen?“, wagt sie eine kleine Bemerkung.

„Kohlehydrate heißt das! Mit Kohlen hat das nichts zu tun! Außerdem kann der mich mal, der Klugscheißer! Hat doch keine Ahnung! Die besten Ärzte gehen nach Skandinavien oder nehmen nur Privatversicherte. Außerdem weiß ich selber, wie’s mir geht. Und jetzt will ich die Nachrichten sehen.“

 

Schon der erste Beitrag erregt sein Missfallen.

„Macron! Der will auch nur unser Geld, um sein Land zu sanieren. Ich sag‘ nur Griechenland. Und Portugal und Spanien sind auch so gut wie pleite. Denk‘ an die Null-Zins-Politik der EZB – alles Mafia. Die Briten haben absolut Recht mit ihrem Brexit. Von wegen europäische Finanzverwaltung! Bei uns kriegen die ja nicht mal länderübergreifendes Polizei- oder Schulwesen hin. Wie soll das dann in der EU laufen, wenn’s hier schon nicht klappt?“

Else stochert auf ihrem Teller herum.

 

Alfred kommt richtig in Fahrt, als Bilder eines Schiffes voller Afrikaner gezeigt werden, dem die Einfahrt in den Hafen von Malta und sämtlichen italienischen Häfen verwehrt wird. Von Wasserknappheit an Bord ist die Rede.

„So viel zu deiner EU! Die Schwatten will keiner haben. Guck genau hin: Lauter junge Männer und ein paar Alibifrauen mit Babies. Die sehen nicht verhungert oder krank aus! Biafra war wenigstens echt. Das hier ist Tränendrüsenpresse. Fake-News!“

Kurz hält er inne und schluckt.

„Die hecken wie die Kaninchen, und der deutsche Steuerzahler soll dafür aufkommen! Selbst den Knast von denen und ihren Kindern bezahlen wir! So gut geht das denen nicht zuhause. Wir müssen unsere Zähne und Augen selber bezahlen! Die nicht. Das Gulasch ist übrigens wirklich gut.“

 

Else protestiert nicht, als Alfred den Teller erneut füllt und sieht ihm stumm beim Essen zu.

 

„Da! Schon wieder eine Frau ermordet! Klar sagen die nicht, dass das ’n Ausländer war. Die Kriminalstatistik ist eindeutig. Das kann niemand wegdiskutieren oder wegschweigen. Aber die Medien haben ja einen Wir-schaffen-das-Maulkorb aus Berlin. Alles dieselbe Mischpoke! Sogar Karlsruhe ist nicht mehr eigenständig. Das Opfer ist garantiert eine vergewaltigte Deutsche oder eine Ausländerin, die von ihren eigenen Leuten umgebracht wurde. Die schrecken vor nichts zurück!“

Einen Atemzug hält er inne und schimpft: „Gibt’s heute denn kein Bier? Du denkst aber auch an gar nichts!“

 

Else nickt und bringt ihm ein „normales“ Bier. Alfred nimmt mehrere Schlucke direkt aus der Flasche.

 

„Das schmeckt wenigstens! Der ganze Diätkram taugt doch sowieso nichts. Alles nur Pharma-Werbung! Und überhaupt, warum müssen die Mädchen auch in so kurzen Röcken oder engen Hosen rumlaufen und abends in die Disco gehen? Sind doch selber schuld! Guck‘ dir die doch an! Risse in den Jeans direkt unter den Pobacken! Und die Oberteile – wie aus’m Puff! Das hat’s früher nicht gegeben!“

Vor lauter Ärger vergisst Alfred sogar das Kauen.

 

„Na ja, du fandest meinen Minirock damals auch nicht gerade unattraktiv.“

„Das war völlig anders. Immerhin habe ich dich geheiratet und nicht ermordet. Das kann man doch gar nicht vergleichen! Überhaupt haben sich die Zeiten verändert.“

 

Gespannt verfolgt er den Bericht über einen besonders dreisten Raubüberfall auf eine Tankstelle.

„Die Dummbeutel von Polizei kriegen den doch sowieso nicht. Gleich mit’m 38-er draufhalten! Wir brauchen das amerikanische Waffengesetz. Die EU-Ost-Erweiterung war ein Riesenfehler. Da haben wir uns den ganzen Balkan eingekauft! Und dass die Rumänen Profis sind, weiß doch jeder! Dank Brüssel können die ihre Sore und sich selbst jetzt unbehelligt über die Grenzen bringen! Sozusagen Diebestourismus“, schimpft Alfred und fügt hinzu: „Fahren Sie nach Polen – ihr Auto ist schon da.“

„Der Trump hat Recht, wir brauchen ’ne neue Mauer nach Osten! Und was soll das mit der Traumatisierung? Das steckt man einfach weg! Alles Weicheier heutzutage!“

 

Else bringt ihm unaufgefordert eine weitere Flasche Bier.

 

Wie jeden Tag sind diverse LKW in Stauenden hineingefahren und haben schwere Unfälle verursacht.

„Haben die in Berlin immer noch nicht begriffen, dass Deutschland dank der EU zu einem Transitland verkommen ist? Der Lastverkehr gehört auf die Schiene! Jeden Tag derselbe Mist! Denk‘ nur mal an die Straßenabnutzung! Ein einziger LKW zerstört so viel Straße wie 50.000 PKW. Die ganzen Baustellen wären gar nicht nötig, wenn nicht so viele Ausländer durch Deutschland fahren würden!“

 

Alfred verschluckt sich heftig. „Außerdem sind die LKW mittlerweile viel zu groß und zu schwer für unsere Straßen. Wieder so ein Mist, den wir von den Amis übernommen haben! Ich sag‘ nur: Fastfood, industrielle Schlachtung, Glyphosat und Fracking. Aber unsere Politiker wollen ja nur Autos verkaufen und nehmen deshalb alles hin!

Denk‘ mal an den blöden Kreisverkehr, den wir jetzt überall haben, weil Ampeln zu teuer sind. Die neuen Riesentrucks machen deine heißgeliebten Blumenbeete einfach platt, weil sie nicht um die Kurven kommen. Und nur, damit irgendwas noch billiger wird. Wir sind Deutsche, keine Amis!“

 

Else schweigt und stellt eine Schüssel Schokopudding und ein Kännchen Vanillesauce auf den Tisch.

„Du sollst dich doch nicht so aufregen. Iss‘ lieber.“

 

Ein Detail beim Wetterbericht erregt Alfreds Aufmerksamkeit.

„Dass wir Klimawandel haben, ist schlimm genug. Ist dir aber schon mal aufgefallen, dass kaum noch deutsche Ansagerinnen im Fernsehen sind? Alles irgendwelche Kanaken und deren Brut! Wir Deutsche sterben aus …“

 

Keuchend liegt er halb auf dem Tisch und halb auf der Küchenbank. Rütteln und Anschreien hilft nichts. Langsam rutscht er auf den Küchenboden.

 

Der Rettungsdienst ist überraschend schnell vor Ort.

„Da ist er wieder“, freut sich der junge farbige Sanitäter und tätschelt Alfreds Wangen. „Er ist soweit stabil, dass wir ihn transportieren können.“

 

Mühsam öffnet Alfred die Augen, sieht ein Lächeln in einem dunklen Gesicht, bäumt sich auf, bewegt den Zeigefinger und sackt zusammen.

Großes Mitleid sieht Else in den dunklen Augen. Und hilfloses Kopfschütteln.

 

Sie nickt und flüstert: „Das war zu erwarten.“

 

Version 2