Michael Kothe

»Ich liebe dich nicht mehr.«

»Warum sollte es dir besser gehen als mir?« entgegnete ich. Ich legte eine Menge Emotion in meine Stimme. Auf dieses Gespräch mit ihr hatte ich mich vorbereitet, ich wusste, dass es kommen würde. Kommen musste.

»Du hast mich nie ernst genommen, hast meine Bedürfnisse ignoriert! Für dich war ich nur gut genug zum Putzen und Waschen.«

»Naja, da war noch ´was anderes«, warf ich ein. Kaum war die Entgegnung über meine Lippen geflossen, bereute ich sie. Ich hatte sie anders gemeint! Innerlich zuckte ich zusammen, sah die moralische Gewitterwolke meinen ganzen Horizont ausfüllen. Prompt erntete ich den Kommentar, den – so schien es mir – jede sexuell frustrierte Ehefrau loswerden musste.

»Der Spruch musste ja kommen, du Pascha. Ihr denkt auch immer nur an das Eine! Und? Was kommt dann? Nur heiße Luft!«

»Stimmt doch gar nicht! Es war echte Liebe, aber im Lauf der Zeit …«

»Etwas Besseres fällt dir auch nicht ein. Wenn du mir wenigstens nur ab und zu geholfen hättest. Aber nein, du hattest nur deine Arbeit im Sinn, deine Geschäftsreisen, hast mich und die Kinder vernachlässigt …«

Die Pause war nur kurz, dann wusste ich, was ich zu antworten hatte: »Ich hab´s für uns getan. Von nichts kommt nichts.«

»Ach, und meine Arbeit zählt wieder nicht! Ich rackere mich im Haushalt ab von früh bis spät, habe kein Wochenende, keinen Feiertag, keinen Urlaub. Wenn du heimkommest, legst du nur die Füße hoch, erwartest, dass ich dich frage, wie dein Tag war. Wer zum Teufel, fragt mich, wie mein Tag war?« Ihre Stimme schwoll ein paar Dezibel an. »Du meinst auch, bloß weil du das Geld heimbringst, …«

»So ist das nicht«, fiel ich ihr ins Wort, »auch wenn ich meine Arbeit nicht gegen deine tauschen möchte, so erkenne ich deine doch an.«

»Und was habe ich davon, tagein, tagaus? Höre ich von dir nur ein einziges Wort der Anerkennung?« Sie hatte die Fäuste geballt, sie zitterte, ihre Stimme vibrierte. Es war nicht das angenehme Timbre, das ich so lieben gelernt hatte vom ersten Tag an, als wir uns trafen. Aber darauf reagierte ich nicht, es war einfach ihre Stimme, die mich noch immer erregte. Mein Fehler! Als ich meine Gedanken und Sehnsüchte wieder von ihrem Tonfall löste, wusste ich nicht mehr, wie das Gespräch begonnen hatte, das schlechte Gewissen aber blieb. Wie schon so oft. Ich musste mich mehr zusammenreißen! Diesmal ging der Punkt an sie.

 

Das nächste Streitgespräch ließ nicht lange auf sich warten. Gerade hatten wir noch nebeneinander Hand in Hand auf der Couch gesessen. Nun standen wir uns gegenüber, nach vorn gebeugt, nur der Couchtisch zwischen uns bemühte sich als stummer Schiedsrichter darum, dass der Disput wenigstens einigen Regeln der Vernunft und des Anstands zu gehorchen hatte. Das leidige Thema war der Urlaub im Tessin, im Ferienhäuschen mit dem kleinen Garten, einem Handtuch von Grundstück.

»Nicht einen Finger hast du gerührt! Wenn wir ankommen, räumst du gerade noch das Auto aus. Ist klar, wenn der Wagen erst mal in der Garage steht, kommst du nicht mehr an den Kofferraum. Aber danach …? Ich darf zuerst eine Grundreinigung durchführen, weil das Haus ein halbes Jahr leerstand, während du auf der Terrasse beim Bier eine rauchst und dann im Bett verschwindest. Ja, du hattest ja auch fahren müssen. Aber am nächsten Morgen verlangst du frische Brötchen vom Bäcker, ein geputztes Bad und sämtliche Gartenmöbel auf der Terrasse.«

»Ich habe nie gefordert, dass du das alles in der ersten Nacht herrichtest. Schließlich haben wir fast vier Wochen Urlaub da verbracht.«

»Du hättest ja auch mal zugreifen können! Du weißt auch, wie schwer es mir fällt mit dem alten Rasenmäher.«

»Ja, und am zweiten Tag sollte ich die Hecke schneiden. Das hätte auch Zeit gehabt in den vier Wochen.«

»Wenn´s zu Beginn gemacht wird, haben wir es halt die ganze Zeit schön.«

»Du weißt, wie dringend ich Entspannung gebraucht habe! Immerhin bin ich zehn Monate im Jahr fünf Tage die Woche zwischen zehn und zwölf Stunden von zu Hause fort, während du dir deinen Tag einteilen kannst und deinen Arbeitsplatz gestaltest, wie du ihn möchtest. Während ich fremdgesteuert bin!«

» …?«

Dieser Punkt ging eindeutig an mich.

 

Das nächste Mal hatte sie mich mundtot gemacht nach nur zwölf Sekunden: »Du hast keine Argumente, du hast nur Ausreden!«

K.O. in der ersten Runde.

 

Noch einige solche Dispute folgten in der nächsten Zeit. Anfangs mit wechselndem Ergebnis. Dann wurde sie immer stärker, fuhr Themen und  Argumente auf, denen ich immer weniger entgegenzusetzen hatte. Sie wurde ruhiger, rationaler, während mich ihre zunehmende Sachlichkeit jedesmal mehr zur Weißglut brachte. Manchmal wiederholten wir uns. Szenen einer Ehe eben. Dort wird auch nicht alles nur ein einziges Mal aufgetischt, dieselbe schmutzige Wäsche wird mehrmals gewaschen. Sie wurde immer sicherer. Bald hatte sie mich eingeholt. Überflügelt will ich nicht sagen. Oder nicht zugeben.

Und dann: »Du, danke für deinen Rhetorikunterricht! Du bist ein wirklicher Freund.« Hannelores Kuss war mehr als gehaucht, er war leidenschaftlich. Genauso leidenschaftlich gab ich ihn zurück. Ich hatte mich lange danach gesehnt.

Mit Hilfe unserer Rollenspiele und ihrem daran gewachsenen Selbstbewusstsein hat sie es geschafft, nicht nur die Scheidung einzureichen und, dem Zerrüttungsprinzip folgend, durchzustehen, sondern sich auch ein übergroßes Stück vom Kuchen der Zugewinngemeinschaft abzuschneiden.

 

Hannelore und Herbert kannte ich schon lange. Obwohl ich mitgeholfen hatte, ihn zu übervorteilen, tat Herbert mir aus tiefster Seele Leid.

Die Scheidung der beiden erinnerte mich an die alte Geschichte „Ich trug Jeans und lange Haare“, in der ein Typ seiner Flamme zuliebe nicht nur zum Friseur geht, sondern sein T-Shirt gegen den Rollkragenpulli, die Lederweste gegen ein Sakko und die Jeans gegen eine Stoffhose mit Bügelfalten tauscht. Seine Harley Low Rider mit Chopper-Gabel und Sissibar weicht dem konservativen VW Golf. Und nach dem Abschluss seiner Metamorphose beendet sie die Beziehung. Er sei so spießig geworden, nicht mehr der taffe Typ, in den sie sich vormals verliebt hatte. Als er dann mit seinem Köfferchen auf der Straße steht, sieht er sie aus dem Haus kommen und sich hinter einem Kerl aufs Motorrad schwingen. Der trug Jeans und lange Haare.

Der Typ aus der Geschichte war ich. 

 

Seit ihrer Scheidung sahen wir uns regelmäßig. Nach einem Vierteljahr verkaufte Hannelore die Wohnung, die ihr zugesprochen worden war, und zog zu mir. Wir heirateten. Nun habe ich sie am Hals und weiß nicht, wie ich sie wieder losbekomme. Im Tessin habe ich die Hecke geschnitten und den Rasen gemäht. Gleich, nachdem ich den Kofferraum ausgeräumt hatte. Sie lag auf der Terrasse im Liegestuhl in der Sonne. Sie wollte für mich hübsch braun werden. Die Brötchen mag sie übrigens warm und mit Kruste, und die Gartenabfälle lasse ich höchstens ein halbe Stunde liegen.

Manchmal trifft man im Leben eine falsche Entscheidung, und manche Fehler macht man mehrmals. Mit Herbert verstehe ich mich übrigens wieder prima. Im Grunde meines Herzens beneide ich ihn.

 

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