Von Bernd Kleber

Susanne fummelt an der Schachtel und zittert. Endlich fingert sie einen Stängel heraus und steckt ihn in ihren rotgemalten Mund. Sofort sieht man die Abdrücke ihrer Lippen auf dem Filter. Sie lehnt sich zu Klaus und nickt einmal. Der greift in die Hemdtasche und zieht ein Feuerzeug hervor. Es klickt. Sie atmet tief ein, inhaliert.

„Er hätte ja aber auch mal was sagen können!“

„Ja!“, raunt Ewald. Der raucht nicht. Schlurft nur mit ins Freie zur Pause. Und nun sitzen sie dort. Die Nichtraucher versuchen, die Luft zu schnappen, welche nicht vom Nikotin angereichert wurde.

Conny steht am Rand, hat eine dieser E-Zigaretten in der Hand. Wenn sie daran zieht und das Inhalat ausdampft wie eine alte Lok, dann schweben riesige Wolken vorbei. Sicher wandern die zum Himmel und bilden diese Chemtrails. Sie schart mit ihren Sneakers im Kies.

„Hör doch mal auf, Conny, das klingt abartig.“

„Ja, ist ja gut!“

„Wer übernimmt denn nun seine Schicht? Da muss sich schnell jemand finden. Ich kann nicht“, sagt Evi.

Klaus knetet seine Unterlippe.

„Es tut mir so leid. Der arme Kerl“, murmelt er.

„Ja!“, hustet Ewald und spuckt zur Seite. Seine Kippe schnipst er über die Grundstücksgrenze.

„Ewald!“, Susanne verdreht die Augen und brummt.

„Weiß eigentlich jemand, wo er wohnt?“

„Ich glaube im Kaskelkiez.“

„Warst Du schonmal bei ihm?“, fragt Evi, „Neulich hat er mich zu einem Bier nach Feierabend eingeladen. Ich hatte keine Zeit … nee, keine Lust. Nun fühle ich mich schlecht.“

„Ja, ich war mal da“, sagt Conny, „Eine schöne Wohnung, zwei Zimmer, Balkon dabei. Erster Stock.“ Sie schießt ein Steinchen fort.

„Was hast du bei ihm gemacht?“, schnarrt Susanne und zieht sofort an ihrer Zigarette mit einem Geräusch wie von der Intensivstation.

Conny sieht ihre Kollegin an, zieht ihre Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf. „Nichts! Außer einer Gassirunde. So ein süßer Köter aber auch …“

Es ist wieder still. Klaus sieht zur Uhr, die an der Hauswand hängt wie ein mahnendes Menetekel. Tick tack verrinnt die Pausenzeit.

„Ich mach‘ seine Schicht!“, schlägt Paul vor, der auch nicht raucht.

Alle sehen ihn an.

Conny fragt: „Schaffst du das?“

„Ja, kein Problem. Ich mach‘s. Und dann müssen wir aber den Alten auffordern, den Schichtplan erstmal neu zu schreiben“, gibt er zu bedenken.

Conny schluchzt. Ewald nimmt sie in den Arm. Klaus steht daneben und hebt beide Hände.

„Er war gerade so glücklich. Oder haben wir was falsch eingeschätzt?“, heult Conny und scheint kaum Luft zu bekommen.

Susanne räuspert sich: „Nun nimm dir das doch nicht so zu Herzen. Das Leben geht weiter.“

„Was?!“, Conny hält inne. Mit dem Atmen, Schluchzen, Blinzeln. „Was hast du gesagt? Was bist du nur für eine herzlose Person. Er ist tot!“

Susanne stolpert einen Schritt zurück und zuckt mit den Achseln. „Alles Leben endet einmal! Menschen, Tiere, Pflanzen sterben eben. Und ihr habt doch keine Ahnung von ihm. Niemand hat mal gefragt, wie es ihm geht so allein mit Hund … und nun seid ihr betroffen, fast, als wäre Eure bessere Hälfte gestorben. Ich finde das ist Heuchelei. Fragt mich doch mal, wo ich wohne, ob ich glücklich bin. Mensch, wir sind tagtäglich hier über acht Stunden zusammen.“ Sie tritt einmal heftig in den Kies. Steine stieben auseinander.

Nun hält Klaus die Luft an. Sein Blick tastet die Runde ab wie bei einer Bestandsaufnahme. Niemand sagt ein Wort. Als er seine Kippe ausdrückt, schaukelt der Aschenbecher aus Blech und quietscht dabei, sieht aus wie der Fernsehturm.

Conny bläst laut aus und schüttelt ihre blonden Haare. Ihre Ohrringe klappern.

„Wir müssen eigentlich schon wieder drin sein“, mahnt Paul und starrt zur Uhr.

„Darum schaffe ich mir kein Tier an. Schrecklich! Überfahren … und er musste zusehen. Ist es ein Wunder, dass er einen Schock hat? Jetzt ist er ganz allein. Wenn er zurückkommt, lade ich ihn zum Bier ein“, nuschelt Klaus.

Wie auf ein geheimes Kommando, stehen alle auf und trotten wieder in die Werkhalle. Einige Kippen sind nicht richtig ausgedrückt und produzieren weitere Wolken.

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