Von Helga Rougui

Am liebsten wäre ich allein.

Ich bin verheiratet, habe demnach einen Ehemann, mit dem Alleinleben ist es also nichts.

Mit dem Alleinsein schon. Sie glauben nicht, wie allein man ist, wenn man zusehen muß, wie der eigene Mann für eine andere schwärmt.

Schwärmt? Er wird bald 72, sie ist 20 Jahre jünger, die offizielle Version ist, daß die ganze Sache rein platonisch ist und immer war. Also kein Grund zur Beunruhigung, kein Anlaß zum Unglücklichsein.

Ach ja?

Wissen Sie, wie intensiv Verliebtsein lodert, wenn man den anderen nicht haben kann?

Wenn er unerreichbar ist aus diversen Gründen?

Eine solche platonische Liebe schlägt jede reale Beziehung aus dem Felde. Ein Mann will immer das, was er nicht kriegen kann.

Und wenn das Objekt der Begierde jünger und schöner ist?

Eben.

 

Aus mir spricht wenig Selbstbewußtsein, nicht wahr?

Nun, was soll ich sagen, ich bin 68 Jahre alt und stark übergewichtig – sollte ich also überhaupt froh sein, daß er mich nicht schon längst verlassen hat nach 40 Jahren Ehe?

Ich denke, er ist jemand, der ganz gern mit mir zusammenlebt, der aber ein „Ich liebe dich“ mur mühselig über die Lippen bekommt. Weil er vielleicht seine Emotionen anderswo auslebt?

Und der Gipfel ist, die beiden beteuern, es sei nichts dabei, alles harmlos, väterlicher Freund, nur eine gute Freundin, nie was gewesen etc.

Das mag sein.

Aber er nennt sie „Schatz“ … sie schicken sich diese Küßchenbildchen über Whatsapp … sie schreiben sich, wie lieb sie sich haben …

 

Ja. ich weiß, so macht man das auf Whatsapp … bedeutungslos, leere Formeln der Kommunikation.

Ach ja?

 

Ich weiß, daß ich all das viel zu sehr an mich heranlasse. Es ist dumm, daß ich überhaupt einen Gedanken an die beiden verschwende. Man ändert die Menschen nicht. Wenn ein Mann sein Selbstwertgefühl daraus bezieht, daß ihm Frauen schöne Augen machen, dann braucht er das bis an sein Lebensende. Da richtet auch alle Beflissenheit einer Ehefrau nichts aus.

Je mehr mir dieses gefühlsgeschwängerte Nicht-Verhältnis mißfällt, um so mehr driftet er in die Richtung der Sirene, driftet weiter bis aufs hohe Meer hinaus und ward zuletzt nicht mehr gesehen.

Ich bleibe zurück, gefangen im Netz meiner irren Gedanken und Verdächtigungen, meiner aberwitzigen Vorstellungen und unbewiesenen Annahmen – wie eine todkranke Spinne renne ich hin und her auf den Fäden und suche einen Ausweg – oder zumindest einen gangbaren Weg, irgendetwas, das macht, daß ich diesem Spinner-Geflecht entkommen kann.

 

„Hältst du fest, bist du verloren – läßt du los, bist du in Sicherheit.“

 

Diesen Spruch – ich weiß nicht mehr, woher ich ihn habe, aber ich greife nach allem, was wie ein Rettungsanker aussieht – diesen Spruch sage ich mir mantraartig vor, wenn ich wieder einmal zu fühlen meine, daß nur die körperliche Hülle meines Ehemanns anwesend ist und daß sein Kopf von den Dunstwolken dieser Frau benebelt wird.

So denke ich, aber vielleicht irre ich mich, und ich sehe Gespenster am hellichten Tag.

 

Ich wäre so sehr gern allein, ohne jemanden, der mir Schmerzen zufügt.

Aber jeder Mensch ist im Grunde allein … Wer zwingt mich, mich immer und immer wieder in dieses böse Gedankenknäuel zu begeben, dessen Fäden sich um mich wickeln und mir die Kehle zuschnüren?

Ich sollte eher anfangen, endlich mein eigenes Netz zu weben, das bestehen wird aus meiner Freiheit, mich zu distanzieren von Menschen, die mich gering achten oder von solchen, von denen ich denke, daß sie es tun – und – das hat schon meine Mama gewußt – wenn dich einer nicht liebt, kannst du ihn nie und nimmer zwingen, dich zu lieben, da helfen keine Tränke und keine Beschwörungen und keine Magie.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit.

Ich sollte sie nutzen, diese Zeit, um die Freiheit, die ich habe, zu erkennen und zu leben.

Ich kann machen, was ich will. Auch – mich nicht im geringsten scheren um das, was diesen fremden Menschen, der sich mein Ehemann nennt, umtreibt.

 

Morgen früh breche ich auf.

Allein.