Von Christiane Labusga

Es sollte eine große Freundschaftsbekundung werden, Völker sollten näher aneinander rücken, und darum stand der Transporter auf dieser Bühne und der Präsident und die Forschungsministerin und der Außenminister; und die Masse wurde angeheizt vom besten Showmaster des Kontinents. Endlich einmal waren alle einig, Kritiker gab es nicht, die letzten Warner hatten sich nach den ermüdenden, dennoch erfolgreichen Tests mit niedlichen Kaninchen überzeugt, dass dies, diese Erfindung, diese Staatsgelder zum Wohl aller eingesetzt wurden. (Auch wenn es schon wieder Murrer gab, die nach den Kosten fragten und ob der Service für jedermann erschwinglich wäre.)

Auf der anderen Seite des Raumes zeigte eine Holographie den Transporter auf der gegenüberliegenden Seite des Globus, um ihn herum die gleiche Sorte wichtiger Volksvertreter, und nachdem sich die beiden Showmaster begrüßt hatten, übernahm, ja, als Gag, als besonderer Hinweis auf die neue Völkerverbindung der Hologramm-Showmaster die Ansage und rief Charlie auf die Bühne.

Charlie war ausgewählt worden, weil sie unter den (jungen) Menschen als Mittelwert galt. Die Alten mit ihren Vorurteilen und Krankheiten hatte man nicht mehr in Betracht gezogen für diese Premiere, niemand wollte durch einen unkontrolliert einsetzenden Herzinfarkt (zum Beispiel) das Projekt gefährden. Und da sowieso nur noch die Jungen (bis 25) ein aktives Wahlrecht hatten, war man besonders froh, Charlie nach der quantencomputergenauen Auswertung keine Wahl mehr lassen zu müssen. Jedenfalls kicherten die so etwa Dreißigjährigen darüber, die das Projekt begleiteten.

Charlie betrat die Bühne, nein, wurde getragen von den Tänzern, die mit ihr auf diese Bühne strömten, die Musik dazu von einem riesigen Orchester, das aber nicht in der Lage war, mit seinen pathetischen Melodien die schrillen, wortlosen Abschiedsschreie des arabischen Frauenchors (2000 Frauen) und darüber das Klicken der Xhosa (nur noch 50) zu übertönen – oder, das auch gar nicht zu wollen.

Der Eindruck war… für die Zuschauer erhebend – eine Welt! Für Charlie verwirrend und beängstigend, aber Angst war sowieso ihr ständiger Begleiter geworden, seit diese Leute sie aus ihrem Zuhause gerissen hatten.

Unter dieser Kakophonie, die durch das Geschrei des Moderators ergänzt wurde, der nun jede Bewegung kommentierte, wurde Charlie in den Transporter gestellt.

Plötzlich wurde es totenstill. Der Moderator wandte sich zum Publikum, steckte seine Arme aus und pumpte  einmal mit geballten Fäusten die Arme zurück eng an seinen Körper und begann den Countdown: „10 – 9-…“ und die Masse stimmte ein, und die Mediacontroller meldeten, dass vor den Screens die Zuschauer gebannt mitzählten.

Charlie hörte kaum noch das „Start“, da war sie schon in einer völlig neuen Szene. Auch hier eine Bühne, ein Moderator, der sich direkt vor den Transporter gestellt hatte ohne die Kameras zu verdecken, und ein Publikum, dass begeistert in Jubel ausbrach.

Menschen, die eine merkwürdige Version von Charlies Sprache sprachen, wohl die Führer der Welt   auf der anderen Seite, umringten sie und hoben sie schließlich auf ihre Schultern, um sie unter dem Jubel des Publikums mehrmals über die Bühne zu tragen und dann, endlich, hinaus in das Backstage.

Kameradrohnen folgten ihr, und weil sie so erschöpft aussah – selbst die Zuschauer sandten besorgte Smileys – entließ man sie schließlich in ihre Suite. Auch hier Kameras, natürlich, aber sie war endlich allein und legte sich, nachdem sie sich eine ausgiebige UV-Dusche gegönnt hatte, in die Wellness-Koje. Über den Nasenschlauch wurde ihr eine frische Meeresluftbrise in die Lunge geleitet, während ihre Haut mit basischen Ölen besprüht wurde. Über Kopfhörer wurde ihr ihr aktuelles Buch „Die Rose des Templers“ von Björn D. Neumann an genau der Stelle weiter vorgelesen, an der sie das Buch hatte auf der gegenüberliegenden Seite des Globus unterbrechen müssen.

Aber sie erinnerte sich nicht.

Sie erinnerte sich nicht. Der Templer sprach gerade über seine Abstammung, seine Eltern. Ihr fiel verwundert auf, dass die Erinnerung an ihre Mutter nur wie ein Nebel in ihrem Kopf war, was sie dagegen erschreckte, war, dass sie sich nicht einmal erinnern konnte, ob sie einen Vater gehabt hatte. Aber der biologischen Logik zufolge musste sie doch einen Vater gehabt haben?

Sie wollte sich mit der rechten Hand den Kopfhörer von den Ohren ziehen, um besser nachdenken zu können, aber ihre linke Hand hob sich – unerfahren, fahrig, hieb sie den Kopfhörer mehr weg, als ihn zu greifen. Das schmerzte sogar ein wenig, aber Charlie fühlte nicht, wo genau. In der rechten oder der linken Hand? An der Nase, an die der Kopfhörer geflogen war?

Sie kreuzte ihre Unterschenkel, was eine plötzliche Panik bei ihr auslöste, denn es fühlte sich so an, als würde sie ihre Unterschenkel extrem nach außen spreizen, mit genau den extremen Schmerzen, die so etwas auslöst.

Charlie wurde langsam klar, warum man für die Testreihen die schweigsamen Kaninchen genommen hatte, und nicht etwa Hunde, die bei jedem Schmerz los jammerten.

Sie rollte in ihre Liegehaltung, dabei verzog sich ihr Körper dermaßen, dass neben dem rechten Oberschenkelknochen auch zwei Rippen links und eine rechts brachen und die rechte zerbrochene ihre Lunge durchstieß.

Charlie war zufrieden. Besser so, als zurück durch den Transporter, wie für morgen geplant.

 

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