Von Juliane Soain

Hannes streicht durch ihr langes blondes Haar und legt seine Hand an ihren Hals. Er spürt, dass etwas anders ist. Er spürt ihre Anspannung. Die Fröhlichkeit, die sie sonst ausstrahlt, ist nicht da.

„Hannes, ich kann so nicht mehr weitermachen“, bricht sie die Stille. Obwohl Hannes auf einiges vorbereitet war, hat er genau dies nicht erwartet. Na ja, eher hat er gehofft, dass genau das nicht passiert. Hannes schließt die Augen. Er will es nicht wahrhaben. Er kann es nicht wahrhaben. Tief im Inneren weiß Hannes, dass es niemals weitergehen sollte. Sie beide wandern bereits auf einer Planke, die über den Klippenrand herausragt. Seit Monaten spielen sie mit dem Feuer. Der Mutigere von den Beiden muss den Dolch ins Herz stechen. Hannes kann es nicht.

Sie nimmt seine Hand und drückt sie fest. „Ich muss jetzt wieder los. Meine Familie wartet.“

Hannes zeigt keine Reaktion. Seine Augen bleiben geschlossen. Ihre Stimme beginnt zu zittern. Der nächste Satz fällt ihr schwerer als alles, was sie bisher gesagt hat. „Du wusstest, dass wir den nächsten Schritt nicht gehen können. Es war eine schöne Zeit mit dir. Ich würde sie gegen nichts anderes eintauschen wollen. Die Erfahrung mit dir werde ich immer in meinem Herzen tragen.“

Sie zittert am ganzen Körper. Sie hat schon mit einigen Männern Schluss gemacht, aber das ist die schwierigste Trennung. Ihr Herz fühlt sich an, als ob es gerade zerrissen wird. Sie schluckt, bevor die letzten Worte über ihre Lippen wandern. „Leb wohl.“

An seinen Wangen laufen die Tränen herunter. Sie lässt ihn los und geht an ihm vorbei. Sie kann die Tränen nicht mehr zurückhalten und sie fließen ihr ebenfalls die Wangen herunter.

Es muss hier enden. Es muss hier enden. Es muss hier enden. Es muss hier enden. Es muss hier enden.

Als Hannes nach Hause kommt, wartet seine Frau bereits auf ihn. Sie lächelt ihn an. „Hallo mein Schatz, hattest du einen schönen Tag?“

Hannes überlegt, was er ihr jetzt für eine Geschichte auftischen soll. „Er war sehr anstrengend. Ein Projekt was wir lange vorbereitet haben wurde vorzeitig beendet. Deswegen muss ich nächste Woche auf eine längere Dienstreise.“ Nicht seine beste Ausrede, aber so verschafft er sich gleich etwas Zeit, Sie zu verarbeiten.

Cornelia nimmt ihn in den Arm. „Mein armer Schatz. Dabei hast du so hart an diesem Projekt gearbeitet.“ Er erwidert ihre Umarmung und schmiegt sich an seine Frau an.

Sie verbringen einige schöne Tage zusammen. Hannes gibt sich Mühe, nicht an Sie zu denken.

 So wenig wie möglich abwesend wirken. Es fällt ihm schwer, doch es gelingt ihm und Cornelia bekommt nichts mit.

Am Montag verabschiedet Cornelia ihn am Flughafen. „Komm mir ja wieder heil zurück.“, sagt sie mit einem Lächeln und zwinkert. Hannes winkt ihr zu, bevor er in der Sicherheitskontrolle verschwindet.

Hannes flieht. Distanz. Vielleicht hilft es. Im Flugzeug lässt er sich auf seinem Platz nieder, setzt seine Kopfhörer auf und dreht die Musik laut auf. Kein Geräusch dringt mehr zu ihm durch. Die Musik versetzt ihn in eine Art Trance. Er kann denken. Er kann träumen. 

Dann denkt er wieder an Sie. An die schönen Momente. Sie haben viel Zeit gemeinsam verbracht. 

Ich liebe meine Frau, aber Cornelia wurde träge und gemütlich. Sie, ist hingegen ganz anders. Sie ist genau das, was ich brauche. Lebenslustig, fröhlich und unersättlich. Die Beziehung zu Cornelia wurde alltäglich. Sie riss mich aus diesem Tief und zeigte mir wieder, was Leben ist.

Im Hintergrund läuft die Sicherheitseinweisung. Hannes kennt sie inzwischen auswendig. Das Flugzeug rollt auf die Startbahn, wartet kurz auf Freigabe und rollt los. Hannes liebt den Start. Er stellt sich vor, wie der Pilot den Schubhebel nach vorne schiebt, woraufhin die Triebwerke hochdrehen. Hannes wird vom Schub in den Sitz gepresst. Nach kurzer Zeit ist alles vorbei. Leider viel zu schnell vorbei.

Hannes kreisen viele Gedanken im Kopf. Er versucht sie zu sortieren. Der Ausblick aus dem Fenster beeindruckt ihn jedes Mal. Sein Stammplatz ist, immer hinter dem Flügel, am Fenster. Er liebt es hinauszusehen und so vergeht die Zeit, wie im Flug.
 

Der Landeanflug ist nicht so spektakulär wie der Start, aber trotzdem nett. Wie immer springen alle Leute auf, bevor die Türen aufgehen, und zwängen sich in den engen Mittelgang. Hannes bemerkt eine Frau. Sie sieht aus wie Sie. Er springt auf, doch sie hat sich schon weggedreht. Er muss warten, bis er aussteigen kann. Wäre er diesmal bloß genauso aufgesprungen. Nachdem alle raus sind, rennt er schnell hinterher und sucht nach ihr. Doch von ihr ist keine Spur mehr zu finden. Enttäuscht macht er sich auf den Weg ins Hotel. Hannes verbringt ein paar Tage in Italien, mit der Hoffnung sie wiederzusehen, doch leider taucht sie nicht wieder auf.

Hannes muss weiter. Weg von dem Ort, der ihn an Sie erinnert.

Er zeigt auf einen Bildschirm: „Griechenland soll schön sein.“ Die Frau von der Airline nickt und sucht den passenden Flug heraus.

„In 2 Stunden geht ein Flug dorthin. Wollen sie das Ticket kaufen?“, fragt sie Hannes mit italienischem Akzent. Sie gefällt ihm. 

„Gerne.“ Woraufhin er sein Portemonnaie aus der Tasche holt. Nach einigen Minuten haben sie alles abgewickelt und er bekommt das Ticket auf sein Telefon zugeschickt.

Hannes gibt sein Gepäck auf und geht durch die Sicherheitskontrolle. Da noch Zeit übrig ist, setzt er sich an die Bar und bestellt einen Kaffee. Er wird aufwendig von der Bedienung zubereitet. Hannes verfolgt den Prozess aufmerksam. Hastig stellt der Mann ihn auf den Tresen und widmet sich dem nächsten Kunden.

Er riecht so lecker. Ich könnte den ganzen Tag dran riechen.

Nachdem der Kaffee etwas abgekühlt ist, trinkt ihn Hannes genussvoll. Plötzlich setzt sich neben ihn eine Frau. Hannes schaut aus den Augenwinkeln zu ihr herüber. Sein Herz fängt an, wie verrückt zu klopfen. Der Schmerz von der Trennung kommt wieder hoch und holt die Übelkeit hervor. Hannes atmet schneller.

Er blickt auf. Schaut die Frau an. 

Sie sieht ihr so ähnlich. 

Hannes ist wie erstarrt. Er versucht, sich zu zwingen, sie nicht mehr anzustarren.  

Ich muss sie ansprechen.  

Hannes legt sich die passenden Worte zurecht.

Sie sind da. Ich weiß, was ich sagen will. Warum kann ich es nicht? Warum traue ich mich nicht?  

Sie bleiben Hannes im Hals stecken. Die Fremde nimmt ihr Brötchen und bemerkt seinen Blick. Sie lächelt ihm, im Vorbeigehen, zu und verschwindet.

Weg ist sie. Was für ein Feigling ich doch bin.

Enttäuscht wartet Hannes die Zeit ab. Der wirklich gute Kaffee tröstet ihn ein wenig drüber hinweg. Ein Regenschauer begleitet ihn den ganzen Flug. Da es nichts zu sehen gibt, setzt er seine Kopfhörer auf und verfällt in seine Traumwelt.

Schnell ist der Flug vorbei. Als Hannes das Flugzeug verlässt, setzt er seine Kopfhörer ab und atmet tief durch. Die Luft ist warm und schwül. Ein Taxi bringt ihn ins Hotel. Nach einer Weile hat er eingecheckt und kann endlich auf sein Zimmer. Er wirft die Tasche in die Ecke, schaltet den Fernseher ein und schmeißt sich aufs Bett. Ein Prospekt auf dem Nachttisch erweckt seine Aufmerksamkeit.

„Ein Pool im Hotel. Den muss ich mir später ansehen.“

Nachdem Hannes sich ein wenig erholt hat, kramt er in seiner Tasche. Es kommen einige Müsliriegel zum Vorschein, die er hastig aufisst. Er schnappt sich seinen Bademantel und geht in den Keller.

Hannes zieht sich um, legt seinen Bademantel auf eine Liege und springt ins Wasser hinein. Er liebt das Gefühl, wenn das Wasser seinen Körper umschließt und der Körper fast schwerelos wird. Als ihm die Luft ausgeht, taucht Hannes wieder auf. Er hat es nicht bemerkt, aber offenbar ist noch jemand im Pool.

Sie taucht genau vor ihm auf. Hannes erschreckt sich. Als sie sich das nasse Haar zurückstreicht, bleibt Hannes das Herz stehen. Er starrt sie an.

Sie sieht aus wie Sie. Warum nur? Warum nur tut sie mir das an?

Doch sie lässt ihm keine Zeit zum Nachdenken, lächelt ihn an und fragt Hannes etwas. Es hört sich an wie Französisch.

Hannes antwortet ihr auf Englisch: „Tut mir leid, ich verstehe kein Französisch. Wäre englisch ok?“

Sie nickt und spricht mit ihrem französischen Dialekt. „Natürlich. Ich habe vorhin nur gefragt, ob wir vielleicht einige Bahnen schwimmen wollen.“

„Gerne“. Sie schwimmen eine ganze Weile zusammen, bis beide ziemlich erschöpft sind. Auf dem Weg zum Beckenrand stoßen sie mit den Köpfen zusammen.

 „Autsch.“ 

Sie fangen an zu lachen. Nachdem sie sich wieder beruhigt haben, schaut er in ihre blauen Augen und sie in seine grünen. Ihr Blick vertieft sich immer weiter. Ihre Herzen schlagen höher und man spürt, wie es zwischen ihnen anfängt zu knistern. Hannes zögert, doch diesmal traut er sich. Seine Hand berührt ihre Wange. Sie schließt ihre Augen und genießt den Moment. Für die Beiden bleibt die Zeit stehen.

Spann mich nicht auf die Folter. Küss mich endlich.

Ob ich Sie einfach küssen kann? Ich will es. Ich mach es.

Gefühlt dauert der Moment ewig, bis Hannes Sie endlich küsst. Umso schöner ist es für die Beiden. Sie kuscheln, küssen und streicheln sich. 

Sie packt ihn an der Hand. „Komm mit mir mit.“

 

Mitten in der Nacht wacht Hannes auf. Sie schläft ruhig neben ihm. Er streichelt zärtlich über ihren Kopf.  

Was mache ich hier? Habe ich wirklich gehofft, dass es in jedem Land eine, wie Sie, gibt? Die Frau neben mir ist toll, keine Frage. Sie sieht aus wie Sie. Ihr Lachen, identisch. Ihr Charakter, leider grundverschieden. Dabei hat ihr Charakter mich am Meisten, an ihr, gereizt. Diese Lebenslust. Die Fröhlichkeit. Ihre Stärke.

Ich vermisse sie.

Hannes setzt sich auf die Bettkante und schaut den Mond an.

Lass sie nicht mehr los. Halt sie fest. Für immer.

 

 

Version 2