Von Kornelia Wulf                                                

Ich schaue in seinen Spiegel. Starre auf die Hautwülste über den Falten, die sich wie Wattwürmer über meine Stirn schlängeln. Streiche sie unverzüglich glatt. Das Betriebskapital muss schließlich erhalten bleiben. Dann entdecke ich einen Bogen Marmorpapier, exakt in der Mitte gefaltet. Er klemmt hinter dem Kugelholzkopf einer Putte, die ihren mit Blattgold lackierten Blick aus dem antiken Rahmen heraus gen Himmel richtet.

 

Mit dem Luxuspapier in der Hand schlendere ich in Huberts Küche. Und während ich seine Zeilen entfalte, beiße ich in das labbrige Brötchen, das auf dem Kirschblüten-Kimono einer Geisha wartet. Gepinselt auf japanischem Porzellan. Hauchfein gebrannt, so dass ich es kaum zu berühren wage. 

 

Als ich heute Morgen Huberts Kühlschranktür öffnete, gähnte mich Leere an. Nur ein paar schwarz gefleckte Möhren im Gemüsefach bogen sich schlapp übereinander und eine halb gefüllte Milchflasche wartete in der Seitentür. Während ich den Deckel aufschraubte, fuhr ein ätzender Stich in meine Nase, raubte mir beinahe den Atem.

 

Dann begann mein Magen zu knurren.

 

Und mein Blick suchte in Schränken und Ecken, hinter Kupferpfannen und Gläsern. Bis ich es endlich in dem Keramiktopf über dem Dampfgarer fand. Dieses Brötchen, das in meiner Mundhöhle quillt. Es quietschte fast, als mein Finger in der Kruste bohrte und scheint aus Gummi zu bestehen.

 

Das Papier knistert, als ich auf Huberts Botschaft, oder präziser formuliert auf seine Anweisung schaue und den spitzen, zackigen Buchstaben folge.

 

„Mein Honigpüppchen“, steht da.

 

Ich zucke zusammen, als streichle ein Waschhandschuh meinen Körper, in dem sich ein Glassplitter versteckt hat. Soll das etwa eine Anspielung sein? Mehr als zwei, drei Kilos können es doch nicht sein, die sich in Hüfte und Bauch eingenistet haben. Kein Wunder, denke ich. All diese Futtertempel, in die er mich geschleppt hat. Und das an jedem Abend. Gepflegtes Dinieren nennt er das. An erster Stelle stehen die Austern a la Rockefeller für ihn. Bei Maitre Charles, dem Zweistern Restaurant am Opernplatz. Und wenn die quabbelnden Körper durch seine Kehle gleiten, die in seinem Mund noch zu zappeln scheinen, stülpt sich mein Magen auf.

 

Doch die Proseccogläser klingen und ich proste ihm lächelnd zu.

 

Oder die gebackenen Hummerkrabben bei Mr. Wong. In Sesam gewälzt und in Fett gebadet. Ich folge der Ölspur, die aus seinem Mundwinkel rinnt, höre das Krachen der Panade, in die er die Zähne vergräbt und in manch lieblos gepulte Beinchen. Er schmatzt. Keucht. Bis der gequälte Knopf von Huberts Bauch abspringt und sich ein krebsroter Wulst durch den Nabel zu zwängen scheint.

 

Ein seltsamer Traum überfällt mich in diesen Nächten. Von einem Seeigel, der seine Stacheln in mich treibt. Mich aussaugt mit glitschigen Lippen.

 

Und als wäre diese Völlerei nicht schon mehr als genug, führt er mich an den Wochentagen, die mit einem S beginnen zu Fernando. Zwischen Tiramisu und Espresso steigt Fernando in den Keller. Holt seinen edelsten Grappa herauf. „Ein Geheimtipp“, sagt er immer, wenn er die bernsteinfarbene Flüssigkeit in unsere Gläser gießt.

Dann schmeißt er sein Glas an die Wand, küsst unsere Stirn. Schreit „Cari amici“ durch das Restaurant. Ein bisschen verrückt, dieser Fernando. Wenn Hubert – kurz bevor wir das Lokal verlassen – noch einmal den Ort aufsucht, der nur für die kleinen Huberts bestimmt ist, rückt Fernando näher heran, kriecht fast in mein Ohr. Bis seine Lippen eine Schleimspur auf meiner Schläfe hinterlassen.

 

Wie zwei Schnecken fühlt sich das an, die im Grapparausch über meine Haut kriechen, sich dort festsaugen.

 

„Mia amata, mia bella“, keucht er in diesen Momenten und kneift in meine Hüfte, „du mache mich wahnsinnig.“  Wenn er dann seufzend vor mir aus die Knie fällt, bohrt sich mein  Absatz in seinen Handrücken und ich packe ihn fest am Kragen. „Reiß Dich zusammen Fernando“, zische ich und streiche sein Sakko glatt, „und vor allem, behalte deine Griffel bei dir.“

 

Und dann setze ich es wieder auf, als sei nichts geschehen. Mein strahlendes Lächeln, meine professionelle Maske sozusagen, während mein Innen-Ich ächzt und die Augen verdreht.

 

Ich soll heute einkaufen gehen, schreibt Hubert, bei Münstermann, dem Feinkostgeschäft in der Blumenstraße. Ein Pfund Meeresfrüchte, eine Kiste Chateau de irgendwas und einen Laib Tiroler Urbrot. Um die übrigen Lebensmittel müsse ich mich nicht kümmern, lese ich, die liefere der Edeka um die Ecke. Und dass wir uns mal wieder einen Abend zu Hause bereiten wollen, gemütlich, warm, mit Puschen vor dem Fernseher sitzend.

 

„Was bildet er sich eigentlich ein?“, denke ich und zerknülle den Zettel in meiner Hand. Ich bin doch nicht seine Hausfrau, sein Heimchen am blank gescheuerten Herd, auf dem ich wohl heute auch noch kochen soll.

 

Und das alles nur wegen Frau Simoneit, die uns vor drei Tagen in der Eckbadewanne erwischt hatte. Frau Simoneit, die Perle von Hubert. Eine Perle mit schon leicht vergilbtem Lüster. Nicht, dass sie etwas besonderes hätte beobachten können. Unter dem pludrigen Avocadoschaum, der uns von den Fußgelenken bis zu den Halskuhlen verhüllte, ruhte still der See. Und auch die Vöglein befanden sich im Tiefschlafmodus. Garantiert. Doch die Simoneit schlug die Hände vor den Augen zusammen, kiekste mit einem kleinen Hopser und rutschte auf der Seife aus, die über den Wannenrand gehüpft war. Es hörte sich an, als spalte die Axt trockenes Holz, als die  Simoneit auf die Marmorfliesen knallte. Und das heisere Kieksen, das sie wie einen Schluckauf durch den vor Schreck eingerasteten Kiefer gestoßen hatte, erstarb. Noch von der Trage des Rettungswagens aus organisierte sie das All Inclusive Angebot der Firma Donath, einem anerkannten Reinigungsunternehmen in unserer Stadt. 

 

Aber das leibliche Wohl bleibt nun an mir hängen. Als sei ich seine Frau, seine Gefährtin seit ewiger Zeit. Dabei kennen wir uns erst seit ein paar Wochen.

 

„Ich habe etwas gut bei dir“, mailte Sandy.

 

Sandy, die Assistentin von Harry, dem Inhaber der Escort Agentur, bei der ich arbeite. Mit vollem Kopf und Körpereinsatz. Ich muss es allerdings zugeben. Bei neun von zehn der vertraglich vereinbarten Dienstleistungen kommt der Körper zum Einsatz. Manchmal dient er als Schwungtuch, oft auch als Tasteninstrument, das in den passenden Momenten lustvoll im Staccato schreien soll. Oder als Lückenfüller für den gelangweilten Unternehmer auf Dienstreise nach ermüdender Sitzung. „Alles kann, nichts muss“, lautet das Motto auf dem Logo unserer Website. Doch wir wollen uns hier nichts schönreden. Meistens muss es, das höchst dringlich und nicht zu knapp.

 

Seit mehr als drei Jahren posiere ich in Harrys Kartei. Obwohl ich anfangs nur eine kleine Finanzspritze plante, weil mein seniler Smart die Reifen endgültig flach legte. Denn auf dem Konto einer Studentin herrscht ewige Ebbe.

„Spinnst du?“, kreischte Sybille, als ich ihr meinen Plan anvertraute. Sybille, die sich Freundin nennt. „Giorgio wird dir die Füße küssen, jeden deiner schnuckeligen Zehen, wenn du bei ihm kellnerst.“

Ich schüttelte den Kopf. Wie kann man nur so naiv sein? Kneipenluft ruiniert selbst den perfektesten Teint, das weiß doch heute jeder. Und diese Sache mit den Füßen …  ein absolutes No-Go für mich.

 

„Dein Kunde hat einiges in der Hinterhand. Die Hotelanlage am Wannsee gehört zu seinen goldenen Kälbern. Auch an dem neuen Immobiliengebiet in Friedrichshain soll er beteiligt sein“, schrieb Sandy, „also, wenn du es geschickt anstellst …“ 

 

Und so stand ich am Abend vor seiner Villa im Grunewald, schritt durch ein von zwei Stucksäulen gesäumtes Portal. Mir schwindelte, als ich die Eingangshalle betrat. Und meine Zweizimmerwohnung, die mir bislang stets geräumig erschien, schrumpfte zu einem Mauseloch ein.

 

Nach dem Dinner begab ich mich in sein schiefergraues Boxspring Bett, wälzte meinen Körper über die Auflagefläche. Eine Methode, um mich in den mir noch fremden, dienstlichen Einsatzort einzufühlen. „Gar nicht so kalt und hart wie es aussieht“, dachte ich.

 

Vergeudete Arbeitszeit, wie sich herausstellen sollte,

 

als Hubert Sekunden später sein Schlafzimmer betrat. Die Brustwirbel gewölbt, die Hände über die Mitte gekreuzt, schienen seine Tresorschultern geschmolzen zu sein. Und der Mond, der sein Licht durch das zarte Gardinengewebe sprenkelte, zauberte bläuliche Pickel auf den erstaunlich bleichen Leib. Während seine Finger sich lösten, sich gleich einem knöchernen Fächer spreizten, drohte sich meine professionelle Disziplin in einem Lachkoller zu verlieren. Ich spürte ein verräterisches Glucksen, das vom Zwerchfell aufwärts zur Kehle kullerte und sich nur mit eisernem Willen wieder hinab peitschen ließ.

 

Und für einen Moment schwebte ein Panzerknacker über den seidigen Flor des persischen Teppichs. Auf seinen Pupillen kreisten Spiralen, als er nach einer schnarchenden Schlange griff, statt sich in Dollarnoten zu aalen.

 

Am nächsten Morgen klemmte ein Schreiben auf dem mir nun schon wohlbekannten Briefpapiers hinter der Putte. Bedruckt mit einer Erklärung, die mich zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet. Aufgesetzt von seinem Rechtsanwalt. Nachdem ich es unterzeichnet hatte, buchte mich Hubert auf unbestimmte Zeit.

 

Ich schaue in seinen Spiegel.

 

Plötzlich scheinen sich die Balken unter der weißen Decke zu biegen. Und als schlössen sie die Schultern zusammen in einem brüderlichen Bund, runden sie die Formen, wölben sich, schweben über meinem Scheitel wie ein hölzerner Käfig.

 

Ein goldener Schnipsel weht in mein Auge. Während ich reibe, klappt das Lid der Putte auf und ab. Sie spreizt die Lippen, schenkt mir ihr wissenden Lächeln, flüstert mir zu …

 

Ich entknülle das Papierknäuel auf dem Geishateller. Einkaufen bei Münstermann lautet der Deal. Und ich schnappe mir die Gelben, die auf der Teakholzkommode unter dem Spiegel auf mich warten.

 

Meeresfrüchte, Champagner, Tiroler Urbrot …

 

und ein paar Tropfen Botox sind auch noch drin.

 

 

 

 

 

V2