Von Daniela Seitz

„Na kein Wunder. Wenn du sowieso schon nicht wusstest, wo dir der Kopf stand, warst du ein leichtes Ziel für ihn. Und durch deinen befristeten Vertrag sowieso in der schwächeren Position“, sagt Beate ganz selbstverständlich.

„ Ja… oh wow…jetzt wo du das so sagst….gehen mir einige Lichter auf“, stammle ich.

„Aber was würdest du denn jetzt an meiner Stelle machen? Nächste Woche steht der Teambuilidung Ausflug an. Max sagte mir, dass ich, auch wenn ich nun nicht hier im Team bleiben werde, mitfahren kann. Wenn ich möchte, da für mich ja bereits alles von oben bezahlt wurde“, fragt mich Beate.

Max ist unser Teamleiter. Und er hat Beate gerade nicht nur gesagt, dass er sie in dem Team nicht gebrauchen kann. Er hatte ihr außerdem zu verstehen gegeben, dass alle dafür Verständnis hätten, wenn Beate sich nun die letzten zwei Wochen, die sie hier im Team ist, krankschreiben ließe. An dem gemeinsamen, von dem Arbeitgeber bezahlten, Ausflug zur Burg Drachenfels könnte sie dann allerdings nicht teilnehmen.

„Mit so einer Bewertung meiner Leistung, habe ich echt keine Lust mich jetzt noch die nächsten zwei Wochen hier hinzusetzen und so zu tun, als sei nichts gewesen!“, regt sie sich auf.

Ich bin noch ganz eingenommen, von der Erkenntnis die Beate mir gerade über meinen Arbeitsalltag geliefert hat. Die Lichter sind grell, aber sie sind an. Wir, die wir einen unbefristeten Vertrag haben, lassen Kollegen wie Beate alleine. Weil durch ihren befristeten Vertrag unklar ist, ob es sich eine emotionale Investition in sie lohnt, wenn sie nicht bleibt. 

„Ich überlege wirklich, ob ich mich ab morgen für den Rest der Zeit krankschreiben lasse“, sagt sie nun etwas ruhiger und nachdenklich.

Beate ist durch den befristeten Vertrag angreifbar. Ich habe selbst erlebt wie angreifbar, als ich ebenfalls noch befristet war. Es ist ein höchst effektives Druckmittel, wenn man seine eigene Frustration an den neuen Kollegen ausagiert. 

Sich jetzt krankschreiben zu lassen, wird denen, die ihre Leistung und Teamintegration schlecht bewertet haben, jedoch in die Hände spielen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Wenn sie das tut, wird Max sich in seiner Entscheidung Beate nicht behalten zu wollen, bestätigt sehen. 

Irre, dass er ihr genau das, sogar als Ausweg aus Ihrer Situation anbietet. Ich glaube ohne Beates Worte, würde ich gar nicht erkennen, wie irre das Ganze ist. Regelrecht intrigant. Beate scheint es auch nicht zu sehen. Doch sie ist auch abgelenkt, von der emotionalen Zurückweisung, mit der sie nun verständlicherweise kämpft. Ich kenne das gut. Zu gut.

„Ich weiß, du bist nicht nur frustriert, sondern gerade regelrecht demotiviert worden. Aber wenn man vom Pferd fällt, muss man sofort wieder aufsteigen. Sonst hört man ganz mit dem Reiten auf“, sage ich ihr.

Ich sehe ihrem Gesicht an, dass es ihr jetzt ergeht, wie mir eben. Alle Lichter leuchten. Ich muss etwas gesagt haben, dass etwas tief in ihr angesprochen hat. Ich kenne sie noch nicht gut genug, um einschätzen zu können, was genau das sein mag.

„Wow…das macht Sinn. Dabei habe ich dir gar nicht erzählt, dass ich in meiner Jugend oft geritten bin! Danke, Svenja! Jetzt erst recht. Ich werde die zwei Wochen nutzen, um Max zu zeigen, dass er Unrecht hat mich gehen zu lassen“, sagt sie mit neuer Entschlossenheit.

„Also sehe ich dich morgen“, frage ich und klopfe mir innerlich auf die Schulter.

Per Zufall habe ich ein Bild erwischt, mit dem sich Beate identifizieren kann. Dabei bin ich selbst nie auf einem Pferd geritten, geschweige denn von einem heruntergefallen. Beate aber offensichtlich schon.

„Ja ich komme. Für dich. Weil ich weiß, dass wenigsten wir zwei uns verstehen. Den Ausflug werde ich auch mitnehmen. Aber bei den vielen Grüppchen in diesem Team…“

„Was hältst du davon, wenn ich dich abhole und wir gemeinsam zum Treffpunkt fahren“, frage ich.

„Das wäre super. Ich schreibe dir meine Adresse auf“, freut sie sich.

Auch ich freue mich. Denn jetzt in diesem Moment konnte ich Beate etwas geben, was ich ohne Beates Hilfe gar nicht für sie gehabt hätte. Dieses Gespräch war für uns beide wichtig.

 

*******

Ich war noch nicht auf dem Drachenfels. Und schon gar nicht in der Burg, die hoch oben auf dem Drachenfels thront. Man kann den Weg hinauf wandern. Doch der ist so steil, dass für das Team die Fahrt mit der Bahn hinauf geplant wurde. Beate hält sich dicht bei mir und sitzt während der Bahnfahrt neben mir. 

Als Beate einen Tag nach unserem Gespräch sich das erste Mal nach der Zurückweisung ins Büro aufmachte, hätte sie sich um ein Haar doch krankschreiben lassen. Das erste Mal war besonders schwer für sie. Sie sagte mir, sie hätte es nur ins Büro geschafft, weil sie mir versprochen hatte, dass sie kommt. Ich denke mir, dass auch dieser Teamausflug nicht gerade einfach für sie ist.

Daher achte ich darauf, sie nie gänzlich alleine zu lassen. Auch wenn wir beide uns trotzdem den anderen Kollegen zuwenden. Ich bin im Minimum in Sichtweite für sie, aber oftmals direkt neben ihr. Auf der Venusterrasse der Burg machen wir ein Team Foto. Dicht zusammen gedrängt auf der Treppe, stehen alle 17 Vollzeit- und Teilzeitkräfte und sagen: „Cheeeeeeese“.

Direkt vor uns und der Treppe, ist auf der Terrasse ein Springbrunnen. So groß wie ein Baum und mit mehreren Auffangbecken für sein Wasser, dass beruhigend herab plätschert. Die Aussicht von hier ins Tal ist magisch. Die Sonne scheint uns mitten ins Gesicht. Der Wind der hier auf dem Berg weht, ist angenehm und verweht das Wasser des Brunnens, so dass ich ihm absichtlich zu nah komme und mit einer wehenden Wassergischt auf der Haut belohnt werde. Ich liebe Wasser.

Bei der Führung durch das Schloss verzaubert mich ein Raum besonders. Genau in der Mitte der Burg, fast ein Durchgangszimmer, wie das schlagende Herz. Zumindest für mich. Die Bibliothek. Bücherregale reihen sich aneinander und ein Schreibtisch nimmt einen Platz direkt beim Fenster ein. Ich liebe diesen Raum. Hier könnte mich mein Team zurück lassen und es wäre mir egal, wie ich wieder nach Hause komme.

Eine weitere Bahnfahrt den Berg hinauf, ist das Restaurant in dem wir schon im Vorhinein unsere Bestellung aufgegeben hatten. Da wir mit 17 Leuten nicht gerade wenig sind, ist eine sehr lange Reihe für uns gedacht, die verhindert, dass alle 17 Kollegen beim Essen miteinander reden können. 

Ich bugsiere Beate und mich erfolgreich zwischen Kollegen, mit denen ich sonst weniger zu tun habe. Die aber ganz nah am Fenster und unserem Teamleiter Max sitzen. Carina und Arabella. Beide sitzen sich gegenüber. Ich setzte mich neben Arabella und habe Carina rechts schräg gegenüber von mir. Beate setzt sich links neben mich, während uns bereits das vorbereitete Essen hingestellt wird.

„Ich kann mir jetzt überhaupt nicht vorstellen schwanger zu sein“, sagt Carina gerade.

„Und will Ken denn keine Kinder“, fragt Arabella.

„Ach quatsch. Wir leben aktuell viel zu egoistisch. Kinder hätten da gar keinen Platz. Und ich will auch keine Rücksicht nehmen. Ich sehe das gar nicht, dass ich nicht mehr arbeiten gehe. Dafür macht mir die Arbeit viel zu sehr Spaß. Die Leute sind total toll. Ich komme einfach zu gern zur Arbeit“, sagt sie und schüttelt gleichzeitig vehement den Kopf.

Redet Carina da gerade von dem gleichen Team, dass Beate und auch mir zu schaffen macht? Sie spiegelt mit diesen wenigen Worten eine ganz andere Teamsituation. Sie hat Spaß auf der Arbeit? Sie will um keinen Preis schwanger werden, während ich mir bereits öfter überlegt habe, dem Team durch Schwangerschaft den Rücken zu kehren? Darüber muss ich nachdenken.

Als ich zusammen mit Jana in dieses Team kam, gab es eine Gruppe, die zusammen in der Küche Pause machte. Carina gehörte zu dieser Gruppe, während Arabella erst nach mir in das Team kam. Das Besondere an Carinas Gruppe war, dass sie zu dem ursprünglichen Team gehörten. Die Umstrukturierung, derentwegen ich in dieses Team kam, hatte ihnen etliche Kollegen entrissen. Die verbliebenen Kollegen wirkten, wie eine geschlossene Gesellschaft, um die sich herum weitere Grüppchen bildeten.

„Na, bei den vielen Grüppchen hier, war es aber schon schwer einen Platz zu finden. So toll war das nicht.“, wendet Arabella ein, die im Gegensatz zu Carina ebenfalls nicht von Anfang an einen Platz im Team gehabt hatte.

„Jetzt bist du doch längst angekommen. Tu doch nicht so“, zieht Carina Arabella auf.

„Von Wegen. Du willst doch immer von allen gemocht werden und backst dem Team daher immer wieder irgendwas“, stichelt Arabella zurück. Beide lachen.

Arabella hält mir regelrecht den Spiegel vor, ohne es zu bemerken. Sie teilt meine Einschätzung des Teams. Trotzdem ist sie zur geschlossenen Gesellschaft vorgedrungen und gehört zu diesen tollen Leuten, derentwegen Carina eine Schwangerschaft für sich zumindest jetzt ausschließt.

Habe ich eine „Das Glas ist halbleer“ Brille auf und strahle dies auch aus? Ich muss an den Spruch denken, den ich heute Morgen auf meinem Kalender gelesen habe:

Wenn du helle Dinge denkst, ziehst du helle Dinge an dich heran.

Ich schaue zu Beate. Sie ist angeregt mit den anderen Kollegen in ein Gespräch vertieft und scheint ganz vergessen zu haben, dass das Team sie zurückgewiesen hat. Gut für sie. Wenn dieser Ausflug am Anfang und nicht am Ende Ihres Gastspiels gestanden hätte, wäre sie dann für eine dauerhafte Rolle in diesem Team verpflichtet worden?

Ich habe kurz Blickkontakt mit Carina. Es heißt, die Augen sind der Spiegel der Seele. Carinas Augen sind nicht intrigant, sondern offen und freundlich. Ich spiegle mich in ihnen. Carinas Reaktion auf mich, ist eine Spiegelung. Und sie lächelt.

Das ganze Leben ist ein einziger Spiegel. Offensichtlich habe ich seit Simon und der Umstrukturierung vermieden, dort hineinzuschauen. Doch das kann ich ändern. Ich setze die „Das Glas ist halbvoll“ Brille auf und beteilige mich angeregt an Carinas und Arabellas Unterhaltung.

Der Rest des Tages ist weniger anstrengend. Die aktive Beteiligung macht Spaß. Ist wohl alles eine Frage von Aktion und Reaktion.

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