Von Michael Voß

Die Sonne ging auf im Gesicht König Boguls: „Seid willkommen, Gero von Kaldenstein! Es freut mich außerordentlich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid!“

Der Druide im grüngrauen Umhang verzog keine Miene: „Bedauerlich nur, dass ich die Freude Eurer Majestät nicht teilen kann.“

Wut verzerrte das Gesicht des Tyrannen und schlagartig wurde es still im Thronsaal. 

Doch schon hatte Bogul wieder sein liebenswürdiges Lächeln aufgesetzt: „Warum das, werter Gero? Hat es Euch auf der Reise an etwas gemangelt? War die Kutsche vielleicht nicht gut genug gefedert? Oder hat man Euch den caldanischen Wein nicht angeboten, den ich eigens für Euch beschaffen ließ?“

Die eisgrauen Augen des Angesprochenen blitzten auf, seine Stimme jedoch blieb kühl: „Ich bevorzuge es, bei der Sache zu bleiben und die Dinge beim Namen zu nennen, Majestät.“

Das Lächeln des Herrschers gefror zu einer Maske und der Saal hielt den Atem an. Das einzige Geräusch war das Kratzen der königlichen Fingernägel auf den Armlehnen des Thrones. 

Die Stimme des Tyrannen klang gepresst: „Nun, Gero, Ihr seid zum ersten Male hier zu Gast, daher sei Euch Euer ungebührliches Verhalten verziehen, bis meine Leute Euch die Regeln hierzulande erklärt haben. Seid versichert, dass sie recht gut darin sind.“

Der Rabe auf der Schulter des hochgewachsenen Druiden gab einen kehligen Laut von sich. Beruhigend strich Gero dem schwarzen Vogel über das Gefieder: „Wohl wahr. Die erste Lehrstunde haben sie mir bereits gegeben!“

Schuldbewusst senkte der Leibwächter zur Linken des Königs den Blick.

„Lehrstunde? Was meint Ihr damit?“, fragte der Tyrann verständnislos.

Der Mittvierziger mit den seltsamen Tätowierungen blieb gelassen: „Vokabelunterricht. Was hier Einladung heißt, nennt man anderswo Nötigung; Euer Wort Reise bezeichnet das, was bei uns ein Gefangenentransport ist. Sehr tüchtig und sehr klar im Ausdruck, Eure Leibgarde.“

„Vokabel- was? Ach, halten wir uns nicht länger auf damit!“, rief Bogul jovial und winkte den Bewaffneten an Geros Seite: „Geleitet unseren Gast an seinen Platz! Mundschenk, reiche er Herrn von Kaldenstein einen Willkommenstrunk!“

Mit zwei auf seinen Nacken gerichteten Hellebardenspitzen nahm Gero gegenüber dem Tyrannen Platz und sagte halblaut: „Ein Vorschlag zur Güte, Majestät: Schickt Euren Hofstaat hinaus, dann können wir uns die Förmlichkeiten sparen!“

Mit hartem Blick fixierte der König den wettergegerbten Druiden, der sich jedoch völlig unbeeindruckt zeigte. 

Bogul stand auf und klatschte in die Hände: „Unser Gast ist müde von der Reise! Der Empfang ist beendet!“

Kurz darauf hatten die Höflinge, Diener, Musikanten und Gaukler den Saal verlassen, einzig der Leibwächter und die Gardisten waren geblieben.

Zum ersten Mal lächelte der Druide: „Also, Euer Majestät, was wollt Ihr von mir?“

„Macht mich gesund, Gero!“

„Ah. Was plagt Euch?“

Der Tyrann beugte sich vor und flüsterte: „Der Verlust meiner Manneskraft.“

„Hm. Dafür lasst Ihr mich eigens herbringen? Warum das?“

Bogul raunzte: „Ich folge dem Rat des königlichen Hofmedicus. Nachdem er alles Mögliche vergeblich versucht hatte, sagte er, jetzt bliebe nur noch Elfenmagie oder der Spiegel von Meister Gero, um mich zu heilen.“

Gero zuckte mit den Schultern: „Nun, ich habe den Spiegel nicht mehr. Er wurde mir geraubt, im letzten Frühjahr. Aber warum konsultiert Ihr nicht einfach eine ordentliche Hexe? Erkrankungen wie die Eure sind ein Spezialgebiet meiner naturverbundenen Kolleginnen.“

Der Tyrann knirschte mit den Zähnen, sein Gesicht verfärbte sich zornrot.

„Ich verstehe“, meinte der Druide beiläufig. „Nachdem Ihr sämtliche Hexen Bormets vertrieben oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt habt, vermute ich mal, dass ein solches Tun Euren, hm, Überzeugungen zuwiderliefe.“

Ein dunkler Schatten flog über das Gesicht des Leibwächters. 

Bogul jedoch schnaubte verächtlich und winkte. Kurz darauf brachte ein Diener ein Kästchen aus Mahagoniholz. Der König öffnete es und entnahm ihm einen fein gearbeiteten Handspiegel, dessen Glas tiefschwarz glänzte: „Nun, ist das hier Euer Spiegel?“

Der Druide nickte.

„Ich habe hineingesehen, bin aber nicht genesen. Warum?“, verlangte Bogul zu wissen.

„Nun, der Spiegel schläft sozusagen. Es bedarf der Magie, um ihn aufzuwecken.“

„Dann weckt ihn gefälligst auf!“

Gero schüttelte den Kopf: „Ich rate dringend davon ab, Euer Majestät. Schon deshalb, weil der Spiegel Euch nicht helfen kann.“

„Warum nicht, zum Henker? Eure Spiegel-Heilungen sind geradezu legendär! Ihr habt den Kaiser damit vom Stottern befreit, eine caldanische Prinzessin aus dem Irrsinn geholt und dergleichen mehr! Ich bin ebenfalls adelig, also wird der Spiegel auch mich gesund machen!“

„Der Stand ist nicht entscheidend für den Erfolg. Zudem heilt der Spiegel nicht, vielmehr hilft er dem Leidenden, von selbst zu gesunden“, antwortete der Druide.

Unwirsch fragte der König: „Wie soll das gehen?“

„Indem er dem Schauenden zeigt, wer er wirklich ist. Die Prinzessin mit der Hasenscharte, der man von Kindesbeinen an eingeredet hat, sie sei hässlich, dumm und zu nichts nutze, erblickte im Spiegelbild ihr wahres Gesicht. Nämlich das, was ihrem warmherzigen und klugen Wesen entsprach: makellos und voller Liebreiz. Der Anblick der Wahrheit hat sie nicht nur vom Irrsinn genesen lassen, auch die Hasenscharte hat sich mit der Zeit ausgewachsen.“

Verständnislos starrte der Tyrann den Druiden an, dann schnauzte er: „Weckt den Spiegel auf! Sofort!“

Keiner bemerkte das feine Lächeln Geros, als er den magischen Gegenstand aus der Hand des Königs entgegennahm und Worte in einer fremden Sprache murmelte. Als hätte jemand Sternenstaub darauf gestreut, glitzerte das schwarze Glas einen Moment lang auf. Dann war es silbern geworden.

 

Gierig griff der Tyrann nach dem Spiegel und sah hinein. 

 

Eine Weile lang starrte er verwundert. Schließlich drehte er sich ein wenig hin und her, um sich auch von den Seiten zu betrachten.

Kopfschüttelnd und ohne den Blick abzuwenden, befahl er seinem Leibwächter: „Robak!!! Sag´ mir, was du hier siehst!“

Der junge Mann im Kettenhemd schaute seinem Herrn über die Schulter in den Spiegel. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und er wurde bleich.

Ungeduldig fragte der König: „Sag´ schon, Robak, wo zum Teufel bin ich denn in diesem Spiegel hier? Ich sehe nur ein gehörntes Ungeheuer, in dessen Augen der Irrsinn flackert.“

Der Wächter schluckte und stotterte: „Nun, Herr, ich, ähm…“

Bogul winkte ab: „Lass es gut sein! Ich sehe schon: Dieser Hundsfott von einem Druiden will mir die Heilung verweigern! Werft den Drecksack in den Kerker – ich lasse ihn gleich morgen vierteilen und den Hunden zum Fraß vorwerfen.“ 

Verzweifelt suchte Robak den Blick Geros, der ihm freundlich zulächelte und unauffällig nickte. Der Rabe tat einen weiten Flügelschlag.

Ein Ruck ging durch den Wächter, dann zog er das Schwert, holte aus und schlug seinem Herrscher den Kopf ab.

 

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