Von Ingo Pietsch

Der Pharao blickte sich um. Gut ein Dutzend hochrangige Führer verschiedener Völker hatten sich um die große, runde Steintafel versammelt.

Dort saßen unter anderem ein chinesischer Kaiser, ein Chavin König aus Südamerika, ein Sumererunterhändler und ein griechischer Abgesandter.

Lautes Stimmengewirr erfüllte die geheime Höhle, in der das Treffen stattfand.

Diener huschten im diffusen Licht umher und verteilten Speisen und Getränke.

Der Pharao hieb mit einem faustgroßen geschliffenen Rubin auf ein Holzbrett: „Ich bitte um Ruhe!“

Abrupt kehrte Stille ein und alle Augen richteten sich auf den Vorsitzenden.

Der Pharao trug nur ein kostbares Gewand und hatte auf seine Doppel-Krone verzichtet.

„Wir sind hier zusammengekommen, um unsere gemeinsame Zukunft zu besprechen. Wie ihr alle wisst, landeten vor einigen Hundert Umläufen Götter auf unserem Planeten. Viele von uns waren damals noch nicht geboren.“

Bis auf einen sehr alten Mann mit langem Bart nickten die Ratsmitglieder.

Ein Wikinger spie bei der Bezeichnung Götter auf den Boden.

Hinter dem Pharao wurde ein Bild an die Wand projiziert: Ein menschenähnliches Wesen, dessen Hinterkopf unnatürlich in die Länge gezogen war. Es trug einen bodenlangen silbergrauen Mantel.

Der Pharao fasste weiter zusammen: „Sie kamen von den Sternen. Und falls sie je den Namen ihrer Rasse genannt haben, ist er uns nicht mehr bekannt. Für uns sind sie nur Götter.“

„Was wir schon lange nicht mehr glauben. Unser Volk leidet. Und wir sind nicht so gesegnet worden wie ihr“, äußerte sich der Wikinger dazu. „Unsere Fischgründe sind fast erschöpft und auch die Vegetation verkümmert mehr und mehr. In unseren Landen wachsen kaum noch Bäume. Die Geschenke sind ein Fluch!“ Er hielt beide Hände nach oben, damit man seine Armreifen sehen konnte, die unglaubliche Kräfte verliehen, aber auch das Leben verkürzten.

Der König aus Chavin meldete sich zu Wort: „Auch wir haben sie erhalten. Doch verwenden wir sie mit Bedacht. Sie machen sonst aggressiv und man verliert nach und nach seine Sinne. Was man an euch ja am besten beobachten kann!“, sagte er mit einem spottenden Unterton.

Der Wikinger funkelte den König an und hieb auf den Tisch.

Ehe er etwas erwidern konnte, schlug der Pharao den Edelstein wieder auf den Tisch.

„Wir alle haben etwas verloren, was uns lieb und teuer war. Am Ursprung des Nils gedeihen weder Tiere noch Pflanzen, alles hat sich in trostloses Ödland verwandelt. Und auch rund um die Pyramiden wächst nur noch etwas, wenn der große Strom über die Ufer tritt.“

Der Chinese ergänzte: „Bei uns führt alles zu einer Bevölkerungsexplosion. Und wir haben ständig mit Missernten zu kämpfen. Wo sind denn die Götter? Warum helfen sie uns nicht mehr?“

Ein Raunen ging durch die Höhle.

„Methusalem, hast du die Götter noch kennengelernt?“, fragte der Pharao den alten Mann.

Der schüttelte langsam den Kopf. „Mein Vater erzählte mir einmal, wie die Götter unter den seinen wandelten. Sie untersuchten die Menschen mit seltsamen Geräten und veränderten ihre Körper. Unsere Vorfahren hockten am Feuer, lebten von der Jagd und wohnten in einfachen Zelten. Die nächste Generation baute Häuser und zog Vieh heran. Die Götter haben alles beschleunigt. Ihr Menschen heute seid größer, als wir damals. Und intelligenter. Aber dafür lebten wir länger.“

„Wie lange ist das jetzt her? Fünfhundert oder Tausend Umläufe?“

Tränen stiegen Methusalem in die Augen: „Ich kann nicht mehr erinnern. Auch nicht mehr an meine Familie. Alle, die ich kannte, sind längst tot.“

„Sind die Götter überhaupt noch da?“, fragte der Unterhändler aus Sumer.

„Deswegen sind wir hier. Um zu klären, was wir in Zukunft unternehmen wollen. Fakt ist, dass wir mit Technologie und Zivilisation gesegnet worden sind. Nur stehen wir mit unseren Problemen alleine da.

Die Pyramiden, die wir gebaut haben, sind mit Platten belegt, die Energie speichern können, welche wir für unsere Maschinen nutzen können.“

Die anderen in der Runde nickten.

Der Pharao sprach weiter: „Aber sie bestehen, wie viele andere Dinge, die wir nutzen und herstellen, aus biologischen Materialien. Diese Bio-Technologie hat aber einen entscheidenden Nachteil: Die Materialien sterben nach einiger Zeit ab und lösen sich auf. Ich vermute, damit wollen uns die Götter unsere Abhängigkeit von ihnen demonstrieren.“

„Ich weiß, wo sich ihre Hauptproduktionsstätte befindet.“ Ein junger Mann hatte das Wort ergriffen.

„Grieche?“, wollte der Pharao wissen.

„Ja, Platon mein Name. Auf der großen Insel jenseits der Säulen des Herakles. Ich bin einmal dort gewesen, doch habe ich das Meiste, was ich gesehen und gehört habe wieder vergessen.“ Er tippte sich an die Schläfe.

„Wir kommen mit unseren Schiffen nicht einmal in die Nähe der Insel. Aus irgendeinem Grund werden die Schiffe abgedrängt.“ Der Wikinger spielte mit seinen Fingen voller Ungeduld.

„Sie heißt Atlantis und ist tabu für uns Menschen. Was ich noch weiß ist, dass die Stadt in mehrere Ringe eingeteilt ist und in ihrer Mitte ein gigantischer Turm steht, dessen Spitze die Wolken berührt.“

„Ich kann diese Erzählungen nur bestätigen. Mehr als auf Sichtweite kommt man an die Insel nicht heran“, ergänzte der Chavin König. „Und unsere hochseetüchtigen Schiffe fahren ständig dort vorbei.“

„Vorsicht Freunde, vor langer Zeit haben die Götter einen Turm errichtet, der etwas ausstrahlt, damit wir uns alle in derselben Sprache verständigen können. Wir sollten nicht zu leichtfertig damit umgehen“, meinte Methusalem.

„Wir haben seit Ewigkeiten nichts mehr von den Göttern gehört. Vielleicht haben sie die Erde längst schon wieder verlassen oder sind selbst schon gestorben. Außerdem beherrschen wir ihre Technik. Was kann uns schlimmstenfalls passieren?“ Der Pharao blickte um den Tisch.

Alle anderen nickten.

„Dann ist das einstimmig beschlossen. Wir werden unsere Streitkräfte bündeln und Schwachpunkte suchen, wo wir die Götter angreifen können, da jegliche Kommunikation vergeblich ist.“ Der Pharao schlug den Edelstein auf die Unterlage, wo er zerbrach und setzte damit das weitere Schicksal der Menschheit in Gang …