Von Claudia Nierste

Plötzlich klopft es an der Tür. Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es zu tief in der Nacht ist, als dass es ein Freund sein könnte. Die Postbotin, der Handwerker und dieser eine Typ, der alle paar Wochen mit seinem Klemmbrett vor der Tür steht und nach deiner Meinung zu einer Baumaßnahme fragt, von der du wieder nichts mitgekriegt hast – sie alle liegen sicher längst in ihren Betten. Genau wie du. Bis es an der Tür klopfte.

Du kannst jetzt nicht liegen bleiben. Den Laptop hast du schon zugeklappt, eine erste Schreckreaktion, um zu verhindern, dass das Licht nach draußen dringt. Der Boden unter deinen nackten Füßen ist so kalt, dass du erschrickst. Das Messer liegt in der obersten Schublade unter der Küchenzeile, ein stumpfes Ding zum Apfelschälen, aber besser als nichts. Deine Wohnung ist so klein, dass du sie selbst im Dunkeln lautlos und schnell durchqueren kannst. Die Küchenzeile liegt direkt neben der Tür. Du hältst die Luft an. Kein Geräusch von draußen. Hast du es dir am Ende nur eingebildet?

Da klopft es wieder. Du stehst in der Schwärze wie eingefroren, eine Hand nach der Schublade ausgestreckt. Beim Öffnen wird sie knarren, und wer auch immer dort draußen steht und vielleicht das Ohr an die Tür drückt, wird dich hören. Ist das gut? Wenn er weiß, dass jemand zu Hause ist, wird er dann weiterziehen? Mit einem Mal hat er eine Gestalt, dieser Mensch dort draußen. Sind es vielleicht sogar mehrere? Dein Herz hämmert so heftig, dass es dir das Atmen unmöglich macht. Deine Finger berühren die Schublade. Im Dunkeln ist dir die Wohnung fremd und hinter dem Schrank lauern Schatten, die du noch nie zuvor gesehen hast. Denk nur, wie dünn diese Wände sind. Wie schwach die Tür und wie nutzlos das Schloss. Wenn jemand hier einbrechen will, dann kommt er auch rein. Ein Schlag mit dem Hammer genügt, um die Tür zu beschädigen – einen Hammer kann sich jeder kaufen – und dann ein kräftiger Tritt, um sie aus den Angeln zu reißen. Hast du gedacht, in deinen eigenen vier Wänden wärst du sicher, ganz alleine in diesem Zimmer, das schon seit Wochen niemand betreten hat außer dir? Wie lange würde es dauern, bis jemand dein Verschwinden bemerkt? Zwei Tage? Drei? Wenn du ein paar Tage nicht auftauchst, denken sie bestimmt, du bist krank. Das ist doch verständlich, das muss man auskurieren, da hilft es auch nicht, wenn man anruft. Sie können ja nicht wissen, dass du mit eingeschlagenem Schädel auf dem Teppich vor dem Schrank liegst, das Schlafshirt bis unter die Achseln hochgezogen, denn wer weiß, was die vor der Tür noch so im Sinn haben. Dir ist heiß. Das Blut pulsiert an Stellen, die du dir nicht erklären kannst. Was ist das? Ein irrwitziger Versuch deines Körpers, sich auf das Unausweichliche vorzubereiten? Du schaffst es endlich, die Schublade ein winziges Stück aufzuziehen und das Messer in die Hand zu nehmen. Keine Regung draußen. Wohin sollst du überhaupt stechen? Was ist, wenn sie dir das Messer abnehmen und es gegen dich verwenden? Denk nur, wie dünn die Haut am Hals ist, an den Handgelenken und an der Schläfe, wie zerbrechlich deine Schlüsselbeine und die Finger sind.

 

Draußen regt sich immer noch nichts. In der Dunkelheit stehend, die schweigenden Wände um dich herum und das Obstmesser in der rechten Hand, spürst du, wie dein Herzschlag sich langsam wieder beruhigt. Du lauschst in die Stille hinein. Kannst du deinen Ohren trauen, wenn sie sich jetzt mit diesem durchdringenden Ringen füllen?

Du legst das Messer ab. Das leise Scharren der Klinge auf der Küchenzeile durchbricht den Lärm in deinen Ohren. Es ist tatsächlich ganz still. Du machst den ersten Schritt in den Raum hinein. Das Bett ist keine drei Meter entfernt. Die Matratze senkt sich unter deinem Gewicht, aber du kannst dich noch nicht hinlegen. Das Klopfen könnte wieder kommen, oder schlimmer noch, ein Scharren an der Tür und ein Kratzen am Schloss. Da sitzt du und starrst in die Dunkelheit. Das dumpfe Ringen stellt sich erneut ein und überdeckt alles andere. Bis eben war noch alles in Ordnung. Der Laptop liegt wie tot neben dir. Ihn wieder zu öffnen und weiterzuschauen, wo du aufgehört hast, kommt dir unmöglich vor. Zwischen jetzt und vor zehn Minuten, als du mit schlechtem Gewissen doch noch auf die nächste Folge geklickt hast, liegen eine Ewigkeit und ein Klopfen.

Du ziehst die Beine an und lehnst den Kopf gegen die Wand. Es ist sehr still. In deiner Brust schlägt dein Herz wieder seinen normalen Takt, das Pochen an deinen Schläfen hat sich gelegt und deine Finger haben ihre Steifheit verloren. Es ist vorbei. In einer halben Stunde wirst du den Laptop abschalten, aufstehen und dir im Bad die Zähne putzen können, mit kleinen Pausen zwischen den Schrubbewegungen, um doch noch einmal nach draußen zu lauschen. Wenn alles ruhig geblieben ist, wirst du das Kissen aufschütteln und unter die Decke schlüpfen können. Du wirst noch lange wachliegen, an die Decke starren und versuchen, eine beruhigende Erklärung für das nächtliche Klopfen zu finden. Vielleicht hat sich jemand in der Tür geirrt. Vielleicht zu viel getrunken, eine späte Heimkehr nach einer Tour durch die Bars. An einem Dienstag? Und wer klopft an seine eigene Tür? Du wirst keine Antwort finden. Du wirst in der Dunkelheit liegen und daran denken, wie dünn die Wände sind, wie schwach die Tür und wie zerbrechlich dein einziges Fenster, wie wenig es braucht, um das Schloss zu knacken und dass jeder unbeschwerte Moment der letzte sein könnte – wer weiß schon, wann das nächste Klopfen kommt, der Knall am Fenster, die Schritte auf dem Dach? – bis dir schließlich die Augen zufallen.

 

Schlaf gut.