Von Berndt Uhlig

Die Glut am Ende der Zigarette leuchtete hell auf und Heinrich nahm einen tiefen Zug. Er blies den Rauch wie graue Schlieren in die Nachtluft, und das Licht der Lampe über der Hintertüre ließ ein kleines Schattenspiel an den Hauswänden entstehen. 

Er seufzte und lehnte sich zurück. Es war kalt in der kleinen Nebengasse und spät Abends war nur der Vekehr der nächsten Straße zu hören und der Lärm im Schauspielhaus hinter ihm. Applaus, Pfeifen, Geschrei und Gelächter waren zu hören. 

Was sie wohl von Ihm halten würden? 

Der kalte Wind der Herbstnacht zog durch seinen Anzug über seine Haut und ein Zittern ging durch seinen Körper. Dreiundzwanzig Absagen hatte er in den letzten zwei Wochen bekommen. Niemand schien ihn zu wollen. Er zog an der Westküste der Staaten von Stadt zu Stadt, trat als Stand-Up Comedian in Pubs und Kneipen auf und bewarb sich um jede Rolle, egal ob Theaterstück oder Film. 

Es war schon immer sein Traum gewesen eines Tages auf der Bühne zu stehen, im Scheinwerferlicht vor Publikum, vor Kameras aufzutreten und er hatte sich entschlossen diesen Traum in die Tat umzusetzen, egal was kam. Seine Eltern hatten es ihm ausreden wollen. Er war trotzdem gegangen. 

Von drinnen ertönte eine Runde Applaus. Bald würde er an der Reihe sein. 

So saß er nun in einer dunklen Gasse, hinter einem Schauspielhaus am Stadtrand von San Francisco und wartete auf seinen Auftritt, der ihm hoffentlich eine kleine Rolle in einem Stück, besetzt von Lokaltalenten bescheren würde. Angeblich war sogar ein Talentsucher unterwegs der sich ein paar der Kandidaten anschauen wollte. 

Heinrich stand auf und richtete sich seine Krawatte. Den Anzug hatte er gestern reinigen lassen, während er in Unterwäsche daneben gesessen hatte.. Viel mehr besaß er nicht. Er war müde, hungrig und wünschte sich nichts mehr als ein warmes Bett. Oder zu mindestens die Rückbank seines Autos. Trotzdem ging er im Kopf noch einmal alles durch, seinen geplanten Auftritt, wie er die Rolle spielen sollte. Ein reicher junger Playboy namens Bill sollte er sein. Lässig, aufmüpfig. Heinrich zog noch einmal an seiner Zigarette und spielte sich in die Rolle hinein. Das Auftreten, das Sprechen, der Blick. Jede Bewegung musste passen. Er war nicht mehr Heinrich. Er war Bill, der Casanova. Nach zwei Minuten schüttelte er mit dem Kopf und gab auf. Verzweiflung übermannte ihn. Was, wenn er nie eine Rolle bekommen würde? Wie viel Zeit würde er wohl noch verschwenden? War es die richtige Entscheidung gewesen?

Sein Gesicht verschwand in seinen Handflächen. Dreiundzwanzig Absagen. Mit einem Mal versank sein Herz und sein Magen begann sich zu winden. Was tat er hier überhaupt? War das wirklich das was er wollte? Seine Gedanken zogen bereits zu seinen Eltern. Vielleicht könnte er sie ja noch anrufen und fragen, ob er wieder nach Hause kommen könnte. 

Plötzlich ertönte von drinnen eine weitere Runde Applaus. Mit jedem dumpfen klatschen schien sich seine Angst zu lösen. Doch, sagte ihm etwas, du willst das. Die leise Stimme, die danach zaghaft „Oder?“ fragte, verstummte langsam. 

Heinrich schloss die Augen. Er ignorierte das klappern der Mülltonnen, die Polizeisirenen in der Ferne, den Verkehrslärm der Straße, die Geräusche des Schauspielhauses und zuletzt seine eigenen Gedanken und Zweifel. Jede Bewegung musste passen. Jede Bewegung.
Als seine Augen sich öffneten, war er Bill. 

Ein Klopfen ertönte von der anderen Seite der Türe. „Hey, Junge, du bist an der Reihe, schwing dich auf die Bühne.“ ertönte eine Stimme. 

„Alles klar“ gab er zurück. Mit einer lässigen Bewegung schnippte er seine Zigarette gegen eine Mülltonne, richtete sich ein letztes Mal seinen Anzug und seine Haare und betrat das Schauspielhaus, aber nicht ohne zuvor ein Lächeln aufzusetzen, wie es zu einem Bill passen würde.