Von Florian Ehrhardt

„David, niemand kann dir auch nur ansatzweiße die Schuld für das geben, was passiert ist!“ Matthias Dürrenbauer, der von allen nur Matt genannt werden will, streicht sich die gegelten Haare mit einer raschen Handbewegung zurück.

„Und?“ Ich starre den Anwalt wütend an. „Das Mädchen ist tot, was denkst du, wie ich mich fühle?“

Matt blickt kurz zu Boden, fängt dann aber wieder an, mich zu tadeln: „Davey-Boy, was du fühlst ist nicht meine Aufgabe, dafür kannst du zu deinem scheiß Psychologen gehen.  Aber ich bin hier, damit du am Ende von dieser Sache nicht mit dir im Reinen bist, sondern mit dem fucking Gesetz! Und der Mist, den du da drinnen gerade allen erzählt hast, wird es uns verdammt schwer machen, diesen Prozess zu gewinnen! Was glaubst du, was das für eine Blamage für mich und meine Kanzlei wird?“

Ich kann kaum fassen, wie ein so gebildeter Mann in so kurzer Zeit so viel Bullshit labern kann. Mir bleibt der Mund offen stehen und ich will zurückwettern, aber in diesem Moment kommt Dad rein.

Sein Gesicht hat die Farbe einer Tomate angenommen, brüllend läuft er auf mich zu: „Meine Güte, wie kann man so bescheuert sein?“ Er bleibt direkt vor mir stehen und verpasst mir eine Backpfeife auf jeder Seite.

Ich blicke ihn stumm an. Darf jetzt keine Schwäche zeigen.

„Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass wir beim Plan bleiben? Du hast den besten Anwalt im Umkreis von zweihundert Kilometern und meinst trotzdem, hier die große Es-tut-mir-so-leid-Heulnummer abziehen zu müssen?  Jeder, der auch nur einen Funken Intelligenz besitzt, hätte sich zurückgelehnt und gewartet, wie Matt dieses Richterwürstchen fertigmacht!  Aber mein unfehlbarer Sohn weiß es natürlich wieder besser!“

Ich verkneife mir eine bissige Bemerkung. Habe nicht vor, mir nochmal eine schmieren zu lassen.

Aber das macht Dad nur noch wütender: „Ach ja, jetzt kannst du die Klappe halten, was? Aber vorhin hast du mit deiner dummen Fresse alles zerstört!“

Mir reicht es. „Vorhin? Vorhin habe ich zum ersten Mal seit langem wieder etwas richtig gemacht! Was ist zerstört habe, ist das Leben dieses Mädchens!“

„Bist du völlig übergeschnappt? Musst du diesen Scheiß wirklich bringen? Die Schlampe hätte es sowieso früher oder später erwischt! Du bist nicht mal mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren! Kein Richter der Welt hätte dich verurteilt, wenn du auf uns gehört hättest.“ Er atmet tief durch und dreht sich dann zu Matt um: „Aber wir gehen in Revision, stimmt’s?“

Der Anwalt unserer Familie grinst nur doof: „Big T, ich habe uns Zeit bis morgen verschafft, um das Blatt noch zu wenden. Glaub mir, 24 Stunden bis zur Urteilsverkündung können lang werden.“ Er zwinkert Dad verschwörerisch zu. 

Dann wird er wieder etwas ernster: „Trotzdem, wenn wir in  Revision gehen müssen, sorgst du diesmal dafür, dass dein Hosenscheißer sich nicht wieder selbst diskreditiert.“

Dad dreht sich zu mir um. Sein Blick wirkt fast schon liebevoll. Aber natürlich, ein internationaler Top-Schauspieler weiß, wie man sich verstellt. 

Nur blöd für ihn, dass ich seine Maskerade schon lang durchschaut habe. Nur ich weiß, wie er wirklich sein kann.

Er wählt seine Worte sorgsam: „David, du hast zwei Möglichkeiten: Entweder, du ziehst weiter deine Nummer ab und  zerstörst damit meine Karriere und dein Leben in Freiheit, oder du machst dass, was Matt und ich dir sagen und genießt dein Leben. Deine Entscheidung.“ Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und verlässt den Raum.

Das hat gesessen.

Matt ruft ihm noch ein „Übrigens, die Klagen wegen der defekten Ampelanlage und des Rufmordes sind vorbereitet und werden morgen eingeleitet!“, hinterher, dann wendet er sich wieder an mich: „Du kannst froh sein, dass wir den Richter wieder dazu gebracht haben, dich nur unter Hausarrest zu stellen, obwohl die Urteilsverkündung erst morgen ist. So einen wie dich fressen Sie im Knast zum Frühstück.“

 

Der Polizeibeamte sieht mich mit großen Augen an, als ich ihm das Bündel hinhalte. „Wie viel sind das?“

„Fünftausend.“ Ich sehe, wie die Gier in seinen Augen aufblitzt.

„Hmm, klar, dafür lasse ich Sie raus, aber Sie möchten ja nicht, dass man Sie sucht, oder?“

Das dumme Arschloch weiß ja nicht, was ich vorhabe. Eine Stunde Ausgang reicht mir. Aber das muss er ja nicht wissen: „Wie viel wollen Sie?“

Er leckt sich erwartungsvoll über die Lippen. „Fünftausend fürs rauslassen, Tausend für jede Stunde, in der ich die Klappe halte.“

Ich krame in meiner Gucci-Bauchtasche herum. „Hier sind 50 Riesen. Bis morgen um acht Uhr bin ich zurück. Wenn mein Vater nichts erfährt, können Sie den Rest behalten.“

Er blickt mich ungläubig an.

„Ich meins ernst. Mein Dad meint zwar er ist der einzige in dieser Familie, der Staatsdiener schmieren kann, aber ich stehe ihm in nichts nach.“

Jetzt hat der Polizist verstanden, dass ich ihm das Geld wirklich geben will. Er grinst mich an. „Schönen Abend noch!“

Ich schwinge mich auf mein halbverrostetes Fahrrad und fahre in die Nacht.

 

Ich brauche keine zehn Minuten, bis ich da bin, wo ich sein wollte. Es ist spät in der Nacht und trotzdem rasen die Autos mit einem Affenzahn an mir vorbei. Als ob keiner von Ihnen wüsste, was neulich hier passiert ist. Dabei könnten es doch sogar alle sehen, denn irgendjemand hat Grablichter und Kränze am Straßenrand aufgestellt. Genau da, wo es passiert ist.

„Eigentlich war es zwei Meter weiter links, aber das solltest du eigentlich wissen.“, meldet sich eine Stimme hinter mir.

Ich zucke zusammen und drehe mich langsam um. Tatsächlich, da steht sie.

„Ich wusste, dass du zurückkommen würdest.“ Ihr Mund bewegt sich nicht, wenn Sie spricht. Bleibt die Fratze, die ich gesehen habe, als Sie auf meiner Windschutzscheibe gelandet ist. 

Ich seufze entspannt auf. Nur eine Halluzination. Wahrscheinlich durch den ganzen Stress.

„Halluzination? Bist du dir sicher?“ Sie tritt einen Schritt vor.

Ich weiche zurück, als mir ihr fauliger Geruch in die Nase steigt. Können Halluzinationen stinken?

Sie verdreht genervt die Augen. „Nein, können Sie nicht. Aber ich kann deine Gedanken lesen. Geister können das.“

„Du bist kein Geist. Du bist ein Albtraum. Ich liege in meinem Bett.“ Ich blicke das Mädchen flehend an, während ich nach einer rationalen Lösung für das Übernatürliche suche.

„Können Albträume das?“ Sie tritt mir gegen mein Schienbein. 

„Aua! Du verfluchte kleine…“

Sie fällt mir ins Wort. „Ganz genau. Verflucht. Wegen dir und deinem Scheißauto muss ich hierbleiben, während du dein Leben weiter genießt. Wie viele kleine Mädchen willst du noch überfahren?“

„Ich wollte das nicht! Die Ampelschaltung war def…“

„Defekt? Hör doch auf, die Lügen deines Vaters zu glauben! Die Ampel war dunkelgelb, dein Radio war zu laut und du warst nicht mehr in der Lage, deinen Fuß vom Gaspedal zu nehmen! Du Mörder!“

„Mörder? Denkst du, ich habe das geplant? Es war keine Absicht!“

„Klar, das bringt mir jetzt total viel!“

„Warum bist du dann überhaupt hergekommen?“

„Ich könnte dich das Gleiche fragen.“

Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Sie weiß es.

„Natürlich weiß ich, was du hier tun willst.“ Zum ersten Mal beginnt sie zu lächeln. „Ich möchte nur zusehen, wie du es tust.“

Ich spiele den Dummen. „Was sollte ich denn tun?“

Sie deutet mit dem Kopf nach links.

Ich folge ihrem Blick, wo eine Straßenlaterne den stetigen Verkehr erleuchtet. Meine Entscheidung habe ich schon längst getroffen.