Von Shabnam Rabani

Da sehe ich sie also nun endlich. Sie steht da, starrt mich an. Ihre Augen sind geschminkt, blauschimmernder Lidschatten, rotgemalte Lippen. Die Wangenknochen gewollt betont und auf ihren Schultern liegt ihr welliges Haar. Sie blickt mir tief in meine braunen Augen, spricht aber kein Wort. Ich habe mich nach ihr gesehnt, in meinen Träumen erschienen ihre langen Beine, ihre vollen Busen immer und immer wieder. Jetzt sehe ich sie. Minutenlang sitzen wir uns gegenüber. Wir wagen es nicht, ein Wort zu sprechen. Wir wagen es nicht, uns zu berühren. Zu aufgeregt, zu ängstlich. Hier im Raum kann man steht die Luft, das Atmen fällt schwer. Ich blinzele vorsichtig. Sie blinzelt zurück. Nun traue ich mich, denn ich bin endlich angekommen: Ich lächele. Ganz vorsichtig und zart lächelt sie zurück. So langsam, als hätte sie Angst, ihre vollen Lippen würden zerspringen bei jeder zu raschen Bewegung. Wie gern würde ich durch ihre vollen braunen Haare gleiten. Mit den Fingerspitzen ihre Wellen berühren. Mich im Ozean ihrer Augen verlieren. Ein kurzer Blitz durchfährt mich. Gedanken an meine Frau, an meinen Sohn. Gedanken, aus deren Fessel ich glaubte, mich nun endlich zu befreien. Erinnerungen an sie. Sie kennen mich nicht. Sie sehen mich mit anderen Augen, wen sehen sie da eigentlich? Ein Schatten fällt bei den Gedanken auf ihr Gesicht. Es wird dunkel und nebelig um meine Augen. Ich sehe sie kaum noch. Ich spüre keine Männlichkeit mehr, ich spüre Leere. Ich fühle mich nicht real, bin nur noch die Hälfte eines Ganzen, das ich eigentlich nie war. Ich habe alles verlassen: Meine tiefe Stimme ist verklungen, mein harter Gesichtszug ist entwichen, mein rauer Körper ist entkommen. Doch die Seele bleibt, Gedanken bleiben, Ängste bestehen, Sorgenfalten malen tiefe Muster unter meine geschminkten Augen. Ich strecke die Hand nach ihr aus. Kalte, glatte Berührung. Wie schön sie ist. Ein Augenblick der Vollkommenheit, ein kurzes Angekommen-sein. Tief holen wir Luft, und unser Atem verdeckt unser Gesicht. Wir sind uns bewusst, wir sehen uns nie wieder. Zu Hause wartet meine Frau, wartet mein Sohn. Wir verabschieden uns mit Tränen in den Augen, mit einer Sehnsucht unendlich groß. Ich greife nach den Feuchtetüchern, wische den Lidschatten ab, die roten Lippen formen kein Lächeln mehr. Ich fahre mir über die Wangen, entferne das ganze Make-Up. Nun berühre ich ein erstes, ein letztes Mal meine braunen welligen Haare, lege sie vorsichtig neben mich. Wieder starre ich in mein Gegenüber. Eine Frau, die langsam geht. Es erinnert kaum etwas an sie: Jetzt nur noch das Kleid, der Schmuck, die schönen runden Busen. Doch es dauert kaum, in kurzer Zeit. Ewig dauerte ihr kurzes Aufkommen, und ganz rasch… beim nächsten Augenaufschlag: Sie ist fort. Sie kommt nie wieder.