Von Ulli Lenz

„Ach, nun komm‘ schon!“, schleudert sie mir frustriert und viel zu laut entgegen. Weil sie mir zusätzlich einen Stoß verpasst hat, stelle ich mich taub und ignoriere jegliche ihrer Bemühungen.
So nicht! Ich weiß, wir sind seit Jahren ein gutes Team – was rede ich, seit Jahrzehnten! Trotzdem, eine gute Beziehung erkennt man daran, dass man auch nach Jahren noch einen freundlichen und respektvollen Umgang pflegt. Und dazu gehört nun mal ganz bestimmt keine physische Gewalt.
Abermals versucht sie mich zu bearbeiten. Beleidigt brumme ich kurz, um dann ganz zu verstummen.

Überhaupt! Gute Beziehung, von wegen. Da braucht es eben eine gewisse Fürsorglichkeit dazu. Vernachlässigt hat sie mich, jawohl! In den letzten Monaten, vielleicht sogar Jahren. Dabei hat sie es jetzt um einiges leichter als noch vor zehn oder zwanzig Jahren.
Wenn man bedenkt, wie viel Arbeit sich früher immer um uns herum türmte! Kein Wunder bei diesen drei Jungs. In meinen ersten Jahren schienen die Kinder mit Vorliebe alles vollzuschmieren oder sich ständig im Dreck zu suhlen. Haufenweise Arbeit verursachten sie. Und, beschwerte ich mich auch nur einmal darüber? Niemals! Tag und Nacht rackerte ich mich ab. Zum Teil lief ich auf Hochtouren oder überhitzte sogar, nur um die Familie bestmöglich zu unterstützen.
Später wurde die Arbeit zwar weniger, aber meine Belastbarkeit auf andere Art und Weise getestet. „Sport ist Mord“, sage ich da nur. Diesen Spruch habe sogar ich verstanden! Unvorstellbar, die Geruchsbelästigung – ich finde gar keine Worte! Da braucht es hinterher zumindest heißes Wasser, um den Geschmack wieder loszuwerden. Oder aber zusätzliche Duftstoffe. Bäh, einfach nur eklig.
Aber jetzt? Die Kinder sind längst groß, und es ist äußerst ruhig geworden im Haus. Ja, ich gebe es zu, fast etwas zu ruhig. Das waren einfach schöne Zeiten, als die Jungs ab und an bei mir vorbeitobten. Oder sich hinter mir versteckten, um die Mutter zu erschrecken, wenn sie die Kartoffeln im Lagerraum holte. Dann sprangen sie laut schreiend auf, wenn sie um die Ecke bog und stets gab sie vor, sich furchtbar erschrocken zu haben. Da wurde mir schon mal warm im Bauch, selbst bei kalten Temperaturen. Seufz. Das ist lange her.
Jetzt sind sie weg. Ich kann ihre Stimmen noch an manchen Wochenenden vernehmen, wenn sie die Eltern besuchen. Tiefe Männerstimmen sind das nun, die sogar bis zu mir vordringen.
Als die Stimmen noch hell waren und ich ab und an noch Reittier spielen durfte, wusste sie mich noch mehr zu schätzen. Da kümmerte sie sich sehr oft um mich, um mich bei Laune zu halten. Um sicher zu sein, dass ich sie nicht verließ. Und jetzt? Jetzt interessiert sie sich bloß noch für sich selbst. So kann es jedenfalls nicht weitergehen.

 

Verzweifelt rauft sie sich die Haare. Nicht ohne Genugtuung registriere ich, dass auch sie im Laufe unserer gemeinsamen Beziehung Verschleißerscheinungen bekommen hat: Selbst im schummrigen Licht des Kellers kann ich die weißen Fäden in ihrem Haar schimmern sehen. Eine Art menschliche Verkalkung, vermute ich. Zusammen mit der faltigen Hülle lässt das höchstenfalls auf einen Zustand von „sehr gepflegt aber gut gebraucht“ schließen, würde ich meinen. Aber mich fragt ja keiner.
Muss ganz schön doof sein, wenn die Materialermüdung so offensichtlich erkennbar ist. Da möchte ich nicht tauschen! Na gut, wer ganz genau hinsieht, kann erkennen, dass auch mein strahlendweißer Teint etwas fahl geworden ist. Und meine Aufmachung ist vielleicht nicht mehr ganz „up to date“. Ansonsten bin ich rein äußerlich noch top, sage ich jetzt mal trotz aller Bescheidenheit. Bei mir muss man zumindest einen Blick ins Innere riskieren, um die labberigen Teile zu sehen.

Jetzt lässt sie sich vor mir auf die Hocke sinken. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie langsam in Verzweiflung gerät. Gut so. Anders versteht sie es anscheinend nicht.

„Bitte, lass‘ mich jetzt nicht im Stich!“, flüstert sie. Sie lehnt ihren Kopf gegen meine Stirn und legt ihre linke Hand an meine Seite. Kurz bin ich in Versuchung, schwach zu werden, meine Energien zu sammeln und loszulegen, aber mein Zustand ist so ernst, dass ich hart bleibe. Hart bleiben muss. Es bleibt mir erspart, noch allzu lange durchhalten zu müssen, denn schon vernehme ich das Versprechen, auf das ich gehofft hatte:
„Wenn du mir diese Ladung hier noch ohne zu Mucken wäschst, dann kriegst du wieder einmal das volle Programm. Ich kaufe dir einen Entkalker und sogar das Premium-Waschpulver! Versprochen! Komm‘ schon, du treue Seele, lass‘ mich jetzt nicht hängen, ich brauche morgen wirklich dringend dieses Kleid. Ich lege auch noch neue Dichtungen drauf, wenn du mich nicht mehr so lange zappeln lässt!“

Zack, und los geht’s!
Ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann. Sie hat mir noch nie etwas versprochen, das sie nicht gehalten hat. Zufrieden rumple ich in gewohnter Tüchtigkeit los. Ok, ein bisschen holpriger sind meine Bewegungen im Laufe der Jahre geworden. Nur ein kleines bisschen vielleicht. Aber noch habe ich es voll drauf.

 

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